
Schnipsel 1
Während wir es
uns in der Loge gemütlich machen, schaue ich hinunter in den Hauptraum, in den
die Leute weiter hin-einströmen. Eine beschwingte Stimmung liegt in der Luft,
denn Ritters neue Show soll sein absolutes Meisterwerk sein. Mittlerweile sind
die meisten Plätze besetzt. Ich blicke auf die Uhr. Fast acht; jeden Moment
muss es beginnen. Aufregung erfasst mich und ich blicke hinüber zu Anna, die
mir sanft zulächelt. Ich bin so froh, dass sie dieses herrliche Erlebnis mit
uns teilt. Am Wochenende muss ich unbedingt et-was Schönes für sie besorgen, um
mich zu bedanken.
Das Licht wird
gedimmt und ich beuge mich automatisch weiter vor, um ja nichts zu verpassen.
Dann reißt plötzlich jemand die Tür zu unserer Loge auf. Verwundert drehe ich
mich um und sehe einen schwarz gekleideten Mann im Eingang. Das hagere Gesicht
ist zu einer Maske blanken Hasses verzerrt. In der Hand hält er ein geriffeltes
Messer, das halb so lang ist wie sein Arm.
Schreiend springe
ich auf, stolpere so weit weg von ihm wie möglich, in die äußerste linke Seite
der Loge. Mein Herz rast vor Panik. Was sollen wir nur machen? Ich sehe, wie
Chiara und Emily ebenfalls in die Höhe schießen. Ängstlich drängen sie sich in
der anderen Ecke aneinander.
Nur Anna, die am
dichtesten an der Tür sitzt, rührt sich nicht vom Fleck. Wie das Kaninchen vor
der Schlange starrt sie hoch zu dem Hageren. Auffordernd schaue ich zu ihr.
Warum rührt sie sich nicht? Sie muss weg da, und zwar schnell! Da verriegelt
der Mann die Loge mit einem tragbaren Locker. Wir sind gefangen. Ich keuche auf
vor Entsetzen. Nein, das kann nicht sein! Panisch blicke ich mich um, aber es
gibt kein Entkommen.
Der Messermann
grinst bösartig, weidet sich an unserer Furcht. Dann geht er langsam auf Anna
zu. Sie sitzt immer noch regungslos da und weint. Der Mann macht einen Schritt
auf sie zu und noch einen, während Annas Schluchzen immer lauter wird.
Warum um alles in
der Welt steht sie denn nicht endlich auf? Es ist doch klar, dass dieser Typ
etwas Schreckliches vorhat. Ich will schreien, um sie wachzurütteln. Aber ich
habe entsetzliche Angst, den Kerl dadurch auf mich aufmerksam zu machen. Wie
sollen wir uns nur gegen einen bewaffneten Irren wehren? Hilfesuchend blicke
ich zu Chiara und Emily, die ebenfalls wie versteinert sind.
Dann stürzt der
Mann sich auf Anna. »Sterbt, ihr reichen Schweine! Ihr habt es nicht anders
verdient!«
Wie aufs
Stichwort öffnet sich ein neues Fenster. Darauf ist das Bild einer Stahltür zu
sehen. Nervös beuge ich mich vor und beobachte, wie Secret eine weitere Reihe
an Symbolen und Zeichen eingibt. Es sieht aus, als mache sich ein Gespenst am
Computer zu schaffen. Irgendwie unheimlich.
Ein lautes
Knarzen erklingt; wie von einem Schlüssel, der im Schloss herumgedreht wird.
Schon öffnet sich die Tür und damit die Internet-Seite. »Das Schicksal zu
Ihren Diensten« steht dort in silbernen Lettern auf schwarzem Grund.
Ich stoße einen
Freudenschrei aus und umarme Samuel impulsiv. Der drückt mich leicht an sich
und grinst selbstzufrieden. »Wer ist hier nicht gut?«
Er schickt Secret
ein »THX«.
»KD«, kommt
zurück. Nach wenigen Sekunden ergänzt sie: »Seid ja vorsichtig!«
Was meint sie
damit wohl? Samuel klickt jedoch schon, um zur nächsten Seite zu gelangen. Ich
verschlucke mich fast, als ich sehe, dass hier Schicksalspreise gegen Geld
feilgeboten werden. Gegen viel Geld. Wie Milch und Butter stehen hier Preise
für verhinderte Tode, mehr Erfolg oder die große Liebe. Mir wird schlecht und
ich zittere.
Hier manipuliert
jemand Schicksale in großem Stil, ohne dass die Leidtragenden davon wissen. Die
Nüchternheit, mit der diese Dienste beschrieben werden, macht mich sprachlos
und unfassbar wütend. Aber ich reiße mich zusammen und mache mit der Uhr
Screenshots.
Zumindest solange
es geht. Denn Samuel wird auf einmal kreidebleich und schließt die Seite
hastig. »Das … das ist ja eine regelrechte Lebenswegemafia. Wo habt ihr mich
nur hereingezogen? Damit will ich nichts zu tun haben.« Er springt auf und
nimmt sein Tablet an sich.
Ich versuche, ihn
zurückzuhalten. »Warte doch. Das müssen wir der Schicksalspolizei sagen.«
»Ja klar.« Samuel
lacht zynisch. »Schätzchen, da warst du schon zweimal. Und was hat es genutzt?
Du hast diesen Ahrens auf den Plan gebracht; was auch immer der genau macht.
Glaub mir: Helfen wird der uns nicht.«
»Wir können doch
nicht aufgeben. Ahrens ist ein Polizist! Er muss ein Interesse daran haben, den
Mörder zu finden.«
»Ganz sicher
nicht. Erinnerst du dich noch an den Artikel? Er jagt Leute, die das
Schicksalssystem unterwandern. Und ich glaube, das, was wir hier machen, könnte
so aufgefasst werden.« Er wedelt entschlossen mit der Hand. »Das war’s für
mich. Ich bin raus.« Mit einem Ruck reißt er sich von mir los, eilt zur Tür und
schon ist er weg.
Traurig blicke
ich ihm hinterher. Dann wende ich mich an Luke. »Gibst du auch auf? Soll ich
gehen?«
Der schüttelt den
Kopf. »Nein. Du kannst auf mich zählen. Ich will jetzt umso mehr wissen, wer
hinter den schrecklichen Vorfällen steckt.«
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