XXL LESEPROBE
AJs Wippen auf den Fersen
wurde intensiver. Die Hände öffneten und ballten sich im Sekundentakt. So viel
aufgestaute, negative Energie. Wahnsinn! Ich sparte mir einen weiteren Anpfiff,
er wusste sehr gut, welchen Eindruck er bei mir hinterließ. Ein Kennzeichen zu
kennen oder den Halter des Wagens dahinter ausfindig zu machen, waren zwei
verschiedene Paar Schuhe.
»Du
hast meine Anrufe nicht entgegengenommen«, sagte er kaum hörbar. »Ich wusste
mir nicht mehr anders zu helfen.«
Fuuuuck!
»Es geht nicht, das habe ich dir gesagt. Mehrfach sogar.« Wie sollte ich mich
jemals von ihm fernhalten können, wenn er nur vor mir stehen musste, um mein
Verlangen nach ihm anzukurbeln? Es fiel mir verdammt schwer, Haltung zu
bewahren. Ihn nicht zu schütteln und gleichsam abzuknutschen.
»Siehst
du das hier?«, fragte ich mit gesenkter Stimme. »Das sind 30 Quadratmeter
inklusive Dusche, WC, Herd und Kühlschrank. Mehr kann ich mir nicht leisten.
Das steht im krassen Gegensatz zu deinem Leben.« Seine Augen glänzten
verdächtig und seine Lippe verschwand zwischen den Zähnen. »Okay, AJ? Ist es
jetzt bei dir angekommen? Wir passen nicht zusammen.« Aus einem Impuls heraus
strich ich ihm über die Wange, sofort drängte er sich der Berührung entgegen.
Alles in mir schrie danach, ihn zu packen und so lange zu ficken, bis wir beide
vergaßen, wer wir waren. Aber die Realität war eine andere.
Ich
ließ von ihm ab, es schmerzte zu sehr. »Wir sind grundverschieden und deshalb
geht das nicht mit uns. Tu mir den Gefallen und geh. Hast du vor dem Haus
geparkt?«
»Ich
habe mich fahren lassen«, gestand er und fasste nach meiner Hand, legte sie
sich erneut an die Wange, während sich eine einsame Träne aus seinem
Augenwinkel wand. »Ich kann dich nicht vergessen, Kylar. Gib mir bitte eine
Chance.«
Die
Tür krachte gegen die Wand, AJ zuckte zurück, der sentimentale Moment wurde
gesprengt. Joe stand auf der Schwelle. »Dauert das noch länger?« Demonstrativ
hielt er erneut die Hand auf. »Kannst gleich einen Zehner mehr für Can mit
reinlegen, der wird auch schon ungeduldig.«
AJ
fing sich schneller als ich, fischte Scheine aus der Innentasche seines
Jacketts und hielt ihm zwei Fünfziger hin. »Reicht das?«
»Für
eine halbe Stunde.« Joe beäugte ihn komisch und in mir ging ein Alarm an.
Tatsächlich trat mein Nachbar einen bedrohlichen Schritt auf AJ zu. »Will er
dich nicht ficken?«, fragte er AJ süffisant. »Ich kann dich rannehmen. Umsonst
besorg ich es dir allerdings nicht.«
Harsch
riss ich Joe herum. »Fass ihn nie wieder an, ich warne dich! Raus hier!«
»War
nur Spaß, Bro.« Er grinste hämisch, zog sich aber zum Glück zurück.
»Fuck,
ey«, presste ich hervor und packte AJ am Kragen. »Du dürftest gar nicht hier
sein. Die machen dich fertig, Mann. Sobald ich weg bin, bist du fällig. Ruf
deinen Fahrer an und lass dich abholen. Jetzt! Ich warte hier mit dir.«
»Du
hast echt Angst um mich.« Ein unfassbar bezauberndes Lächeln zeigte sich auf
seinem Gesicht. Oh Gott! »Ich bin dir nicht egal. Ich wusste es! Und ich werde
jetzt garantiert nicht gehen.« Sachte packte er auf meine Hände, die ich
langsam von seinem Kragen löste und wie gelähmt vor ihm stehen blieb.
Mit
zitternden Fingerspitzen strich er meine Schläfe entlang, schob mir eine
Strähne hinters Ohr und ich saugte die Zärtlichkeit in mich auf, wie er zuvor
die meine. »Nimm mich mit. Ich kann dir beim Ausladen helfen und du zeigst mir
dafür dein neues Zuhause. Ich organisiere was zum Essen, dann reden wir.«
Mir
war zum Heulen zumute. Alternativ zum Schreien. Was machte er mit mir? Ich nahm
seine Hand, setzte einen Kuss auf die Innenfläche und drückte sie sanft. Wenn
er meine Worte nicht hören wollte und die Größe der Wohnung ihn nicht
abschrecken konnte, überzeugten ihn hoffentlich Tatsachen. »Okay, AJ. Okay«,
beruhigte ich ihn und mich damit ebenfalls. »Ist gut, du hast gewonnen. Wir
werden reden. Pack mit an, dann schließe ich ab und wir fahren los.« Mit hart
klopfendem Herzen trat ich von ihm zurück, deutete auf die Kartons. »Nimm einen
davon, die anderen beiden nehme ich.«
Selig
verzog er die Lippen zu einem Lächeln. »Danke!«
»Abwarten.«
Der Abschied war nur aufgeschoben, dabei tat es jetzt schon unfassbar weh. »Ich
hoffe, dein Fahrer holt dich auch in der Bronx ab.«
»Uh,
spannend! Die Bronx ist im Kommen und zeigt in den letzten Jahren immer mehr
schöne Seiten. Gute Entscheidung, den Bezirk zu wechseln.« Er schnappte sich
einen der Kartons und stapfte zur Tür. »Stefano fährt mich auch bis zur Küste,
wenn ich mir das wünsche, kein Problem. Er weiß, dass ich ihn heute noch
brauche und ist abrufbereit.«
»Perfekt«,
sagte ich lahm, schob ihn aus der Tür, schloss ordentlich ab und nickte Joe zum
Abschied zu, der mit verschränkten Armen im Flur gegenüber an der Wand lehnte.
»Einmal
die Treppe runter, unten nach links, die zweite Tür führt raus auf den Hof«,
wies ich AJ an und drängte ihn gleich darauf an Can vorbei, der gelangweilt und
rauchend auf einem kaputten Stuhl unter einem undichten Partyzelt lümmelte.
Auch ihm nickte ich lediglich zu. Dieses Kapitel meines Lebens war beendet. Wir
verstauten die drei letzten Kartons, gleich darauf glitt ich neben AJ auf den
Fahrersitz und zog einen Mundwinkel hoch. »Bereit, dich in den Abgrund der
Armut entführen zu lassen?«