Donnerstag, 27. März 2025

[Schnipseltime] Bound soul von Elisa Schwarz

 

XXL LESEPROBE

AJs Wippen auf den Fersen wurde intensiver. Die Hände öffneten und ballten sich im Sekundentakt. So viel aufgestaute, negative Energie. Wahnsinn! Ich sparte mir einen weiteren Anpfiff, er wusste sehr gut, welchen Eindruck er bei mir hinterließ. Ein Kennzeichen zu kennen oder den Halter des Wagens dahinter ausfindig zu machen, waren zwei verschiedene Paar Schuhe.

»Du hast meine Anrufe nicht entgegengenommen«, sagte er kaum hörbar. »Ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen.«

Fuuuuck! »Es geht nicht, das habe ich dir gesagt. Mehrfach sogar.« Wie sollte ich mich jemals von ihm fernhalten können, wenn er nur vor mir stehen musste, um mein Verlangen nach ihm anzukurbeln? Es fiel mir verdammt schwer, Haltung zu bewahren. Ihn nicht zu schütteln und gleichsam abzuknutschen.

»Siehst du das hier?«, fragte ich mit gesenkter Stimme. »Das sind 30 Quadratmeter inklusive Dusche, WC, Herd und Kühlschrank. Mehr kann ich mir nicht leisten. Das steht im krassen Gegensatz zu deinem Leben.« Seine Augen glänzten verdächtig und seine Lippe verschwand zwischen den Zähnen. »Okay, AJ? Ist es jetzt bei dir angekommen? Wir passen nicht zusammen.« Aus einem Impuls heraus strich ich ihm über die Wange, sofort drängte er sich der Berührung entgegen. Alles in mir schrie danach, ihn zu packen und so lange zu ficken, bis wir beide vergaßen, wer wir waren. Aber die Realität war eine andere.

Ich ließ von ihm ab, es schmerzte zu sehr. »Wir sind grundverschieden und deshalb geht das nicht mit uns. Tu mir den Gefallen und geh. Hast du vor dem Haus geparkt?«

»Ich habe mich fahren lassen«, gestand er und fasste nach meiner Hand, legte sie sich erneut an die Wange, während sich eine einsame Träne aus seinem Augenwinkel wand. »Ich kann dich nicht vergessen, Kylar. Gib mir bitte eine Chance.«

Die Tür krachte gegen die Wand, AJ zuckte zurück, der sentimentale Moment wurde gesprengt. Joe stand auf der Schwelle. »Dauert das noch länger?« Demonstrativ hielt er erneut die Hand auf. »Kannst gleich einen Zehner mehr für Can mit reinlegen, der wird auch schon ungeduldig.«

AJ fing sich schneller als ich, fischte Scheine aus der Innentasche seines Jacketts und hielt ihm zwei Fünfziger hin. »Reicht das?«

»Für eine halbe Stunde.« Joe beäugte ihn komisch und in mir ging ein Alarm an. Tatsächlich trat mein Nachbar einen bedrohlichen Schritt auf AJ zu. »Will er dich nicht ficken?«, fragte er AJ süffisant. »Ich kann dich rannehmen. Umsonst besorg ich es dir allerdings nicht.«

Harsch riss ich Joe herum. »Fass ihn nie wieder an, ich warne dich! Raus hier!«

»War nur Spaß, Bro.« Er grinste hämisch, zog sich aber zum Glück zurück.

»Fuck, ey«, presste ich hervor und packte AJ am Kragen. »Du dürftest gar nicht hier sein. Die machen dich fertig, Mann. Sobald ich weg bin, bist du fällig. Ruf deinen Fahrer an und lass dich abholen. Jetzt! Ich warte hier mit dir.«

»Du hast echt Angst um mich.« Ein unfassbar bezauberndes Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. Oh Gott! »Ich bin dir nicht egal. Ich wusste es! Und ich werde jetzt garantiert nicht gehen.« Sachte packte er auf meine Hände, die ich langsam von seinem Kragen löste und wie gelähmt vor ihm stehen blieb.

Mit zitternden Fingerspitzen strich er meine Schläfe entlang, schob mir eine Strähne hinters Ohr und ich saugte die Zärtlichkeit in mich auf, wie er zuvor die meine. »Nimm mich mit. Ich kann dir beim Ausladen helfen und du zeigst mir dafür dein neues Zuhause. Ich organisiere was zum Essen, dann reden wir.«

Mir war zum Heulen zumute. Alternativ zum Schreien. Was machte er mit mir? Ich nahm seine Hand, setzte einen Kuss auf die Innenfläche und drückte sie sanft. Wenn er meine Worte nicht hören wollte und die Größe der Wohnung ihn nicht abschrecken konnte, überzeugten ihn hoffentlich Tatsachen. »Okay, AJ. Okay«, beruhigte ich ihn und mich damit ebenfalls. »Ist gut, du hast gewonnen. Wir werden reden. Pack mit an, dann schließe ich ab und wir fahren los.« Mit hart klopfendem Herzen trat ich von ihm zurück, deutete auf die Kartons. »Nimm einen davon, die anderen beiden nehme ich.«

Selig verzog er die Lippen zu einem Lächeln. »Danke!«

»Abwarten.« Der Abschied war nur aufgeschoben, dabei tat es jetzt schon unfassbar weh. »Ich hoffe, dein Fahrer holt dich auch in der Bronx ab.«

»Uh, spannend! Die Bronx ist im Kommen und zeigt in den letzten Jahren immer mehr schöne Seiten. Gute Entscheidung, den Bezirk zu wechseln.« Er schnappte sich einen der Kartons und stapfte zur Tür. »Stefano fährt mich auch bis zur Küste, wenn ich mir das wünsche, kein Problem. Er weiß, dass ich ihn heute noch brauche und ist abrufbereit.«

»Perfekt«, sagte ich lahm, schob ihn aus der Tür, schloss ordentlich ab und nickte Joe zum Abschied zu, der mit verschränkten Armen im Flur gegenüber an der Wand lehnte.

»Einmal die Treppe runter, unten nach links, die zweite Tür führt raus auf den Hof«, wies ich AJ an und drängte ihn gleich darauf an Can vorbei, der gelangweilt und rauchend auf einem kaputten Stuhl unter einem undichten Partyzelt lümmelte. Auch ihm nickte ich lediglich zu. Dieses Kapitel meines Lebens war beendet. Wir verstauten die drei letzten Kartons, gleich darauf glitt ich neben AJ auf den Fahrersitz und zog einen Mundwinkel hoch. »Bereit, dich in den Abgrund der Armut entführen zu lassen?«

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