Montag, 19. Juni 2023

[Schnipseltime] Footprints in the Sand - Ash und Indigo von Elisa Schwarz

 

An einem Stand wurden wir von einer jungen Frau aufgehalten. »Hier, probiert mal. Wenn euch das schmeckt, hinterlasst uns ein Like auf Social Media und einen Kommentar. Unsere Seite findet ihr beim Slogan.« Sie deutete auf einen Schriftzug auf der Dose in ihrer Hand und hielt dann den Daumen hoch. Ich warf einen prüfenden Blick auf das Getränk. Es war ein Energydrink, dessen Namen mir nicht geläufig war. Vermutlich eine neue Marke, die sie am Markt etablieren wollten. Vermutlich was total Ungesundes, was ich in allen Varianten, Aggregatzuständen und Farben total liebte. Zucker machte glücklich, solange man glücklich mit dem Sport blieb. An Letzterem würde ich nichts ändern, dann musste ich auch Ersterem kein Gewicht geben. Ich zog die Lasche auf, testete das Getränk an und exte es anschließend mit wenigen Zügen.

Das Mädchen riss die Augen auf. »Und, ist gut?«

Ich hielt den Daumen hoch. »Fantastisch, danke.« Geschmeckt hatte es nicht, den Durst aber gelöscht. »Hab mein Smartphone nicht bei mir, ich hol das Like später nach.« Bis dahin würde ich es vermutlich längst vergessen haben.

Die leere Dose warf ich in den neben ihr stehenden Mülleimer. Mit einem blechernen Ton kam sie auf dem Rand auf und fiel in den Sand. Aufheben konnte ich sie nicht mehr, Jack zog mich bereits weiter, seine eigene Dose ungeöffnet in der Hand. »Du musst dringend an deinem Feingefühl arbeiten.«

»Ich bin schwul, vielleicht liegt’s daran, dass ich resistent gegen Flirtversuche von Mädchen bin.«

»Sie hat nicht mit dir geflirtet.«

Verwirrt blinzelte ich ihn von der Seite an. »Dann verstehe ich deinen Einwand nicht.« Ich konnte nicht mal sagen, ob er recht hatte. Denn ich verstand tatsächlich rein gar nichts von Flirterei mit Mädchen. Bei Jungs war das einfacher, zumal ich laut Koa und Jack einen dauerhaften Fick-mich-Blick draufhatte. Jungs waren aber auch direkter, die ließen einen meist sehr deutlich wissen, wenn sie Lust auf mehr als ein Gespräch hatten. Labern machte schließlich nicht glücklich, im Gegensatz zu Zucker.

Jack lachte lauthals los. »Ich meinte das eher allgemein. Du bist wie ein Kampfjet, durchbrichst Schallmauern. Du bist ultralaut und viel zu schnell. Manchmal kommt man bei dir kaum hinterher. Du hättest die Dose wie ich zulassen können, dann hättest du ihr auch nicht so einen doofen Spruch aufdrücken müssen.«

»Was war denn daran doof? Sie war doch gespannt, wie ich es fand.«

»Es war widerlich, das hab ich dir angesehen. Sie vermutlich auch. Du verziehst ja jetzt noch das Gesicht.« Er zwinkerte und noch bevor ich Luft holen und dagegen reden konnte, sah er mich mit seinem Hab-ichs-dir-nicht-gesagt-Blick an. Mir vergingen die Worte. »Lass mich raten, es schmeckt nach Pink und Zucker und Chemie und klebt jetzt noch an deinen Lippen?«

»Magst du mal lecken?«, fragte ich und glitt mit der Zungenspitze über meine Unterlippe, an der der Geschmack haftete. Mit der chemischen Note hatte Jack es gut getroffen. Das Pink war aber eher ein gefühltes Wolkenblau – der Geschmack ging in Richtung Curaçao statt Zuckerwatte. »Koa wird nicht erfahren, dass du mich abgeleckt hast. Ehrenwort.«

Jack blieb abrupt stehen und hielt mich an der Schulter zurück. »Hör mal …« Er sah irgendwie geläutert zwischen uns hinab in den Sand, auf unsere Fußspitzen, die sich beinahe berührten. »Es wäre besser gewesen, wenn wir einen vierten Mann mitgenommen hätten.«

»Darum geht es doch gar nicht.«

Jack atmete beherrscht tief durch. »Ich sag doch, Kampfjet. Hör zu, Indigo, es ist einfach passiert zwischen uns. Ich kann nur ahnen, wie es dir damit geht. Wir hatten gehofft, dass du das Gespräch mit uns suchst, wenn du dich ausgeschlossen oder verletzt fühlst, aber du bist nur etwas lauter als sonst. Wir wissen beide, dass dir das nicht leichtfällt und versuchen unser Bestmögliches, dich nicht auszuschließen. Wir wollten die Ferien doch genießen. Wir drei. Das kriegen wir hin, oder? So vernünftig sind wir schon. Es liegen noch so viele Wochen voller Abenteuer vor uns, bevor die Uni beginnt.«

»Ich verstehe nicht!« Schon irgendwie, aber ich wollte gern weiter glauben, dass sie meinen Gemütsumschwung nicht mitbekommen hatten. Hatten sie aber offensichtlich doch. Und Jack redete vom Genießen? Die beiden genossen sich jede verdammte Nacht. Und tagsüber verknoteten sie sich wie Tintenfischtentakel. Nein, ich wollte in diesen verfickten Ferien nicht einen auf vernünftig tun. Das war nie der Plan gewesen.

»Komm schon«, raunte Jack und stieß mir spielerisch gegen die Brust, »du weißt, was ich meine.«

»Hör auf, so zu tun, als wäre alles easy. Das ist es nicht! Was soll das? Ihr seid meine besten Freunde.« Klang das wie ein Vorwurf? Ja, das klang sogar wie ein ziemlich hinterhältiger Vorwurf, was ich mir seit Tagen tunlichst verbot. Die beiden waren schließlich nicht meine Babysitter. Piksende Eifersuchtsgedanken durfte ich mir wohldosiert gönnen, sie allerdings in Worte zu packen war schon sehr gemein. Ein bisschen erschrak ich über mich selbst. »Tut mir leid, verzeih mir.«

»Indigo …«

»Nein, ich … Fuck, Jack. Geh doch schon mal zurück.« Um Koa abzulecken. »Ich brauch einen Moment für mich.« Um euch nicht zusehen zu müssen.

»Warte doch mal.«

Ich entfernte mich rückwärts laufend von ihm und zog die Schultern hoch. »Ich gönn’s euch total. Ohne Wenn und Aber. Also, tut mir echt leid, Babyjack … Ich werd mich zusammenreißen. Versprochen.« Dann drehte ich ihm den Rücken zu, stolperte im trockenen, aufgeworfenen Sand vorwärts und betete, Jack würde mir nicht folgen und somit uns dreien eine kleine Atempause gönnen. Es war ja nicht so, dass ich verloren gehen könnte. So überschaubar war es hier dann doch. Mich mutterseelenallein in die Fluten zurückstürzen, würde ich auch nicht machen, keine Sorge also in dieser Richtung. Allerdings war Ocean’s View nichts weiter als ein Fischerort am letzten Zipfel einer Halbinsel inmitten des riesigen Atlantischen Ozeans. Wer wusste also schon, auf welche Art ich verschollen gehen konnte. Es gab sicher tausendundeine Möglichkeit neben stupidem Ertrinken.

Ich kämpfte mit meinem schlechten Gewissen und den blödesten Gedanken der Welt und wurde erst gestoppt, als es zum Zusammenprall zwischen mir und einem männlichen Kreuz kam.


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