Samstag, 26. April 2025

[Schnipseltime] Beyond Light - Welt im Schatten von Katy J. Michels

 

»Jetzt macht schon!« Der warnende Piepton schnitt in ihre Ohren, als ihr Finger das falsche Feld drückte. Das Display flackerte rot auf und Hazel zuckte zusammen. »Verdammt, Jake! Hör auf, mich zu stressen! Ich kann das nicht, wenn du mir auf der Pelle hängst. Wegen dir löse ich noch den Alarm aus.« »Aber er hat recht«, erklang es neben ihr. Hazel hob den Kopf. Sie warf ihrer besten Freundin, die sich in einer eleganten Bewegung von der Wand abstieß und einen Schritt auf sie zumachte, einen finsteren Blick zu. Na wunderbar! Jetzt fiel Lexi ihr auch noch in den Rücken. Das blasse Gesicht, das von langen haselnussbraunen Haarsträhnen eingerahmt wurde, wirkte angespannt. Missmutig schaute Hazel ihr entgegen. Ein Starren, dem Lexi mit dem herausfordernden Funkeln ihrer sturmblauen Augen und dem vielsagenden Anheben ihres Smartphones begegnete, auf dem ein Timer rücksichtslos heruntertickte. So wenig Zeit blieb ihr noch? Hazel schluckte und sah von den Zahlen weg, die viel zu schnell davoneilten.  Plötzlich zitterten ihre Finger. Wie sollte sie das nur schaffen? Vor allem, wenn alle anderen offenbar an ihr zweifelten, bevor sie es überhaupt richtig versucht hatte? War ja nicht so, dass sie nicht schon ihr Bestes gab. Nur mühsam gewann Hazel ihre Ruhe zurück. Bloß nicht zeigen, wie sehr sie diese Erkenntnis in Panik versetzte. Wenn das hier schiefging … Hör auf! Daran denken, heißt scheitern. Also lass es und konzentrier dich, verdammt noch mal! »Je mehr ihr mich unter Druck setzt, desto weniger werde ich dieses Schloss knacken.« Ihre Stimme klang dünn. So elendig dünn. Lexis Mundwinkel zuckte, ehe sie unmerklich nickte und einen kurzen Blick mit Fin, dem Anführer ihrer Gang, tauschte. Dann drehte sie ihren Kopf wieder, um den Flur zu beobachten, aus dem sie gekommen waren. Sicher bereuten Lexi und Fin es, sie als jüngstes Teammitglied mit dieser Aufgabe betraut zu haben. Dabei hatte sie so viel geübt. Hazel biss sich auf die Lippen und straffte sich. Keine Schwäche zeigen. Sie schaffte das. Das Vertrauen in sie war gerechtfertigt. Also musste sie diesen bescheuerten Zugang endlich öffnen. Betont lässig strich sich Hazel eine Haarsträhne, die ihr immer wieder die Sicht raubte, aus der Stirn. Erneut wandte sie sich dem Sicherheitsschloss zu und blies langsam die Luft aus den Lungen. Nur die Ruhe. Vergeblich versuchte sie, ihre Finger unter Kontrolle zu b kommen. Es konnte doch nicht so schwer sein, diese achtstellige PIN einzugeben. Hazel starrte das Tastaturfeld an, klemmte die Zunge an die obere Zahnreihe und hielt den Atem an. Jetzt nur keine Bewegung zu viel. Das war ihr letzter Versuch, bevor das System automatisch den Alarm auslöste. Ihre Hand schwebte über den Zahlen. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, tippte sie die Kombination ein. Ihr Herz hämmerte im Takt dazu. 7-1-3-5-6-3-4-7. Nichts. Das Bedienfeld glühte noch immer in diesem unheilvollen Rot. Hazel spannte sich an, während ihr Magen rebellierte. Als sie die Sirene beinahe schon in ihren Ohren schrillen hörte, sprang das Bedienfeld doch noch auf Grün und es klickte. Der Bolzen im Inneren des Mechanismus schnappte zur Seite. Ein leises Summen gab die Tür frei und Hazel atmete erleichtert aus. Vor ihren Augen tanzten schwarze Flecken. Noch eine Sekunde länger und sie wäre vor Angst gestorben. Ganz sicher! »Gut gemacht.« Ein roter Haarschopf schob sich neben sie. Zwischen den halblangen Strähnen, die wirr in das Gesicht hingen, zwinkerte Fin sie anerkennend an. Hitze breitete sich auf Hazels Wangen aus. Verlegen lächelte sie und rieb sich den Nacken. Dass das jetzt ausgerechnet von ihm kam. Normalerweise war er der Letzte, der ein nettes Wort für die Leistung anderer übrighatte – vor allem für ihre. »Danke …« Ihre Stimme war kaum zu hören. Hazel räusperte sich und wischte das Haar hinter ihre Ohren, um sich zu sammeln. Wenn sie Glück hatte, dann bemerkte niemand, wie sehr sie dieses Lob gerade aus dem Konzept brachte. Das war das Letzte, was sie gebrauchen konnte. Jake suchte sowieso schon ständig neue Möglichkeiten, sie bloßzustellen. Da durfte sie nicht zeigen, dass sie mit zu viel Aufmerksamkeit nicht gut umgehen konnte. Fin trat an Hazel vorbei und stieß die Tür auf. Hazels Glieder bebten mittlerweile unkontrolliert. Das hier war eine Nummer zu groß für sie. Wieso hatte sie sich darauf eingelassen? Weil sie unbedingt mitwollte? Weil sie ihre Freunde so lange genervt hatte, bis sie endlich Ja gesagt hatten, und dazu gehören wollte? Jetzt im Nachhinein kam ihr dieser Wunsch vollkommen bescheuert vor. Noch einmal starrte sie auf das Schloss. Irgendjemand drängte sie durch die Tür ins Innere. Drinnen! Sie waren wirklich drin! Fin zögerte, ehe er sich umdrehte und jeden von ihnen ernst musterte. »Wir haben zehn Minuten, bis unser Zeitfenster für den Auftrag endet. Ihr wisst, was das bedeutet.« Hinter ihr schnalzte jemand. Der Laut klang eindeutig unwillig. Fast stolperte Hazel über ihre eigenen Füße, als eine schmale Gestalt sie unsanft zur Seite schob und sich an ihr vorbeizwängte. Jakes Mimik wirkte genauso blasiert wie immer, als er sich in dem vollgestellten Lagerraum umblickte. Auch Hazel schaute sich um. Drei lange Regalreihen standen dicht an dicht bis zum hinteren Ende aneinander. Die Metallfächer quollen über vor sperrigen Kisten in allerlei Größen. Bis unter die Decke reichte dieser Wald aus Pappe. Der Waren wert musste in die Zehntausende gehen. Wieder schnaufte Jake übertrieben laut. »Können wir jetzt endlich anfangen? Sie hat eh schon zu viel Zeit verschwendet. Ich hätte halb so lang gebraucht.« Hazel biss sich auf die Lippe. Sie hatte sich doch so bemüht. »Wir schaffen das schon. Es ist noch genügend Zeit übrig.« Jakes ungewöhnlich weite Pupillen fixierten sie ungnädig. »Ach, halt doch die Klappe, Brownie! Du weißt genau, dass wir die nicht haben. Wenn wir auffliegen, dann nur deinetwegen! Wegen deiner Unfähigkeit sind wir so langsam vorangekommen. Du hast es nicht drauf und jetzt haben wir den Salat.«  Hazel zuckte zurück. Aus seinem Mund taten die Worte umso mehr weh und sie konnte nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen schossen. Ein Schatten schnellte nach vorn. Lexis Finger gruben sich in Jakes hellen Zopf und sie riss seinen Kopf grob zurück. »Entschuldige dich! Sofort! Sie hat ihre Zeit vom letzten Mal fast um eine halbe Minute unterboten. Also hör auf, deinen Frust an ihr auszulassen. Wenn du mit deinem armseligen Leben unzufrieden bist, dann such dir jemanden, dem du gewachsen bist. Nenn sie noch einmal so und ich sorg dafür, dass dein nächster Trip dein letzter war, verstanden?« Jake funkelte erst Lexi und danach Hazel hasserfüllt an. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Ein Zeichen dafür, dass seine Dosis Amphetamine zu lange her war. Abwehrend hob er die Hände, lächelte dünn und riss sich los. »Ja, schon gut. War nich’ so gemeint.« Hazel fühlte sich plötzlich müde. »Lass gut sein, Lexi.« Hatte sie wirklich geglaubt, dass Jakes Verhalten sich ihr gegenüber ändern würde, wenn sie das hier hinbekäme? Mit einem Mal flog hinter ihnen die Tür auf und knallte mit einem Krachen gegen die Wand. »Na, wen haben wir denn da? Wenn das nicht unsere kleine Versagertruppe aus Lewisham ist!« Hazel zuckte zusammen. Voller Angst blickte sie dem hoch gewachsenen Jungen entgegen. Seine halblangen schwarzen Haare lugten unter einem Käppi hervor und umrahmten sein bulliges Gesicht wie ein Wischmob. Auf seiner Bomberjacke war eine sich aufbäumende Schlange mit aufgerissenem Maul abgebildet, die den Betrachter anzugreifen schien. Aber die Schlange jagte ihr keinen Schreck ein. Sie prangte als Erkennungszeichen überall in diesem Viertel. Für das Klappmesser, das gerade in seiner Hand aufschnappte, galt das allerdings nicht.


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