Freitag, 22. März 2024

[Schnipseltime] Die Bürde der Zukunft von Clarissa Kühnberger

 

Der Fakt, dass Adrian nicht überrascht war, als sein Cousin ihm von dem Gespräch mit dem Immergrün erzählte, sagte einiges über die Beziehung der beiden Männer aus. Oder darüber, wie gut sie sich kannten. Er hatte immer gewusst, dass sein Cousin ein treuherziger Tropf war. Dass er jedoch ernsthaft beabsichtigte, dem Fremden zu helfen, ließ Adrian dann doch an Patricks gesundem Menschenverstand zweifeln. Vor allem, als er verkündete, dass er seinen Cousin bereits in seinem Plan integriert hatte. »Die Garde behält mich im Auge, weil ich bei der Verhaftung für Ärger gesorgt habe. Ich brauche deine Hilfe. Wenn es stimmt, was Valentin mir erzählt hat, dann steht der zweite cath na mór vor der Tür. Du musst mir einfach helfen

Und natürlich sagte er Patrick zu. Nicht nur, weil er sein Cousin war und er einen weiteren Clankrieg verhindern wollte, sondern auch, weil er ungebührlich neugierig war, was es mit diesen Fremden auf sich hatte. In den vergangenen Wochen sorgten sie für mehr Ärger und Tote als der Kinahan-Clan in den letzten Jahren. Was war der Grund dafür, dass sie sich gegen eine ganze Grafschaft stellten? Vermutlich rechnete Patrick damit, dass sein waghalsiger Cousin sich diese reizvolle Abwechslung nicht entgehen lassen würde – und im Zweifelsfall auf sich aufpassen konnte. Doch all die Neugierde und Hilfsbereitschaft lösten sich just in Luft auf, als er einige Stunden später auf dem Hof der Immergrün stand. Das Klicken einer entsicherten Waffe, die auf seinen Kopf gerichtet war, hörte niemand gerne, ganz gleich, wie risikobereit man veranlagt war.

Er hatte in den letzten Wochen einiges über die Fremden gehört, zwei von ihnen gar getroffen. Doch als er nun die raue Frauenstimme hörte und den Kopf sachte in ihre Richtung drehte, wurden sämtliche Vorstellungen seinerseits ins Aus befördert. Er hatte insgeheim vermutet, dass die Fremden ein wilder Haufen waren, der ohne Sinn und Zweck handelte, ein Blick in Livias Gesicht reichte aus, um zu begreifen, dass er sich irrte.

Adrians Gesichtsausdruck war die Ruhe selbst, ohne jede Angst, als er seiner Widersacherin in die stahlgrauen Augen schaute. Es gab viele Gedanken, die ihm in diesen anfänglichen Sekunden durch den Kopf gingen, der erste setzte sich fest wie kein anderer: Sie war bereit, alles zu tun. Er sah es in ihren Augen, diese sture, unbändige Entschlossenheit. Die kühle Berechnung. Augen, die Schreckliches gesehen hatten. Erst danach fielen ihm weitere Dinge an ihr auf. Die aufrechte Körperhaltung wie die eines Soldaten. Die Autorität in ihrer Stimme, die sie ohne jeden Zweifel als jemanden auszeichnete, der viele Leute befehligen konnte. Das sie deutlich kleiner als er war, gleichzeitig durchtrainiert genug wirkte, um ihn mit Leichtigkeit niederstrecken zu können. Die Blutsprenkel in ihrem Gesicht, die darauf schließen ließen, dass sie einen harten Nachmittag hatte. Vor allem aber, dass sie schön war. Auf eine natürliche und irgendwie gefährliche Art und Weise. Und wenn es eines gab, was Adrian anzog, dann war es die Gefahr.

»Ich denke, ich bin genau dort, wo ich sein sollte«, seine samtige Stimme ließ nicht darauf schließen, dass er sich darum sorgte, dass sie ihn erschießen würde. Stattdessen taxierten seine türkisfarbenen Iriden die ihren, ein vages Lächeln umspielte seine Lippen, ehe er die Hände leicht anhob, als Zeichen, dass er unbewaffnet war und keinen Ärger machen würde.


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