Samstag, 26. August 2023

[Schnipseltime] Steam Angel - Das Mal von Alex Pudlich


 

Im Clubhaus herrschte ein Treiben, welches mit einem Bienenstock vergleichbar war. Fasziniert folgte Charlotte Timothy und blieb dann am Geländer stehen, um sich die Etagen von dort aus anzusehen. Die Bewohner wuselten hin und her und riefen wild durcheinander. Dauernd gab es kleinere und größere Explosionen, bei denen Charlotte zusammenzuckte und sich nach dem Ursprung umsah. Bevor sich das Mädchen völlig darin verlor, schob Timothy weiter zu einer der Treppen, welche zu den oberen Stockwerken führten.

»Wir fangen oben an«, erklärte der junge Mann und eilte dann schnellen Schrittes vor.

Kopfschüttelnd folgte Charly ihm. Bereits auf der Treppe war es ihr möglich sich ein ungefähres Bild davon zu machen, wie chaotisch es hier tatsächlich war. Von ganz oben – sie zählte sechs Etagen – warf jemand nun schon die achte Rolle Toilettenpapier durch die Luft. Offenbar versuchte, derjenige so weit zu werfen, dass sie es auf der anderen Seite über das Geländer schafften. Bei zwei Rollen hatte es offensichtlich funktioniert, die Übrigen hingen kreuz und quer über die Etagen verteilt, so dass sich Charlotte zum Teil unter dem Klopapier durch ducken musste.

»Ich wusste schon, warum ich zuerst oben anfangen wollte«, fluchte Timothy und machte dem Mädchen den Weg, so gut es ging, frei.

»Warum machen die das überhaupt?«, fragte sie.

»Ich habe keinen Schimmer. Das sind eigentlich unsere Entwickler. Und von denen sollte man theoretisch mehr erwarten dürfen, aber mit Erwartungen halte ich mich hier inzwischen doch eher zurück.«

»Entwickler?«

»Siehst du gleich, wenn wir oben sind«, entgegnete Timothy grinsend.

Die nächste Treppe, die sie nehmen wollten, war von einem Haus versperrt, welches von der Etage darunter bis hier hochreichte. Geübt kletterte Timothy auf das Dach und drehte sich zu Charlotte, um dieser zu helfen. Da stand sie bereits neben ihm und stieg auf die Treppe. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht, welches sie nur aus den Augenwinkeln bemerkte und kopfschüttelnd hinnahm.

»Sie sind jedenfalls unsere brillantesten Köpfe«, setzte Timothy nach und versuchte, sein anerkennendes Lächeln zu unterdrücken.

Charlotte schien kein gewöhnliches Mädchen zu sein – klar, sie war eine Steam Angel und damit schon ungewöhnlich. Aber das allein war es nicht. Die jungen Frauen, die Timothy bisher hier kennengelernt hatte, waren... Er konnte es selbst nicht beschreiben und fand keine passenden Worte dafür. Er starrte sie an und bemerkte gar nicht, wie die Sekunden verstrichen.

»Ähm okay«, meinte Charlotte und wurde rot, wodurch er endlich merkte, wie er sie anstarrte und sich verlegen zur Seite drehte. Eilig versuchte das Mädchen, die Situation wieder aufzulockern. »Dann liegen Genie und Wahnsinn wohl doch näher beieinander, als ich dachte.«

»Kann sein«, lachte Timothy unbeholfen.

Er lief weiter und sie folgte ihm. Dann kamen sie endlich oben an und Charlotte sah, was er mit Entwicklern meinte. Die komplette Etage war vollgestellt mit seltsamen Apparaturen und Gerätschaften, die aussahen wie Roboter. Nur das sie scheinbar nicht mit Mikrochips oder Ähnlichem betrieben wurden, sondern mit Dampf und Zahnrädern. Was deutlich unheimlicher war.

»Willkommen bei unseren Genies«, erklärte Timothy.

Der junge Journalist sah nicht begeistert aus, während er das sagte. Schmunzelnd wandte sich Charlotte von ihm ab und ging einige Schritte. Der Boden war schwarz vom Maschinenöl und Ruß. Am Geländer standen zwei Männer, mit dicken Schutzbrillen, die einen Ball nach unten fallen ließen. Dieses Mal rechnete Charly mit der Explosion und hielt sich die Ohren zu, aber alles, was folgte, war Stille.

Verwundert senkte Charlotte die Hände und lief zum Geländer, um runter zu sehen. Genau wie die beiden Männer suchte sie den Boden nach dem Ball ab. Doch der war verschwunden.

»Okay?«

»Das ist höchst ungewöhnlich«, meinte selbst Timothy und trat neben sie. »Normalerweise hätte eine Explosion folgen müssen.«

»Hey!«, rief einer der beiden, die den Ball hatten nach unten fallen lassen. »Habt ihr den Ball gesehen?«

Jemand auf der dritten Etage schaute hoch und zuckte kopfschüttelnd mit den Schultern. Der Ball war weg. Einfach verschwunden. Enttäuscht wanden sich die Männer vom Geländer ab und verzogen sich in einem der Räume. Die beiden anderen sahen ihnen schweigend nach, ehe sich die Sechzehnjährige wieder den Robotern zuwandte.

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