Gorm war eine Insel, ganz ohne hohe Felsen und Berge, und nur ein einzelner
Hügel erhob sich etwas höher als der Rest der Insel. Darauf stand eine
Festungsanlage, die jemand konstruiert hatte, der scheinbar wenig Ahnung von
Festungsanlagen hatte. Das wurde umso deutlicher, als wir das Schiff am Hafen von
Gorm, in dem wir angelegt hatten, verließen, den kleinen Ort Gorm auf Gorm
durchquerten und zur Festung Gorm hochmarschierten.
Ich musterte den Wachsoldaten auf der anderen Seite der Mauer.
Er blickte mich verwundert an. „Was ist denn?“
„Die Mauer ist ja kaum einen halben Meter hoch“, stellte ich fest.
„Ja und?“
„Wie will man da einer Belagerung standhalten? Der Feind kann einfach
darüber klettern!“
„Nee, das geht nicht“, entgegnete der Wachmann und deutete auf ein Schild.
„Über die Mauer klettern verboten“, las ich dort und auf einem anderen
Schild: „Angreifer bitte das Tor stürmen“.
„Ich bin verwirrt. Wer hält sich denn daran?“
„Das sind Regeln! An Regeln hält sich doch jeder!“
„Und was passiert, wenn man einfach so über die Mauer steigt?“
Fassungslos blickte der Mann von mir zu den anderen.
Die Dorflauteste rüffelte mich: „Man muss nicht alles hinterfragen.
Akzeptiere doch einfach Mal Dinge, wie sie sind!“
„Aha! Aber du hast uns fast umgebracht mit deiner Idee, die Passage zu
umfahren“, fuhr ich sie an.
„Ich habe euch nicht umgebracht!“, schrie mich Rosanella an. „Wir
waren bei der Umsegelung viel sicherer!“
Jäck, der hinter meiner Geliebten stand, hob den Finger an seine Schläfe
und ließ ihn kreisen, zum Zeichen, dass meine hübsche Babin spann. Ich nickte
also nur und dann sprang ich mit seinem Satz über die Mauer.
Der Wachmann blickte mich fassungslos an.
Mir war nicht bewusst gewesen, für was für einen Eklat meine Aktion sorgen
würde. Doch der Regent von Gorm kam mit seinem Gefolge, als er hörte, jemand
habe die Mauer übersprungen.
„Das ist ja furchtbar“, heulte er. „Wenn jemand davon erfährt, werden sich
die Leute in Zukunft nicht mehr an die Regeln halten: ‚Angreifer, die Waffen am
Tor abgeben‘, hat uns immer vor Schlimmeren bewahrt und am Strand die Schilder:
‚Nicht mit Kanonen oder Waffen auf die Festung feuern‘ half uns, die ganze
Bevölkerung zu schützen! Was ist, wenn die Leute sich in Zukunft nicht mehr an
die Regeln halten? Das könnte zu Mord und Totschlag bei einem Angriff führen!“
„Tut mir leid“, sagte ich mit gesenktem Kopf und vernahm, wie Rosanella mir
zuzischte, ich solle mich endlich mal benehmen. „Aber wie oft seid ihr denn
schon angegriffen worden?“
Der Regent sah zu seinen Beraten, diese tauschten untereinander Blicke aus.
„Also, bislang noch nie“, verkündete einer. „Die Schilder waren wohl sehr
abschreckend. Immerhin steht da auch, das angreifende Schiffe eine Seemeile vor
der Insel vor Anker gehen müssen und Angreifer nur zu uns schwimmen dürfen!“
Seufzend sah ich zu Rosanella, dann zum Regenten. „Niemand hält sich an die
Regeln. Ihr seid einfach noch nie angegriffen worden. Wie lange gibt es denn
diese Festung schon? Fünfzig Jahre?“
„Sieben!“
„Sieben Jahre? Kein Wunder. Und warum sollte euch jemand angreifen?“
„Sieben Monate!“, korrigierte mich der Regent.
„Vielleicht wurden wir aufgrund unserer magnifiken Lage noch nie
angegriffen?“, schlug einer der Berater vor.
„Das bezweifle ich!“