Sonntag, 14. Juli 2024

[Schnipseltime] Eichenkreis der Liebe von Sabine Reifenstahl


 

»Du bist schon wach?«, ertönte eine Baritonstimme. »Eigentlich wollte ich vorher weg sein.« Ein Handtuch um die Hüfte geschlungen, trat ein gut aussehender junger Mann ein. Wassertropfen rannen aus dem langen, dunklen Haar, sammelten sich zu Rinnsalen, die über die Brust flossen, den Bauch hinab.

Entschieden zwang Connor den Blick ins Gesicht seines Gegenübers.

»Ich hätte dich nicht ansprechen sollen, dann wäre uns diese Peinlichkeit erspart geblieben.« Eilig schlüpfte Jonas in Jeans und T-Shirt. »Es ist nichts passiert, was dir Sorgen bereiten muss.« Er senkte die Stimme. »Falls du jedoch noch mal jemanden zum Reden brauchst oder für mehr, meine Nummer liegt auf der Kommode im Flur. Danke. Du hast mir gutgetan und mich vergessen lassen, für eine kurze Weile. Glaub mir, es gibt Schlimmeres, als verlassen zu werden! Wenn der Tod deine Liebe fortreißt, stirbt etwas in dir.«

»Davon wusste ich nichts. Wir haben nur über mich geredet.«

»Mir hilft es nicht, darüber zu sprechen, im Gegenteil. Deine Nähe war tröstlich. Dir hat es auch gefallen, obwohl du danach deutlich erklärt hast, dass du nicht schwul bist.«

Verlegen schaute Connor ihn an. »Es tut mir leid, Jonas, manchmal benehme ich mich idiotisch. Möchtest du Kaffee?«

»Ich gehe besser. Du bist nicht schwul und ich nicht auf der Suche.«

»Bitte entschuldige, ich wollte dich nicht verletzen.«

»Damit verletzt du lediglich dich selbst und nimmst dir die Möglichkeit, glücklich zu sein. Was ist so schlimm daran, einen Mann zu lieben?«

»Nichts, aber ich möchte Familie.«

»Was hat das eine mit dem anderen zu tun?« Kopfschüttelnd sah Jonas sich um. »Wie lange wohnst du hier? Einige Monate? Du hast nicht mal ausgepackt.«

»Es kam ständig etwas dazwischen.«

»Dein Selbstmitleid? Solange es hier aussieht wie in einem Lagerhaus, wirst du nie ankommen. Pack die Umzugskartons aus, schließ mit dem ab, was ohnehin hinter dir liegt, und fang neu an! Das Einzige, was zählt im Leben, ist die Liebe. Kein fauler Kompromiss. Du trauerst nicht der Zeit mit Nadja nach, sondern dem, was ihr hättet haben können.«

Ertappt schluckte Connor. Das beschrieb seine Motive präzise. Aus dem Grund hatte er an der Ehe festgehalten, obwohl das Zusammenleben immer anstrengender wurde. Wäre er ehrlich mit sich gewesen, hätte er die Scheidung eingereicht, bevor Nadja ihm zuvorkam. »Im Nachhinein ist man meist schlauer.«

»Als ich Jasmin traf, wusste ich, dass sie es ist und habe nie daran gezweifelt. Mit ihr wollte ich alt werden.« Tränen rannen Jonas über die Wangen. Nachlässig wischte er sie mit dem Handrücken fort. »Mach’s gut!« Ohne sich umzusehen, ging er.

Hörbar fiel die Haustür ins Schloss.

Erstaunt schaute Connor ihm nach, sein Herz raste. Instinktiv wollte er dem jungen Mann nacheilen, ihn umarmen und trösten. Seine Worte hatten ihn berührt.

Das Einzige, was zählt, ist die Liebe.

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