Dienstag, 8. Oktober 2024

[Schnipseltime] Angor - auf den Spuren einer Legende von David Givens


 

Ein schmaler Bach war aus dem Wald am Wegesrand hervorgekommen und führte sein klares Wasser an einer kleinen Wiese entlang.

„Wir werden hier eine kurze Rast einlegen. Lassen wir die Tiere für einen Moment ruhen und nutzen die Zeit, um unsere Wasservorräte aufzufüllen.“ Die Stimme des Ritters schickte eine Welle der Freude durch den Leib seines Gefährten.

Zum ersten Mal, seit er sein Zuhause verlassen hatte, konnte Angor dem Sattel entkommen. Als Wulfun sein Pferd auf die Wiese lenkte und es zum Stehen brachte, stieß der junge Mann an seiner Seite ein zufriedenes Seufzen aus. Noch bevor der Ritter aus dem Sattel steigen konnte, kam Angor ihm zuvor und streckte seine steifen Glieder.

Gelenke knackten und die festen Muskeln seiner Oberschenkel protestierten, als er sie zwang, nach dem langen Ritt wieder sein Gewicht zu bewegen. Der Ritter beobachtete die ersten steifen Schritte seines Rekruten. Mit einem Lächeln auf den Lippen schüttelte er seinen Kopf und ließ den jungen Mann seine beanspruchten Beine erproben.

Umgeben vom warmen Wind des Frühlings stapfte Angor dem nahen Waldrand entgegen. Er musste ein paar Schritte gehen und das Blut in seinen Beinen wieder in Bewegung bringen.

„He, Angor, was hast du vor?“ Der Ruf des Ritters ließ ihn kurz innehalten.

„Ich gehe in den Wald. Ich muss mich mal erleichtern.“

In Wirklichkeit wollte er lediglich ein paar Schritte gehen und für wenige Minuten alleine sein. Der Mann des Königs war nett und doch musste er sich noch daran gewöhnen, fortan den

ganzen Tag mit diesem Fremden zu verbringen.

Umgeben vom Zwitschern der Vögel und dem stetigen Rascheln am Waldboden schritt der junge Mann voran. Der Frühling hatte die Pflanzen bereits wieder zum Leben erweckt und doch erlaubten die sanften Sprösslinge ihrer Blätter seinem Blick durch das Unterholz zu streifen. Der Duft aufkeimender Pflanzen lag in der Luft. Vom Frieden der Szenerie ergriffen, schloss Angor für einen Moment seine Augen und atmete die kühle Luft des Waldes ein. Für einen kurzen Augenblick dazu in der Lage zur Ruhe zu kommen, ging er langsam in die Hocke und ließ den schweren erdigen Geruch des Waldbodens in seine Nase strömen.

Als er seine Augen wieder öffnete, sah er die vermoderten Überreste eines gewaltigen Baumes vor sich. Von Moos überwachsen, lag der breite Stamm einer uralten Eiche neben dem zerbrochenen Wurzelstock, auf dem er einst geruht hatte. Von dem Anblick fasziniert trat der junge Schmied vorsichtig näher.

Ein Funkeln, nur für einen einzigen Augenblick zu erkennen, ließ ihn kurz innehalten. Was war das? Der Gedanke erfüllte seinen Geist. Der helle Schimmer am Waldboden war so schnell wieder verschwunden, wie er aufgetreten war. War er wirklich dort gewesen, oder hatte er ihn sich nur eingebildet? Der Zweifel in seinem Geist rang mit seiner Neugier. Angors Blick war auf die Stelle gerichtet, an der er das Funkeln gesehen hatte. Die wachsenden Pflanzen des Waldbodens lagen matt vor ihm und schienen ihn zu verhöhnen. Es war dort gewesen, und er musste es wieder finden.

Eilig näherkommend suchten seine Augen nach dem Schimmer. Vom Licht der Sonne beleuchtet, strahlte ihm das satte Grün des Mooses entgegen, als versuchte es seinen Blick zu zerstreuen. Doch Angor war nicht bereit, so schnell aufzugeben. Langsam, seinen Blick aufmerksam auf den Waldboden gerichtet, sank er erneut in die Hocke herab. Es musste hier sein. Sein Instinkt sagte ihm, dass er an der richtigen Stelle war.

Mit beiden Händen ausgestreckt fuhr er über das Moos. Tastend und suchend strich er umher, bis seine Finger schließlich gegen etwas Hartes stießen. Von einem Stich der Aufregung durchdrungen, hielt Angor plötzlich inne. Was auch immer er suchte, er hatte es gefunden. Als er seinen Blick senkte, kehrte der silbrige Schimmer zurück. Von Moos bedeckt und doch nicht gänzlich versteckt, verbarg sich etwas unter seinen Händen.

Mit vorsichtigen Bewegungen befreite er seinen Fund von den flachen Gewächsen. Von einer Aufregung ergriffen, die seinen gesamten Körper in Aufruhr versetzte, spürte er, wie sein Herz schneller schlug. Als er sah, was er freigelegt hatte, stahl sich ein breites Grinsen auf sein Gesicht.

Noch immer mit Erde beschmiert, offenbarte sich ihm ein silbernes Kästchen. So lange wie sein Fuß und so breit wie seine Hand ruhte es in seinem weichen Bett unter dem Stamm. Die Freude über seinen Erfolg hielt ihn für einen Moment in ihrem Bann. Unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, starrte er seinen Fund an. Doch der Moment seiner Zurückhaltung währte nur kurz. Mit gierigen Händen hob Angor die Kiste auf und drehte sie vor seinen Augen. Ein alberner Gedanke schoss durch seinen Kopf. War dies der erste Schatz, den er bei seinen Abenteuern fand?

„Hey, Angor, wo bleibst du? Wir müssen weiter!“

Die Stimme des Ritters ließ ihn erschrocken auffahren. Für einen Moment von der Furcht ergriffen, seinen Schatz teilen oder gar abgeben zu müssen, sah er sich eilig um. Die Kontur des Königsmannes am Waldrand war kaum zu erkennen. Verdeckt von den Ästen und Blättern niedriger Büsche wandte Wulfun seinen Kopf suchend hin und her.

„Ich komme!“, rief der junge Schmied aufgeregt zurück, bevor er wieder auf das Kästchen herabsah. Was auch immer sich darin verbarg, er würde es herausfinden.

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