Am nächsten Morgen war er, als
er die Augen aufschlug, allein. Aus dem Badezimmer hörte er das Wasser in der
Dusche rauschen und leise Flüche. Irritiert zog er die Brauen zusammen und
rappelte sich auf.
Er ächzte, als er auf die Füße
kam. Zwar war ihm der befürchtete Kater erspart geblieben, doch seine Arme und
Beine taten weh. Auch eine andere strapazierte Region seines Körpers machte
sich bei mancher Bewegung erst einmal grimmig bemerkbar. Die Handgelenke waren
zum Glück nur gerötet und aufgescheuert, aber nicht blutig. Sehen durfte sie
trotzdem besser niemand.
Zögerlich stieg er in seine
Unterwäsche und näherte sich im Anschluss der Badezimmertür. Fehlender
Wasserdampf verriet ihm die Ursache des Fluchens. Das Wasser kam auch heute
Morgen einmal mehr nur lau aus der Leitung. Schon bevor er die Tür öffnete, um hinein
zu sehen, wusste er, wer dort duschte.
Morosow stand mit dem Gesicht
zur Wand und verlagerte sein Gewicht immer wieder von einem Bein aufs andere.
Er fühlte sich offensichtlich unbehaglich unter dem kalten Wasserstrahl.
Alexei musterte Ivans breite
Schultern, die klar definierten Muskeln und folgte ihnen mit dem Blick über
Oberarme und den Rücken. Er selbst sah sich nicht als unsportlich, doch der
Oberstleutnant war eben ein wenig athletischer als er. Ohne regelmäßiges Training
waren diese Proportionen aber sicher nicht in dieser Form zu halten.
Ob er ein Fitnessstudio
besucht, wenn er zuhause ist?, schoss
es ihm durch den Kopf.
Ivan drehte das Wasser ab,
wandte sich um und hielt in der Bewegung inne. »Oh, guten Morgen!«
Alexei konzentrierte sich
darauf, ihm ins Gesicht zu sehen, und reichte ihm wortlos ein Handtuch.
Wie alle Soldaten trug der
Dunkelblonde gerade nichts als seine Erkennungsmarken, die eigentlich niemand
von ihnen jemals abnahm. Sie wurden mit den Jahren zu einem festen Bestandteil
ihres Körpers, über den sie gar nicht mehr nachdachten.
»Danke.«
Blaugrüne Augen sahen ihn
forschend an. »Geht es dir gut?«
»Soweit ja, warum?«, erwiderte
er, da Ivan besorgt wirkte.
»Nun ja, du stehst da und
sagst nichts«, gab der Größere zur Antwort und fing an, sich abzutrocknen.
»Ich habe morgens für
gewöhnlich nie nackte Männer im Bad«, meinte Alexei leise und ohne jegliche
Regung. »Mir fiel einfach nichts Eloquentes ein.«
Er verließ den viel zu kleinen
Raum.
»Warum gibt es eigentlich im
ganzen Quartier kein warmes Wasser?«
Alexei war eben dabei das Hemd
seiner Uniform zu schließen, als der Oberstleutnant nur in Hosen bei ihm
angelangte.
Er hatte keinen Blick dafür
gehabt, wo die Kleidung des anderen Mannes am Abend gelandet war, doch er hatte
den Eindruck, dass er sie ordentlich abgelegt hatte.
Sie war zumindest nicht
zerknittert.
»Ein technisches Problem mit
den Boilern«, erwiderte er leise. »Es betrifft das gesamte Lager. Wir warten
schon seit Wochen auf Ersatz. Entweder funktionieren sie gar nicht oder sie
halten das Wasser nicht lange warm, weil sie ausfallen. Die Stromausfälle, die
wir immer wieder haben, machen es nicht besser. Das Warmwasser ist aus Gründen
nicht an die Notstromversorgung gekoppelt. Ich bin vom Kapitan angewiesen
worden, wöchentlich Ersatz anzufordern, damit endlich was passiert, aber
bislang ist nichts angekommen.«
Er sprach so sachlich, als
würde er einem Vorgesetzten Bericht erstatten. Letztlich machte er das wohl
gerade tatsächlich.
Ivan kniff verärgert die Augen
zusammen, packte Alexei dann ohne Vorwarnung am Arm und zog ihn näher an sich
heran.
Er versuchte sich, zu befreien
und zurückzuweichen, hatte damit jedoch wenig Erfolg.
»Du bist heute kalt wie ein
Fisch«, meinte der Ältere und zog ihn dichter. »Was ist los? Ich hab dich ja
schon oft so eiskalt und rational gesehen, aber bei ganz anderen Gelegenheiten
und ich will wissen, was jetzt gerade los ist. Ist irgendetwas nicht in
Ordnung?«
Erneut versuchte er, sich aus
dem Griff zu winden. Ein unbestimmtes Gefühl der Panik schnürte ihm die Kehle
zu. Zögernd öffnete er den Mund, um etwas zu erwidern, aber eigentlich wusste
er nicht, was er sagen sollte.
Ivan sah ihn unnachgiebig an
und als er dem Blick auswich, wurde er am Kinn gepackt, um Blickkontakt zu
erzwingen. »Also?«
Er schluckte gegen den Kloß im
Hals an und räusperte sich.
»Sie überfordern mich, Herr
Oberstleutnant! Das hier geht gerade zu weit!«, sprach er mit belegter Stimme
und nahm jetzt seine eigenen Hände zur Hilfe, um sich zu befreien.
Dass er nun auf den Rang
auswich, ließ Ivan erkennbar stutzig werden. Dafür wurde sein Arm endlich
losgelassen.
»Aljosha, sag mir, was los
ist!«, forderte der andere ihn auf und es war nicht zu überhören, dass er
besorgt war.
Er drehte dem Älteren den
Rücken zu und griff nach den Zigaretten.
»Wenn ich Dinge nicht
einordnen kann, schiebe ich sie vor mir her, bis ich bereit bin, mich damit
auseinanderzusetzen«, murmelte er, öffnete das Fenster und steckte sich eine
Kippe an. »Ich versuche dann, objektiv und rational zu sein. Emotional kann ich
nicht gut.«
Arme umfassten ihn von hinten.
Er versteifte sich.
Ivan nahm ihm die Zigarette
aus der Hand, um selbst daran zu ziehen.
»Ich hatte dir gesagt, du
sollst hier nicht rauchen«, murrte er. »Ich wollte aufhören!«
Das erklärte zumindest den
Widerspruch zwischen dem Rauchverbot, das Alexei nicht befolgt hatte, und Ivans
Verhalten. Der hatte gestern immerhin selbst geraucht.
Mit seinem inneren Chaos kam
er jedoch nicht weiter. Für gewöhnlich hasste er es, berührt zu werden. Einem
anderen so nahe sein wollte er erst recht nicht, aber es war in diesem Fall
nicht vergleichbar und trotz der Vergangenheit kam er nicht darum herum, die
Gegenwart gerne neu betrachten zu wollen. Damit kam er nicht zurecht und
deshalb wollte er lieber sachlich bleiben.
Ivan ließ ihm die Möglichkeit
aber nicht, weil er ihn dazu zwang, sich jetzt mit der Sache
auseinanderzusetzen. Lippen berührten federleicht seinen Nacken und ein
Schauder lief ihm über den Rücken. Neben seiner Wange zog ausgeblasener, blauer
Rauch vorbei und nach einem weiteren Zug bekam er die Zigarette zurück. Der Arm
des anderen Mannes blieb jedoch um seinen Oberkörper geschlungen. Das war
seltsam angenehm und er hoffte, dass sie niemand so am Fenster stehen sah.
»Und jetzt verrate mir, wie es
dir geht!«, forderte Ivan ihn erneut auf. »Was ist mit dir los?«
»Sie überfordern mich, Herr
Oberstleutnant«, wiederholte Alexei. »Ich… ich weiß nicht… was war das
gestern?«
Ein Geräusch, das am ehesten
ein unterdrücktes Lachen war, drang an sein Ohr. Der Arm drückte ihn fester
gegen den nackten Oberkörper des Größeren. »Nun, ich würde behaupten, wir
hatten verdammt heißen Sex, nachdem du dir irgendein Mittelchen eingeworfen
hattest, mit dem du schlafen wolltest, dass sich aber offenbar nicht so gut mit
Alkohol verträgt«, flüsterte der andere Mann ihm ins Ohr.
Die Worte und der lüsterne
Tonfall trieben ihm die Röte ins Gesicht.
»Viel Überzeugungskraft habe
ich ja nicht gebraucht und irgendwann warst du ziemlich geil auf mehr. Du hast
zumindest nach mehr verlangt. Danach hattest du wohl eine kleine Panikattacke,
aber zum Glück hast du dich ja schnell wieder beruhigt.«
Die freie Hand des
Oberstleutnants strich über Alexeis Bauch.
»Und ich muss sagen, wenn ich
nur an deine Stimme denke, mit der du mich gestern angebettelt hast, es dir
richtig zu besorgen, werde ich schon hart und würde dich am liebsten gleich
wieder…«
Er spürte, was er meinte, als
die Hand ihn gegen den Unterleib hinter sich drückte und holte tief und
stockend Luft.
»Nur wird das warten müssen«,
äußerte der andere sein Bedauern. »Denn leider gibt es hier ja auch etwas
Arbeit und in der Zeit, in der ich versuche herauszufinden, was mit den neuen
Boilern ist, setzt du einen neuen Antrag auf. Dieses Mal mit deutlich
mehr Nachdruck!«