Dienstag, 10. Oktober 2023

[Schnipseltime] Dreierblues von Barbara Schwarzl


 

Wenig später steigen sie in einen verbeulten, roten Fiat Panda älteren Datums, der in einer Seitengasse unweit der Krankenhauszufahrt parkt. Richie begrüßt den Fahrer mit einem lässigen Handschlag und setzt sich auf die Rückbank, während Hans auf dem Beifahrersitz Platz nimmt und dem jungen Mann neben ihm, den er auf Mitte zwanzig schätzt, freundlich zunickt. Aus den für dieses kleine Auto überdimensionierten Lautsprechern ertönt abendländische Musik, zu der der Fahrer, der sich Hans wohlerzogen mit „Ümit“ vorgestellt hat, dem Rhythmus entsprechend seinen Oberkörper bewegt. Mit einer Zigarette in der rechten Hand lenkt er das Fahrzeug durch das Villenviertel, das Glacis entlang ins ehemalige Scherbenviertel, das seit dem Kulturhauptstadtjahr vor mehr als zehn Jahren einen unglaublichen Boom erlebt, den hier seit Ewigkeiten vorherrschenden, verruchten Nachtlokalen zum Trotz. Alternative Künstler und Intellektuelle haben sich als Kontrapunkt zum Univiertel auf der gegenüberliegenden Flussseite angesiedelt. Interessante Geschäftsmodelle, kleine Läden, pfiffige Restaurants und Cafés schießen hier, wohin vor zwanzig Jahren niemand freiwillig seinen Fuß gesetzt hätte, wie Schwammerln aus dem Boden. Das erklärt den Parkplatzmangel in dieser Gegend. Egal zu welcher Tageszeit.

Ümit lässt Hans und Richie auf dem mit Kastanienbäumen bewachsenen Platz, wo vormittags Bauern Produkte aus der Region anpreisen, aussteigen. Sie schauen Ümits Panda nach und überqueren die Straße.

An Richies innerem Auge huschen hastig Bilder von Drogendealern, Prostituierten und heruntergekommenen Typen vorbei, von denen er selbst einer zu sein scheint. Er fühlt sich mit einem Schlag in die Vergangenheit zurückkatapultiert. Er glaubt die Stimmen alter Bekannter zu vernehmen, die nach ihm rufen, fragen, ob er Stoff habe oder welchen brauche. Seit zwei Jahren ist er aus Furcht vor der unvermeidlichen Erinnerung nicht in dieser Gegend gewesen, die jahrelang sein albtraumhaftes Zuhause war. Hastig fokussiert Richie seinen Blick auf das Jetzt. Hans hat sich bei ihm eingehängt und er spürt seine Körperwärme und seinen schweren Atem. Für seine Gegenwart ist er ihm in diesem Moment unbeschreiblich dankbar. Er lässt sich seine momentanen Qualen nicht anmerken, denn für Hans soll es ein unvergesslicher Abend werden. Nur das zählt. Irgendwann wird auch seine Erinnerung verblassen, hofft Richie.

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