
»Jetzt macht schon!« Der warnende Piepton schnitt in ihre
Ohren, als ihr Finger das falsche Feld drückte. Das Display flackerte rot auf
und Hazel zuckte zusammen. »Verdammt, Jake! Hör auf, mich zu stressen! Ich kann
das nicht, wenn du mir auf der Pelle hängst. Wegen dir löse ich noch den Alarm
aus.« »Aber er hat recht«, erklang es neben ihr. Hazel hob den Kopf. Sie warf
ihrer besten Freundin, die sich in einer eleganten Bewegung von der Wand
abstieß und einen Schritt auf sie zumachte, einen finsteren Blick zu. Na
wunderbar! Jetzt fiel Lexi ihr auch noch in den Rücken. Das blasse Gesicht, das
von langen haselnussbraunen Haarsträhnen eingerahmt wurde, wirkte angespannt.
Missmutig schaute Hazel ihr entgegen. Ein Starren, dem Lexi mit dem
herausfordernden Funkeln ihrer sturmblauen Augen und dem vielsagenden Anheben
ihres Smartphones begegnete, auf dem ein Timer rücksichtslos heruntertickte. So
wenig Zeit blieb ihr noch? Hazel schluckte und sah von den Zahlen weg, die viel
zu schnell davoneilten. Plötzlich zitterten
ihre Finger. Wie sollte sie das nur schaffen? Vor allem, wenn alle anderen
offenbar an ihr zweifelten, bevor sie es überhaupt richtig versucht hatte? War
ja nicht so, dass sie nicht schon ihr Bestes gab. Nur mühsam gewann Hazel ihre
Ruhe zurück. Bloß nicht zeigen, wie sehr sie diese Erkenntnis in Panik
versetzte. Wenn das hier schiefging … Hör auf! Daran denken, heißt scheitern.
Also lass es und konzentrier dich, verdammt noch mal! »Je mehr ihr mich unter
Druck setzt, desto weniger werde ich dieses Schloss knacken.« Ihre Stimme klang
dünn. So elendig dünn. Lexis Mundwinkel zuckte, ehe sie unmerklich nickte und
einen kurzen Blick mit Fin, dem Anführer ihrer Gang, tauschte. Dann drehte sie
ihren Kopf wieder, um den Flur zu beobachten, aus dem sie gekommen waren.
Sicher bereuten Lexi und Fin es, sie als jüngstes Teammitglied mit dieser
Aufgabe betraut zu haben. Dabei hatte sie so viel geübt. Hazel biss sich auf
die Lippen und straffte sich. Keine Schwäche zeigen. Sie schaffte das. Das
Vertrauen in sie war gerechtfertigt. Also musste sie diesen bescheuerten Zugang
endlich öffnen. Betont lässig strich sich Hazel eine Haarsträhne, die ihr immer
wieder die Sicht raubte, aus der Stirn. Erneut wandte sie sich dem
Sicherheitsschloss zu und blies langsam die Luft aus den Lungen. Nur die Ruhe.
Vergeblich versuchte sie, ihre Finger unter Kontrolle zu b kommen. Es konnte
doch nicht so schwer sein, diese achtstellige PIN einzugeben. Hazel starrte das
Tastaturfeld an, klemmte die Zunge an die obere Zahnreihe und hielt den Atem
an. Jetzt nur keine Bewegung zu viel. Das war ihr letzter Versuch, bevor das
System automatisch den Alarm auslöste. Ihre Hand schwebte über den Zahlen.
Bevor sie es sich anders überlegen konnte, tippte sie die Kombination ein. Ihr
Herz hämmerte im Takt dazu. 7-1-3-5-6-3-4-7. Nichts. Das Bedienfeld glühte noch
immer in diesem unheilvollen Rot. Hazel spannte sich an, während ihr Magen
rebellierte. Als sie die Sirene beinahe schon in ihren Ohren schrillen hörte,
sprang das Bedienfeld doch noch auf Grün und es klickte. Der Bolzen im Inneren
des Mechanismus schnappte zur Seite. Ein leises Summen gab die Tür frei und
Hazel atmete erleichtert aus. Vor ihren Augen tanzten schwarze Flecken. Noch
eine Sekunde länger und sie wäre vor Angst gestorben. Ganz sicher! »Gut
gemacht.« Ein roter Haarschopf schob sich neben sie. Zwischen den halblangen
Strähnen, die wirr in das Gesicht hingen, zwinkerte Fin sie anerkennend an.
Hitze breitete sich auf Hazels Wangen aus. Verlegen lächelte sie und rieb sich
den Nacken. Dass das jetzt ausgerechnet von ihm kam. Normalerweise war er der
Letzte, der ein nettes Wort für die Leistung anderer übrighatte – vor allem für
ihre. »Danke …« Ihre Stimme war kaum zu hören. Hazel räusperte sich und wischte
das Haar hinter ihre Ohren, um sich zu sammeln. Wenn sie Glück hatte, dann
bemerkte niemand, wie sehr sie dieses Lob gerade aus dem Konzept brachte. Das
war das Letzte, was sie gebrauchen konnte. Jake suchte sowieso schon ständig
neue Möglichkeiten, sie bloßzustellen. Da durfte sie nicht zeigen, dass sie mit
zu viel Aufmerksamkeit nicht gut umgehen konnte. Fin trat an Hazel vorbei und
stieß die Tür auf. Hazels Glieder bebten mittlerweile unkontrolliert. Das hier
war eine Nummer zu groß für sie. Wieso hatte sie sich darauf eingelassen? Weil
sie unbedingt mitwollte? Weil sie ihre Freunde so lange genervt hatte, bis sie
endlich Ja gesagt hatten, und dazu gehören wollte? Jetzt im Nachhinein kam ihr
dieser Wunsch vollkommen bescheuert vor. Noch einmal starrte sie auf das
Schloss. Irgendjemand drängte sie durch die Tür ins Innere. Drinnen! Sie waren
wirklich drin! Fin zögerte, ehe er sich umdrehte und jeden von ihnen ernst
musterte. »Wir haben zehn Minuten, bis unser Zeitfenster für den Auftrag endet.
Ihr wisst, was das bedeutet.« Hinter ihr schnalzte jemand. Der Laut klang
eindeutig unwillig. Fast stolperte Hazel über ihre eigenen Füße, als eine
schmale Gestalt sie unsanft zur Seite schob und sich an ihr vorbeizwängte.
Jakes Mimik wirkte genauso blasiert wie immer, als er sich in dem vollgestellten
Lagerraum umblickte. Auch Hazel schaute sich um. Drei lange Regalreihen standen
dicht an dicht bis zum hinteren Ende aneinander. Die Metallfächer quollen über
vor sperrigen Kisten in allerlei Größen. Bis unter die Decke reichte dieser
Wald aus Pappe. Der Waren wert musste in die Zehntausende gehen. Wieder
schnaufte Jake übertrieben laut. »Können wir jetzt endlich anfangen? Sie hat eh
schon zu viel Zeit verschwendet. Ich hätte halb so lang gebraucht.« Hazel biss
sich auf die Lippe. Sie hatte sich doch so bemüht. »Wir schaffen das schon. Es
ist noch genügend Zeit übrig.« Jakes ungewöhnlich weite Pupillen fixierten sie
ungnädig. »Ach, halt doch die Klappe, Brownie! Du weißt genau, dass wir die
nicht haben. Wenn wir auffliegen, dann nur deinetwegen! Wegen deiner
Unfähigkeit sind wir so langsam vorangekommen. Du hast es nicht drauf und jetzt
haben wir den Salat.« Hazel zuckte
zurück. Aus seinem Mund taten die Worte umso mehr weh und sie konnte nicht
verhindern, dass ihr Tränen in die Augen schossen. Ein Schatten schnellte nach
vorn. Lexis Finger gruben sich in Jakes hellen Zopf und sie riss seinen Kopf
grob zurück. »Entschuldige dich! Sofort! Sie hat ihre Zeit vom letzten Mal fast
um eine halbe Minute unterboten. Also hör auf, deinen Frust an ihr auszulassen.
Wenn du mit deinem armseligen Leben unzufrieden bist, dann such dir jemanden,
dem du gewachsen bist. Nenn sie noch einmal so und ich sorg dafür, dass dein
nächster Trip dein letzter war, verstanden?« Jake funkelte erst Lexi und danach
Hazel hasserfüllt an. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Ein Zeichen
dafür, dass seine Dosis Amphetamine zu lange her war. Abwehrend hob er die
Hände, lächelte dünn und riss sich los. »Ja, schon gut. War nich’ so gemeint.«
Hazel fühlte sich plötzlich müde. »Lass gut sein, Lexi.« Hatte sie wirklich
geglaubt, dass Jakes Verhalten sich ihr gegenüber ändern würde, wenn sie das
hier hinbekäme? Mit einem Mal flog hinter ihnen die Tür auf und knallte mit
einem Krachen gegen die Wand. »Na, wen haben wir denn da? Wenn das nicht unsere
kleine Versagertruppe aus Lewisham ist!« Hazel zuckte zusammen. Voller Angst
blickte sie dem hoch gewachsenen Jungen entgegen. Seine halblangen schwarzen
Haare lugten unter einem Käppi hervor und umrahmten sein bulliges Gesicht wie
ein Wischmob. Auf seiner Bomberjacke war eine sich aufbäumende Schlange mit
aufgerissenem Maul abgebildet, die den Betrachter anzugreifen schien. Aber die
Schlange jagte ihr keinen Schreck ein. Sie prangte als Erkennungszeichen
überall in diesem Viertel. Für das Klappmesser, das gerade in seiner Hand
aufschnappte, galt das allerdings nicht.
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