Dienstag, 28. Februar 2023

[Schnipseltime] Piraten im Garten von Ingo R.R. Höckenschnieder


 

Gorm war eine Insel, ganz ohne hohe Felsen und Berge, und nur ein einzelner Hügel erhob sich etwas höher als der Rest der Insel. Darauf stand eine Festungsanlage, die jemand konstruiert hatte, der scheinbar wenig Ahnung von Festungsanlagen hatte. Das wurde umso deutlicher, als wir das Schiff am Hafen von Gorm, in dem wir angelegt hatten, verließen, den kleinen Ort Gorm auf Gorm durchquerten und zur Festung Gorm hochmarschierten.

Ich musterte den Wachsoldaten auf der anderen Seite der Mauer.

Er blickte mich verwundert an. „Was ist denn?“

„Die Mauer ist ja kaum einen halben Meter hoch“, stellte ich fest.

„Ja und?“

„Wie will man da einer Belagerung standhalten? Der Feind kann einfach darüber klettern!“

„Nee, das geht nicht“, entgegnete der Wachmann und deutete auf ein Schild.

„Über die Mauer klettern verboten“, las ich dort und auf einem anderen Schild: „Angreifer bitte das Tor stürmen“.

„Ich bin verwirrt. Wer hält sich denn daran?“

„Das sind Regeln! An Regeln hält sich doch jeder!“

„Und was passiert, wenn man einfach so über die Mauer steigt?“

Fassungslos blickte der Mann von mir zu den anderen.

Die Dorflauteste rüffelte mich: „Man muss nicht alles hinterfragen. Akzeptiere doch einfach Mal Dinge, wie sie sind!“

„Aha! Aber du hast uns fast umgebracht mit deiner Idee, die Passage zu umfahren“, fuhr ich sie an.

„Ich habe euch nicht umgebracht!“, schrie mich Rosanella an. „Wir waren bei der Umsegelung viel sicherer!“

Jäck, der hinter meiner Geliebten stand, hob den Finger an seine Schläfe und ließ ihn kreisen, zum Zeichen, dass meine hübsche Babin spann. Ich nickte also nur und dann sprang ich mit seinem Satz über die Mauer.

Der Wachmann blickte mich fassungslos an.

Mir war nicht bewusst gewesen, für was für einen Eklat meine Aktion sorgen würde. Doch der Regent von Gorm kam mit seinem Gefolge, als er hörte, jemand habe die Mauer übersprungen.

„Das ist ja furchtbar“, heulte er. „Wenn jemand davon erfährt, werden sich die Leute in Zukunft nicht mehr an die Regeln halten: ‚Angreifer, die Waffen am Tor abgeben‘, hat uns immer vor Schlimmeren bewahrt und am Strand die Schilder: ‚Nicht mit Kanonen oder Waffen auf die Festung feuern‘ half uns, die ganze Bevölkerung zu schützen! Was ist, wenn die Leute sich in Zukunft nicht mehr an die Regeln halten? Das könnte zu Mord und Totschlag bei einem Angriff führen!“

„Tut mir leid“, sagte ich mit gesenktem Kopf und vernahm, wie Rosanella mir zuzischte, ich solle mich endlich mal benehmen. „Aber wie oft seid ihr denn schon angegriffen worden?“

Der Regent sah zu seinen Beraten, diese tauschten untereinander Blicke aus. „Also, bislang noch nie“, verkündete einer. „Die Schilder waren wohl sehr abschreckend. Immerhin steht da auch, das angreifende Schiffe eine Seemeile vor der Insel vor Anker gehen müssen und Angreifer nur zu uns schwimmen dürfen!“

Seufzend sah ich zu Rosanella, dann zum Regenten. „Niemand hält sich an die Regeln. Ihr seid einfach noch nie angegriffen worden. Wie lange gibt es denn diese Festung schon? Fünfzig Jahre?“

„Sieben!“

„Sieben Jahre? Kein Wunder. Und warum sollte euch jemand angreifen?“

„Sieben Monate!“, korrigierte mich der Regent.

„Vielleicht wurden wir aufgrund unserer magnifiken Lage noch nie angegriffen?“, schlug einer der Berater vor.

„Das bezweifle ich!“

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