Sonntag, 16. Januar 2022

[Schnipseltime] Dragongames - Dunkle Verführung von Michelle LeFay

 

Marmorsäulen ragen zu der hohen Decke hinauf, von der weiß blühende Äste und kleine Laternen herabhängen. Ein wenig fühle ich mich an den römischen Petersdom erinnert, nur dass die Kuppeln über mir unbemalt und relativ zierdefrei sind.

Von irgendwo her dröhnt laute Musik durch die umliegenden Mauern, ähnlich wie bei einem Konzert.

Ich weiß nicht, was ich hier tue, warum ich barfuß bin oder weshalb die Umrisse vor meinen Augen so plastisch sind, doch die Neugier lässt meine Füße einfach weitergehen.

Während ich ein paar Worte aus den fröhlichen Gesprächen um mich herum aufschnappe, lande ich schließlich unter einem der gro­ßen steinernen Rundbögen, unter denen sich der Fluss der Leute zeitweilig staut.

Bevor es endlich weitergeht, drückt mir der Typ am Durchlass plötzlich einen staffelähnlichen Stab in die Hand. Seine vorangegan­gene Frage konnte ich aufgrund des Geräuschpegels (und meiner anhaltenden Verwunderung) nicht wirklich verstehen und habe des­halb nur genickt. Solange ich nichts bezahlen muss …

Als ich ihn hinter mir lasse, bleibe ich nach ein paar Metern so abrupt stehen, dass unweigerlich ein paar Leute in mich hineinlau­fen. Denn unter mir befindet sich eine überwältigende, riesige … sorry, mir fehlt einfach das Wort dafür!

Wie kann etwas ein geschlossener Raum und gleichzeitig so offen sein?

Zwar weiß ich nun, woher die Musik kommt, und auch die Lichtshow erinnert mich an die diversen Konzerte, auf denen ich mit Ebony war, aber das hier schlägt wirklich alles!

Auf einer Seite befindet sich eine steinerne Bühne, die gut und gerne zwei Flugzeugen Platz bieten würde. Zahllose, bereits dicht gefüllte Ränge schwingen sich seitlich von dort in die Höhe, ähnlich einem Amphitheater.

Ganz oben – auf der Ebene, auf der ich mich befinde – ragen halbrunde Emporen aus Schiefer über alle Reihen hinweg, wie die Blüten einer Blume.

Ein paar Meter weiter steht wieder eine Art Kontrolleur, wirft einen Blick auf meine Hände und sortiert mich anschließend kom­mentarlos in eine der verschiedenen Reihen ein. Ich staune über die Menschenmassen, bekomme die Augen kaum zu und laufe einfach mit dem Strom. Ein bisschen habe ich Angst um meine nackten Füße, aber gottseidank ist der Boden weder klebrig noch von Scher­ben oder Müll übersät.

Zu meinem Glück lande ich auf einer der besagten Emporen. Leider ge­langt man nicht ganz bis zum Rand, denn Balustraden bilden eine Barriere, damit die Leute nicht hinunterstürzen. Aber das macht nichts: Auch so ist die Aussicht von hier phänomenal!

Erst jetzt entdecke ich ein Netz, das sich in einem Oval vom Bühnenplateau bis zur gegenüberliegenden Seite spannt. Sternbilder schimmern darauf, als hätten sie den Glanz der echten eingefangen. Der Boden darunter liegt im Dunkeln … naja, zumindest nehme ich an, dass da einer ist, aber sicher bin ich mir nicht.

Ich habe mich fast bis zur Balustrade vorgearbeitet, als im selben Moment eine Art Stadionsprecher-Duo die Bühne betritt und die Zuschauermenge anheizt: »Seid Ihr bereit, Ladies und Gentlemen, für die zweite Auflage der diesjährigen Arkadenspiele?«

Unter tosendem Applaus bekundet das Publikum seinen Zu­spruch. Ich bin nicht sonderlich gut im Schätzen, aber an die Vierzigtausend dürften es sein. Und die Energie, die die Masse ent­fesselt, ist förmlich körperlich spürbar, wie ein Sturm, der einem über die Haut brandet.

Erst auf den zweiten Blick merke ich, dass sich in dem Bereich, wo ich stehe, ausschließlich Frauen befinden. Frauen in meinem Al­ter, aber auch ein paar ältere und jüngere.

Während einer der Sprecher dazu übergeht, gewisse Regeln zu erläutern, bleibt mein Verstand an nur einem einzigen seiner Worte hängen: Drachenreiter.

Es wird einen Wettkampf geben, so viel begreife ich. Aber den Rest, den er von sich gibt, kann ich kaum glauben.

Drachenreiter. Das also sind deine geheimen Fantasien, Ariel?

 Dem zweiten Sprecher kommt die Aufgabe zu, alle Teilnehmer vorzustellen. Von den Wänden im Hintergrund zu meiner Rechten entrollen sich riesige Plakate mit den Konterfeis derjenigen, ein Dutzend an der Zahl. Auch eine Frau sehe ich darunter, offenbar die einzige weibliche Teilnehmerin.

Als der Moderator schließlich das letzte Plakat mit dem Namen Tristan del Ascada vorstellt, bersten mir fast die Ohren, so laut ist die Resonanz darauf.

Nummer Zwölf ist ein unverschämt gutaussehender Typ: Nachtschwarzes Haar, leicht südländischer Teint und basaltgraue Augen, die einen ganz besonderen Zauber ausstrahlen – nicht nur auf mich, wie ich anhand eines raschen Rundumblicks erkenne: Die meisten hier schmachten sein Konterfei an.

Ich habe den Eindruck noch nicht ganz verarbeitet, da gleiten mit einem Mal sechs Drachen aus den Schatten der Arena und schwingen sich rasant in die Höhe.

Scheinwerfer begleiten ihre Flugbewegungen und setzen so gleichzeitig die Personen auf ihren Rücken in Szene:

… Drachenreiter.

Mag sein, dass ich viel Fantasie besitze. Im meinem Job ist das ja auch irgendwie Voraussetzung. Aber DAS hier ist ebenso un­glaublich wie atemberaubend!

Ich bin völlig überwältigt von den anmutigen, edlen Tieren! Wie sie ihre riesigen Flügel schwingen, sich elegant bis zur Schwanz­spitze strecken und dabei diese unnachahmlichen Geräusche machen. Da werden die Reiter fast zur Nebensache.

Apropos – Nummer Zwölf ist noch nirgends zu sehen.

»Gibt es zwei Gruppen?«, wende ich mich kurzerhand an eine rothaarige Frau neben mir, die daraufhin eifrig nickt.

Nach einer kurzen Aufwärmphase müssen die Reiter mit ihren Drachen unterschiedliche Stationen meistern.

Brennende Reifen werden an eisernen Ketten von der Decke ge­lassen, deren Ausmaße genauso wenig erkennbar sind wie der Boden unter dem Sternennetz.

Alle sechs Reiter bringen ihre Drachen ohne Zaudern durch die Feuersbrunst. Schon jetzt bin ich dermaßen beeindruckt, dass ich den Mund kaum mehr zubekomme.

Als nächstes steht eine Aufgabe an, bei der der Maßstab sicher das gegenseitige Vertrauen zwischen Mensch und Tier darstellt: Die Reiter lassen ihre Drachen mit verbundenen Augen in gigantische Höhe aufsteigen, von wo aus sie sich nahezu starr zusammen in die Tiefe fallen lassen, bis der Reiter ihnen irgendein unsichtbares Signal zum Öffnen der Flügel gibt.

Allen Teilnehmern gelingt das Kunststück, und die Leute atmen bei jedem Mal hörbar auf.

Noch in acht weiteren Sparten müssen die Paare beweisen, wie gut sie miteinander harmonieren. Eine Jury, die sich im hinteren Teil der Bühne eingefunden hat, vergibt Punkte für die unterschiedli­chen Disziplinen und notiert sie auf einer elektronischen Tafel.

Als alle Aufgaben beendet sind, begeistern die Teilnehmer das Publikum noch mit einer Abschiedsrunde unter lauter musikali­scher Begleitung. Ich staune, dass den Drachen der ganze Lärm an­schei­nend überhaupt nichts auszumachen scheint, und winke den sechs Duos begeistert zu.

Die nachfolgenden Drachenreiter scheinen eine gesonderte Stel­lung innezuhaben. Nicht nur, dass sie einzeln und nacheinander in die große Kulisse einfliegen, wobei jeder genug Zeit erhält, eine große Runde vor den Zuschauen zu absolvieren. Man merkt auch, dass sie eine ganz andere Präsenz besitzen, ein anderes Selbstbe­wusstsein, was nicht zuletzt ihre Körperhaltung beweist – die der weiblichen Teilnehmerin ebenso wie die der männlichen.

Die Lautstärke erreicht ihren vorläufigen Höhepunkt, als Num­mer Zwölf die Arena entert.

Sämtliche Frauen um mich herum rasten aus seinetwegen, aber auch viele Männerstimmen höre ich ihm von den anderen Rängen aus zujubeln. Sein Name hallt von den Wänden wider.

Das überdimensionale Banner wird ihm nicht gerecht: Sein Lä­cheln ist noch charismatischer, und seine Ausstrahlung noch männlicher, dunkler. Selbst aus dieser Entfernung geht eine unwi­derstehliche Anziehungskraft von ihm aus.

Dieser Typ ist der Hammer! Ein Einhorn, wie Ebony und ich die Sorte Männer bezeichnen, die eigentlich zu perfekt ist, um wahr zu sein.

Er spielt mit dem Publikum, lässt sich von den Sympathien tragen, als er an den Rängen und Emporen entlanggleitet.

Sein schwarzes Haar hat genau die richtige Länge: Wenn man mit den Fingern hindurchglitte, würde es einem sanft über den Handrücken gleiten, denke ich.

Schon die Vorstellung macht mich kirre.

Auf seinem unverkennbar trainierten Körper trägt er ein anthra­zitfarbenes Kostüm aus enganliegendem Leder, das an die Kluft ei­nes Avengers erinnert.

Auch sein Drache ist dunkel, fast schwarz. Und er schimmert unter den Flügeln. Neben seinem besonderen Reiter fällt er vor al­lem deswegen auf, weil alle anderen Drachen grau oder farbig sind. Rote gibt es, ebenso wie blaue oder grüne. Aber keinen anderen in diesem seichten Onyx!

Das Sprecher-Duo auf dem Bühnenplateau legt sich noch ein­mal ins Zeug, um den Zuschauern das bevorstehende Ereignis nahezubringen, und ich merke, dass das, was jetzt kommt, völlig anders sein wird als die Vorstellung der ersten Paare.

Einige Leute wissen anscheinend bereits, was passiert, denn die Spannung in der Luft ist so geballt, dass man sie beinahe greifen kann.

Erneut schweben Stangen und Ringe an Ketten in die Arena, aber auch größere Hindernisse, wie etwa Wände, Tunnel und Spie­gel. Ein ganzes Arsenal. Anschließend rieselt ein Funkenregen herab, und durch einen lauten Knall fällt der Startschuss für die Rei­ter und ihre Drachen.

Was dann beginnt, verschlägt mir buchstäblich den Atem: In ei­nem irrsinnigen Tempo jagen sich die Teilnehmer gegenseitig durch das Luft-Labyrinth. Geradeaus, seitwärts, auf dem Rücken, in Spi­ralen … auf jede erdenkliche Weise.

Das ist nicht nur ein Rennen, wird mir klar.

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