Samstag, 20. September 2025

[Schnipseltime] Die Schuldigen - Herz vs. Verstand von Ava J. Thompson


 

Louisa

 

Nachdem Matteo mich auf das Zimmer gebracht hat, das ich bis zu unserer Hochzeit bewohne, ist er ohne ein Wort gegangen. Unentschlossen verharre ich mitten im Raum und sehe auf den Koffer, der mir als Einziges nicht fremd vorkommt.

Ich mag naiv sein, aber nicht minderbemittelt und habe durchaus bemerkt, dass er mich weder zur Frau noch hier in der Villa möchte. So habe ich mir meine Verlobung nicht vorgestellt, doch Kleinmädchenträume erfüllen sich in der Mafia selten. Nie.

Leise öffne ich die Tür. Wenigstens stehen keine Wachen davor. Gewundert hätte es mich nicht. Bevor ich sie wieder schließe, vernehme ich gegenüber Geräusche. Ob dort Matteo wohnt?

Ich schaue nicht nach, ahne, dass es ihm nicht recht ist. Möchte ihn nicht gleich zu Anfang gegen mich aufbringen. Zurück im Zimmer sehe ich mich um. Stelle fest, dass es nicht mal ein Telefon gibt. Dabei würde ich gern Nino anrufen. Hatte keine Gelegenheit, mich von meinem Bruder zu verabschieden. Oder von der kleinen Schwester. Babbo hat entschieden, dass dieses Essen, das die Verlobungsfeier ersetzte, ohne sie stattfand. Ich habe nicht versucht, ihn umzustimmen, wusste, dass er seine Meinung nicht ändern würde.

Ein Gefühl von Einsamkeit breitet sich aus. Aufsteigende Tränen lassen das Zimmer vor den Augen verschwimmen. Ich habe mir vorgenommen, diesen neuen Lebensabschnitt tapfer anzugehen, deshalb blinzle ich dagegen an, will nicht schon in der ersten Stunde weinen.

Meine Kindheit war nicht die glücklichste, trotzdem sehne ich mich nach Bay Point zurück. Dort sind Nino, der Bruder und gleichzeitig Freund ist und Stefania, die gestern den halben Tag geweint hat.

Um nicht in Heimweh zu versinken, packe ich den Koffer aus. Lege die Kleidungsstücke ordentlich in den begehbaren Kleiderschrank. So etwas gab es in Bay Point nicht.

Die wenigen Sachen verlieren sich in den Regalen, was sich hoffentlich ändert, sobald David, mein Leibwächter, morgen nach Duarte Island zieht und die gesamte Garderobe mitbringt.

Am Ende stelle ich die Tasche mit den Hygieneartikeln auf eine Ablage im Bad. Der Blick fällt auf den Spiegel, der bis zum Boden reicht, und ich erschauere. Kein Wunder, dass Matteo die Flucht ergriffen hat.

Eilig schäle ich mich aus diesem rosa Albtraum, schlüpfe in eine Jeans und ein Shirt. Drapiere es so, dass eine Schulter frei liegt. Dann ziehe ich das Gummi aus den Haaren. Ein weiterer Blick in den Spiegel lässt mich aufatmen.

Ich mag mein Zimmer, die hellgrünen Wände, vor allem den runden Tisch mit dem Sessel. Ein schöner Platz zum Lesen, wenn man eine Stehlampe dazustellt. Aber ich habe hier keine Bücher. Hoffentlich bringt David ein paar aus Bay Point mit.

Auf dem Bett sitzend warte ich. Als es zu lange dauert, raffe ich sämtlichen Mut zusammen und betrete den Flur, steuere die Tür gegenüber an und klopfe. Während ich auf Antwort warte, kommt Unsicherheit auf, ob es klug ist, Matteo zu stören. Aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich mich verhalten soll. Und wer kann sagen, was von mir erwartet wird, wenn nicht er?

Ich klopfe erneut. Der Fernseher ist laut, vielleicht hat er es ja nicht gehört. Als auch jetzt keine Antwort kommt, trete ich ein.

Mein Blick erfasst zuerst das Fernsehbild, erkenne dann, dass die Person, die da Space Invaders spielt, nicht Matteo ist.

Der Spieler ist blond und wesentlich jünger. Er legt den Joystick auf den Tisch und dreht sich zu mir.

»Wer bist du denn?«, durchbreche ich das Schweigen.

»Danny. Die Geisel. Und du?«

»Louisa. Die Verlobte.«

»Aber nicht von Howard.«

Ich schüttle mit dem Kopf. »Matteo. Geisel?«

»Die Soldaten nennen mich so.« Er hält mir den Joystick entgegen. »Willst du mal?« Ich zucke mit den Schultern, befürchte, mich ungeschickt anzustellen. Bei Nino durfte ich nur zuschauen.

Wir wechseln uns ab, bis Howard ins Zimmer tritt und mich auf seine gewohnt grimmige Art mustert. »Matteo sucht dich.«

Ich reiche den Joystick an Danny zurück. »Können wir mal wieder spielen?«

»Meinetwegen gern. Ich …«

Howard nickt mich ungeduldig in Richtung Flur. Die Tür zu meinem Zimmer steht offen, daher gehe ich davon aus, dort auf Matteo zu treffen.

»Wo treibst du dich rum?«, herrscht er mich an, als ich eintrete. »Es ist Essenszeit.«

Grob zerrt er mich hinter sich her, sodass ich aufpassen muss, um nicht auf den Stufen zu stolpern. Im Erdgeschoss lässt er mich los. Ein böser Blick, bevor wir ins Esszimmer treten.

Die künftigen Schwiegereltern sitzen an der Frontseite des Tisches, wobei Mr. Duarte ähnlich verdrossen schaut wie Babbo.

Habe ich ihn verärgert?

»Ich musste sie erst suchen, stromert hier im Haus rum.« Matteos Stimme klingt eisig. Er weist mir den Platz neben sich zu.

Wenige Minuten später erscheinen Howard und Danny.

»Stromert ihr ebenfalls in der Villa herum?«, fragt Mr. Duarte mit einem angedeuteten Lächeln auf dem Gesicht, das mich aufatmen lässt.

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