Dienstag, 4. April 2023

[Schnipseltime] Wo die Sonne untergeht von Johanna Koers


 

Brief einer Verstorbenen an ihren Ehemann:

„Für Alex“, las er – ihre Handschrift.

Anmutig strich er mit dem Daumen darüber, bevor er ihn umdrehte und zu öffnen begann: diesmal würde er ihn lesen. Hier oben auf dem Berg. Da, wo sie glücklich sein sollten, genau hier, im Strandkorb. Hier war der richtige Ort.

Seine Hände zitterten so sehr, dass er eine gefühlte Ewigkeit brauchte, bis das zusammengefaltete Blatt Papier aus dem Briefumschlag in seinen Händen lag. Die Buchstaben und Worte vor seinen Augen wackelten. Für einen Moment schloss er die Lider, versuchte sich auf seinen Atem zu konzentrieren, bevor er sie öffnete

und zu lesen begann…

»Liebster Alex,

vermutlich ist bereits einige Zeit seit meinem Tod vergangen. […] Ich bin stolz auf dich. Du bist ein wundervoller Vater und du schaffst es jeden Tag ohne mich zu leben.«

Alex schluckte, atmete tief aus. Immer noch zitterten seine Hände. Er hatte das Gefühl, als würde e direkt neben ihm sitzen, als höre er ihre Stimme, die mit ihm sprach. Sie war ihm so nah.

»Ich weiß, dass du große Angst davor hattest, existenzielle Angst. Aber du hast nicht aufgegeben. Und wenn du diesen Brief nun liest, dann weiß ich, dass du auf einem guten Weg bist… ich bin froh, dass du dein Versprechen gehalten hast: Dass du die Frau, die ich dir geschickt habe, in dein Leben gelassen, ihr eine Chance gegeben hast. […] Sicher seid ihr schon zu lauter Musik durchs Wohnzimmer getanzt. Vielleicht habt ihr schon einen Berg bestiegen. Sie wird dir gesagt haben, dass sie in dich verliebt ist, dass du ihr wichtig bist, dass sie dich liebt…. Und du…«

Alex konnte das Lächeln, das in dem Moment, wo sie diese Worte niedergeschrieben hatte, auf ihrem Gesicht gelegen hatte, förmlich vor sich sehen. Sie kannte ihn gut. Besser als jeder andere.

»Du wirst geschluckt und automatisch an mich gedacht haben, richtig?... Hör zu, Alex: Es ist okay. Es ist gut, was du fühlst und es macht mich überglücklich.«

Eine Träne trat aus seinem Auge hervor, floss heiß über seine Wange, langsam… er konnte sie jeden Millimeter auf seiner Haut spüren, bis sie an seinem Kinn kurz zum Stehen kam und dann hinunterfiel.

»Du warst die Liebe meines Lebens. Du warst der Mittelpunkt meiner Welt. Meine Liebe zu dir wird niemals enden, über den Tod hinaus, über die Grenze zwischen hier und dort. Und ich weiß, dass auch du mich immer lieben wirst. Ich habe keinerlei Zweifel daran, denn das, was uns verbindet, ist unantastbar, unberührt - das verspreche ich dir.

Alex…

Ich werde immer bei dir sein.

Wenn die Sonnenstrahlen dein Gesicht wärmen, streichelt meine Hand sanft deine Wange.

Wenn du einen Berg besteigst, nicht weiter weißt und plötzlich doch einen Weg findest,

werde ich dich darauf aufmerksam gemacht haben.

Wenn du am Meer bist und den Wellen lauscht, werde ich neben dir sein und den Klang intensivieren.

Wenn du einen Sonnenuntergang siehst, werde ich ihn für dich in noch wunderschöneren Farben leuchten lassen.

Wenn der Wind durch dein Haar fegt, wird es meine Hand sein, die dein Haar zerzaust und lächelnd `schon besser´ sagt.

Und wenn ein Regentropfen dein Gesicht streift, werde ich dir sanft einen Kuss geben. Und dir zuflüstern:

`Ti amo, Alex. Ti amero per sempre.´«

 

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