Mittwoch, 6. Januar 2021

[Schnipseltime] Die Traumkriegerin: Das Amulett der Zweiheit von Ava Cooper

  

Beim Abendessen zu Ehren der Jäger musste Talisha zum ersten Mal eine größere Gesellschaft edler Penanga bedienen. Diesen Feiern ging Krian normalerweise aus dem Weg. Er konnte sich kaum dazu durchringen, Festivitäten zu besuchen geschweige denn, dass er selbst zu einem Bankett einlud. Aber nach der Felakos-Jagd wollte es der Brauch, dass der ranghöchste Mann eine Feierlichkeit ausrichtete. Und das war nun einmal der Shiha’ru.

Mitara reichte Talisha die Vorspeisen: Es gab kross gebratene Miaras, so nannte man die Mäuse hier, frittierte Grileros, also Grillen, und als Krönung Warane, die auf Penangisch Warana hießen. Talisha schüttelte sich vor Ekel. Zum Glück bekam die Dienerschaft diese »Delikatessen« nie serviert, sondern erhielt einen undefinierbaren Brei.

Wie sie es von zu Hause kannte, bediente sie zuerst die Damen. Den ersten der drei Teller, die sie balancierte, reichte sie der Hausherrin Lisara. Doch die schlug ihre Hand entrüstet zurück, sodass alle Teller scheppernd zu Boden fielen und zerbrachen.

»Du dumme Dirne, hast du denn gar kein Benehmen?«, zischte sie, während die anderen Gäste pikiert dreinsahen.

Talisha zitterte vor Wut. Wie konnte die Kuh es nur wagen, sie eine Dirne zu nennen? Sie war schließlich die Bettgespielin des Shiha’ru!

»Krian, das Maß ist voll!«, entrüstete sich Lisara da. »Ich halte das keinen Tag länger mehr aus mit dieser Metze!«

»Sei still, Weib! Du teilst nur das Bett mit mir. Das gibt dir nicht das Recht, meine Entscheidungen anzuzweifeln! Talika bleibt«, herrschte Krian. Doch er bedachte Talisha mit einem bösen Blick. Offensichtlich hatte sie ihn beleidigt, auch wenn sie nicht wusste, wodurch.

Unterwürfig verbeugte sie sich vor ihm. »Verzeiht meine Unwissenheit, großer Shiha’ru, ich war niemals zuvor in so feiner Gesellschaft. Wir sind nur einfache Leute, ich lebte mit meiner Mutter allein.«

Einer der Offiziere grölte: »Hoffentlich lag das wirklich nur daran, dass es bei euch keine Männer gab!«

Die anderen Gäste lachten anzüglich. Das Gejohle war Talisha mehr als unangenehm, zumal sie ja immer noch nicht wusste, was sie denn falsch gemacht hatte.

Der Scherz nahm der Situation jedoch die Schärfe. Selbst Krian musste grinsen. Gönnerhaft sagte er: »Nun gut, geh und hol neue Teller für uns. Aber mach es diesmal richtig!«

Gesenkten Hauptes schlich Talisha in das Küchenzelt, das mit dem Festzelt verbunden war. Mitara, die abspülte, sah sie neugierig an. »Na, Mädchen, was ist passiert?«

»Ich habe wohl einen bösen Fehler begangen. Als ich Lisara den ersten Teller hinstellen wollte, schlug sie ihn mir vor Wut aus der Hand. Alle anderen haben mich aus­gelacht.« Vorsichtshalber machte sie eine betretene Miene.

Mitara lachte schallend. »Das ist gut, wirklich! Habe nicht daran gedacht, dass du noch nicht mal diese Sitte kennst. Schließlich weiß das jeder, selbst ihr im Süden.«

Die Ältere hörte auf zu lachen und blickte sie stirnrunzelnd an. »Also, Mädchen! Hatte keine Ahnung, dass es so ungehobelte Penanga wie dich gibt.«

Talisha war verwirrt: Mitara hielt sie für barbarisch? Dabei vertrieben sich doch die Penanga mit wilden Grausamkeiten die Zeit! Trotzdem hatten sie so viele Benimmregeln, merkwürdig … Steckte in ihnen etwa mehr Menschliches, als sie ahnte?

Mitaras musterte sie mitleidig. »Bist eine Halbwaise, ach je … Frauen bekommen ihr Essen immer zuletzt. Nur wer eine Dame umwirbt, bietet ihr den ersten Teller an.«

Talisha merkte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Was hatte sie nur getan? Ausgerechnet Lisara, die es kaum erwarten konnte, sie loszuwerden, hatte sie scheinbare Avancen gemacht! Nun hatte sie ihr einen Grund gegeben, weiter gegen sie zu schießen: Wenn Krian glaubte, ihr Interesse gelte Frauen, würde er sie schnell abschieben. Schließlich lohnte sich die Jagd dann nicht mehr.

Mitara sah ihren Kummer. »Lass den Kopf nicht hängen. Das ist nicht das Ende von Nevaro. Servier ruhig weiter. Ich sag dir, was du zu beachten hast. Los jetzt!« Sie drückte ihr drei Teller in die Hand und schob sie nach vorne. »Das hier ist für Krian, Zyan und Finaro – in dieser Reihenfolge.«

Dankbar nickte Talisha.

Ab da klappte alles reibungslos. Als sie aber den letzten Gang abräumen wollte, hielt der Shiha’ru sie am Arm fest. »So, meine Hübsche, nun lass uns prüfen, ob die Beleidigung vorhin ein Versehen war oder mit Absicht geschah.«

»Herr, ich versichere Euch, es war reine Unwissenheit.« Talisha zuckte verlegen zusammen.

»Oh, ich glaube dir, Talika. Aber Lisara meint, du seist in sie verliebt. Sie will nicht mehr von dir bedient werden.«

Triumphierend blickte die sie aus purpurnen Augen an. Doch Lisara hatte nicht mit Krians Verschlagenheit gerechnet. »Ich mache dir einen Vorschlag: Wenn du mich küsst, glaube ich dir gerne, dass dein Interesse Männern gilt. Wenn nicht … nun, dann werden wir eine andere Verwendung für dich suchen müssen. Ich bin mir sicher, auch einige Frauen wissen ein Liebchen wie dich zu schätzen.«

Talisha genoss kurz Lisaras wütenden Gesichtsausdruck. Aber damit hatte Krian sie ebenfalls ausgetrickst. Weigerte sie sich, dann schob er sie ab – und wer wusste schon, wohin! Wenn sie ihn allerdings zu inbrünstig küsste, würde er das gegen sie ausspielen und seine Annäherungsversuche verstärken. Alles in Talisha sträubte sich dagegen, gerade ihn zu küssen – Krian, ihren ärgsten Feind! Doch es half nichts, er hatte sie in der Hand und das wusste er.

Spöttisch spitzte er den Mund. Aber so leicht wollte sie es ihm nicht machen. »Herr, wenn ein stattlicher Mann wie Ihr mich um einen Kuss bittet, will ich ihm gern seinen Wunsch erfüllen. Ihr müsst nur freundlich danach fragen.«

Ein entsetztes Raunen ging durch den Raum. Wie konnte jemand wie sie den Shiha’ru bloß so provozieren?

Der lachte nur, anscheinend reizte ihn ihre Dickköpfigkeit. Theatralisch umfasste er Talishas Rechte. »Meine Schönste, gewährst du mir die Freude eines Kusses?«

»Aber natürlich gerne.« Talisha neigte den Kopf und versuchte, sich mit einem federleichten Schmatzer auf die Wange aus der Affäre zu ziehen.

Aber Krian ließ sich nicht so einfach abspeisen. »Das ist doch kein richtiger Kuss!«, knurrte er und zog sie auf den Schoß, wobei er ihre Schultern fest, beinahe brutal umklammerte. So dicht zog er sie zu sich, dass sie seinen Atem an ihrem Hals spürte. Schon presste er den Mund auf ihren.

Sie war erstaunt, wie weich und warm seine Lippen waren. Es fiel ihr leichter als erwartet, den Kuss zu erwidern und sogar den Mund zu öffnen, damit seine Zunge mit ihrer spielen konnte. Dabei umschlang sie Krians Oberkörper, um ihrem Schauspiel mehr Leidenschaft zu verleihen. Das schien dem Shiha’ru zu gefallen, denn er drückte sie nun noch fester an sich. Talisha wurde ein wenig atemlos. Aber dennoch machte sie weiter, um Lisara zu ärgern.

Da legte er seine Hände auf ihre Taille und ließ sie auf Wanderschaft gehen, bis sie fast ihre Brüste berührten. Sofort versteifte sie sich, sah allerdings keine Möglichkeit, ihn davon abzuhalten.

Auf einmal rief Lisara: »Hört schon auf damit! Ich glaube ja, dass dieser Fehler aus Unwissenheit geschah!«

Aus schierer Bosheit ließ Talisha den Shiha’ru nicht los, sondern umarmte ihn etwas fester. Die anwesenden Stammesfürsten johlten lautstark. Als sie sich von Krian löste, war ihr ein wenig schwindlig. Noch nie zuvor war sie von einem anderen Mann als ihrem Vater geküsst worden. Und selbst das waren natürlich nur gehauchte Küsse auf die Wange oder die Stirn gewesen.

Der Shiha’ru grinste zufrieden, als die Männer ihm applaudierten. Immerhin hatte er vor allen demonstriert, wie unwiderstehlich er auf Frauen wirkte. Doch dann raunte er in ihr Ohr: »War das nun so schlimm?«

In Talisha tobten widerstreitende Gefühle: Sie hasste Krian, weil er Remavo unterjochen wollte. Er ließ andere zur Belustigung der Massen töten! Trotzdem war dieser Kuss so empfindsam gewesen, als verberge der Heerführer einen weicheren Kern …

Verwirrt schüttelte sie den Kopf, sprang auf und verließ das Zelt. Dabei schoss sie fluchtartig hinaus, wobei sie den hasserfüllten Blick nicht bemerkte, den Lisara ihr zuwarf.

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