Sonntag, 17. Januar 2021

[Reiheninterview] Die Flüchtlings-Chroniken von Michael Knabe

  

 

Reihenvorstellung 

Heute treffe ich mich mit Shevon, um mit ihm über die Reihe „Die Flüchtlings-Chroniken“ zu sprechen.

Hallo, danke, dass du heute Zeit hast, um mit mir über die Reihe zu reden.

Aber gern! Vielleicht hilft unser Gespräch sogar dabei, einen Diktator zu stürzen. – Kann ich vielleicht den Platz mit Blick auf den Eingang haben? Nein, den anderen, wo ich zur Not durch den Hinterausgang fliehen kann. Danke.
Kannst du uns die Reihe, bestehend aus den Teilen „Shevon: Die Flüchtlings-Chroniken I“ und „Ishabel: Die Flüchlings-Chroniken II“ mit wenigen Worten vorstellen?
*runzelt die Stirn* Mein Rat ist: Guckt nur hinein, wenn Ihr aushaltet, dass die Welt ein düsterer Ort sein kann. Ihr werdet ein paar abgrundtief schlechte Menschen kennenlernen. Einer davon – Regul – hat mir das Leben zur Hölle gemacht. Eigentlich hatte ich es gut. Reicher Vater, sorgloses Leben inmitten vieler Sklaven, beste Aussichten auf eine Karriere in Staatsämtern. Regul und seine Sippe haben mir alles genommen. Und nicht nur mir: Sie haben die Republik Levanon und die Leben vieler Menschen zerstört. Nun wollen sie das gesamte Inselrund beherrschen. Aber ich werde nicht ruhen, bis sie vor Gericht stehen. 
Ich bin nach Sabinon geflohen und lernte die Tochter des Königs kennen. *Er schweigt und blickt versonnen nach draußen. Auf mein Räuspern zuckt er zusammen.* Entschuldigung! Sie ist anders als ich. Stärker. Klüger. Aber ihre Feinde sind genauso hinterhältig wie meine. Manche sind schmierige Intriganten, andere waffenverliebt. Königlich ist keiner von ihnen. Ich wünsche Ishabel so sehr, dass sie sich durchsetzen kann, denn dann wird Sabinon ein besserer Ort werden.

Ihr Charaktere wachst mit euren Aufgaben, entwickelt euch weiter, besteht so manche Situation. Was glaubst du? Fällt es dem Autor leichter euch durch einfache, lustige oder durch schwierige, düstere Zeiten und Situationen zu führen?

*Shevon schnaubt zornig.* Das kann ich dir ganz genau sagen. Dieser Michael Knabe liebt es geradezu, mich in übelste Schwierigkeiten zu bringen! Letztes Jahr hat er bei einem Gespräch sogar zugegeben, dass er schon immer eine Stadt vernichten wollte. Kannst du dir das vorstellen? 
Andererseits hat er gesagt, dass er mit mir mitfiebert und mir eigentlich von Herzen alles Gute wünscht. Und dank ihm habe ich Ishabel und die Goldene Stadt kennengelernt, wenn auch nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte. Wahrscheinlich werde ich noch viel mehr vom Inselrund zu sehen bekommen. Und vielleicht kann ich diese Regul-Sippe doch noch drankriegen. Aber muss er mir deshalb das alles antun? Seltsamer Typ, der Mann. *Er wirft einen schnellen Blick aus dem Fenster.*

Hast du Lieblingsstellen in der Reihe, die du uns gerne vorstellen würdest?

Oh ja, die habe ich. Vielleicht sind einige davon ein wenig … persönlich für mich, aber wenn es hilft, Regul zu besiegen, nehme ich das in Kauf. 
Warte mal … Ja, hier wird angerissen, wie es mir ergeht. Der Flügelbote begleitet mich bis heute. Kennst du das Cal-Shòn-Spiel? Es ist ein wenig wie euer Schach, aber das Spielfeld ist viel genauer als eure Karos, mit einer Burganlage darauf. 
Shevon schob die Spielfiguren ziellos mit dem Fuß umher, bis er auf einen Flügelboten stieß, der noch intakt war. Zärtlich strich er mit dem Finger über das schwarze Holz. Der Mantel der Figur schien im Wind zu flattern. 
Gestern Mittag hatte er den Flügelboten noch gegen Merons Aufstellung geführt, hatte sein Vater dort drüben sich scheinbar in sein Dokument vertieft. Gestern war viele Tode weit weg. 
Hier dagegen bietet jemand Regul die Stirn, ohne dazu eine Waffe zu brauchen. Ach, Tante Rya. Ich vermisse dich. 
Rya zuckte die Achseln. »Nur zu! Der Weg dort drüben ist der einzige zum Festland hinüber und führt direkt nach Sosua. Aber bevor du losmarschierst, mach dir klar, dass dies hier Al-Yontar-Land ist. Jeder hier unterstützt meinen Bruder und hasst deinen Vater. Wie ich hörte, hast du auf der Herfahrt ja reichlich für Aufmerksamkeit gesorgt. Vielleicht findest du es ja heldenhaft, vom nächsten Bauern mit der Heugabel aufgespießt zu werden. Also, wie willst du es haben? Ehrenhafte Gastfreundschaft oder ein Strohsack im Verlies?« 
Mit der nächsten Stelle möchte ich einem Freund ein Denkmal setzen. Ich habe viel zu spät begonnen, ihn zu schätzen. 
»Erzähl mir mehr von Sabinon«, bat er Talyon, und auf die fragende Miene des Sklaven hin: »Nicht das, was du uns im Unterricht beigebracht hast. Erzähl mir, wie man in Sabinon lebt. Wie du gelebt hast.« 
Der Sklave saß reglos da. Die Hand mit dem Weinbecher zitterte und seine Augenlider flatterten unsichtbare Tränen weg. 
»Es ist ... es ist grausam, sich daran zu erinnern«, flüsterte er. »Weil alles, was damals mein Leben ausmachte, für immer verloren ist.« 
»Es tut mir leid. Ich wollte nicht ...« 
»Nein, Herr. Ist schon gut. Es verfolgt mich ohnehin in jeder wachen Minute.« 
Ich möchte dir auch zeigen, wozu dieser Regul schon in seiner Jugend fähig war. Heute quält er eher Menschen. 
Shevon hielt den Atem an und schlich sich näher, bis er Regul über die Schulter spähen konnte. 
Ein Frosch kämpfte mit verzweifelten Tritten seiner Hinterbeine, um Reguls Griff zu entkommen, doch der hielt ihn fest gepackt. Gerade als Shevon ihn erreichte, durchtrennte Regul mit dem Messer einen Muskel im Oberschenkel des Froschs. Dann ließ er das Tier los. Es wollte sich mit einem Sprung aus der Reichweite seines Peinigers bringen, aber sein Bein gehorchte ihm nicht mehr. Statt ihn voranzutreiben, vollführte es groteske Verrenkungen. Alle Stöße des gesunden Beins ließen den Frosch auf ebenso lächerliche wie erbarmungswürdige Weise im Kreis herumhüpfen. 
Regul beobachtete den Frosch mit konzentrierter Miene. Dann packte er das Tier erneut und durchtrennte auch den Muskel des anderen Beins. 
Und aus Sabinon? Vielleicht darf ich dir Ishabel vorstellen. *seufzt* Sie ist eine wirklich beeindruckende Frau. Und ich bin weit weniger beständig als sie. 
Warum zögerte er? 
Weil er sie nicht verlieren wollte. Weil er seit Tagen ihre Nähe suchte, wo immer er sie erhaschte. Weil er von ihren blitzenden Augen träumte, ihrer herrischen Stimme, ihren Händen, die Cal-shòn-Figuren auf dem Brett verteilten. Die ganze Zeit war er vor dieser Erkenntnis zurückgewichen. 
Die Wucht des Gedankens raubte ihm den Atem. Er wollte in Ishabels Nähe sein, für immer. Er wollte ihre Stimme hören, ihren Duft riechen, in ihren schwarzen Augen ertrinken. 
Gütige Götter, auch das noch. Er hatte sich verliebt. 
Prinzessin Ishabel scheut auch nicht vor übermächtigen Gegnern zurück. Dafür bewundere ich sie unglaublich! Vielleicht kann ich mir ja auch noch etwas von ihrem Mut antrainieren. 
„Prinzessin. Wie schön, dass Ihr Euch ein wenig zu uns gesellt.“ 
Wie freundlich und zuvorkommend er ihr immer erschienen war, selbst als sie längst wusste, dass seine verbindliche Art Teil des Spiels war. Wenn schon spielen, warum nicht freundlich? Nun schien die Grimasse auf einmal falsch und durchtrieben, genau wie das vergiftete Kompliment, das ihre Rolle auf die einer Beisitzerin reduzierte. Vor ihr saß kein Mentor, der sie in die Kunst des politischen Ränkespiels einführte, sondern ein Gegner im Spiel um die Macht, der die meisten Konkurrenten bereits vom Brett gefegt hatte.

Weißt du wie viel echter Michael in den Büchern oder dem ein oder anderen Charakter steckt?

Ich denke, mehr als er selbst sich eingestehen würde. Und nicht nur die netten Eigenschaften. Ich ahne schon, warum ich anfangs eher ängstlich auf Bedrohungen reagiere. Oder warum ich eine einigermaßen sorglose Kindheit hatte. Aber auch Fieslinge wie Regul sagen vielleicht etwas über ihn aus, wer weiß? Er ist ja so etwas wie ein Heiler für die Seele, hat er mir erzählt. Da muss man wahrscheinlich den ganzen Tag nett und verständnisvoll sein. Und dafür dürfen Figuren wie ich dann büßen, wenn er abends seine dunklen Seiten herauslässt und sich Intriganten, menschliche Monster und alle Unglücke auf dem Inselrund ausdenkt.
Wie würdest du als Protagonist den Autor beschreiben?
Michael? Der ist wahrscheinlich ganz normal. Ich glaube nicht, dass ihn jemand auf der Straße erkennt. Vielleicht an dem altmodischen Brillengestell, aber das tragen bei euch ja viele. Er hat zweifellos seine netten Seiten – er interessiert sich für uns, er lässt uns nicht hängen, er begeistert sich für uns und fühlt mit uns. Aber er bringt auch Schattenseiten mit. Seine Begeisterung für Katastrophen und unangenehme Menschen teile ich ganz sicher nicht! In meiner Heimat wäre er vielleicht ein ein Staatsangestellter in irgendeinem Ministerium. Schreiben kann er ja. Aber ich traue ihm nicht zu, gegen einen Usurpator oder Diktator aufzustehen. 
Regul beschimpft ihn als Weichling und sagt, sobald er mal aus dem Buch herauskommt, ist dieser Michael fällig. Prinzessin Ishabel dagegen hält ihn für aufrichtig.
Weißt du, wann die Idee stand eine Reihe zu schreiben? Stand es von vornherein fest, dass es ein Mehrteiler wird, oder habt ihr Protagonisten ein Eigenleben entwickelt?
Das weiß ich zufällig ganz genau, er hat es mir vor einer Weile mal erzählt. Und es war nicht gerade schmeichelhaft! Ich bin nämlich nur das Nebenprodukt einer älteren Geschichte. Sagt er. *beleidigter Blick* Angeblich sei ich dort ein freundlicher alter Mann gewesen, eine Art Gelehrter, der einem Abenteurer zur Seite stand. Haha, ein alter Mann! Naje, was nicht ist, kann ja noch werden. Jedenfalls haben die Testleser meinem Autor dann gesagt, dass sie nicht verstehen können, was ich eigentlich in der Geschichte soll und warum ich dem Abenteurer überhaupt helfe, anstatt gemütlich auf der Liege einen Honigwein zu schlürfen. Und was macht der Kerl? Erfindet Regul, einen dissozialen Verbrecher und Diktator, nur um seinen Lesern zu erklären, warum ich durchs Inselrund irre.
Wann kamen die Titel? Standen die im Vorfeld schon fest, oder entwickelten sie sich im Laufe des Schreibprozesses?
Der Titel meines Buchs stand sicher fest, schließlich ist es mein Name. Und bei Prinzessin Ishabel hat Michael es genauso gehalten. Ich gehe also davon aus, dass auch meine Nachfolger sich auf einem Buchtitel wiederfinden. „Flüchtlings-Chroniken“ finde ich ja etwas beängstigend. Es klingt, als ob ich noch eine ganze Menge Abenteuer vor mir habe.
Wer ist denn der Coverdesigner?
Der Coverdesigner ist eine Coverdesignerin, habe ich mir sagen lassen. Ich habe sie nie persönlich kennengelernt, aber sie hat sich meine Spielfigur ausgeliehen und auf das Bild des Umschlags gemalt. Den Flügelboten hier, siehst du? *Shevon zieht eine schwarze Spielfigur aus der Tasche seiner Tunika. Die Figur ist aus schwarzem Holz geschnitzt und unglaublich detailreich gestaltet.* Ihr Name ist Andrea Gunschera und sie schreibt selbst Bücher mit viel Spannung darin. Michael sagt, ihr nächstes wird er auf jeden Fall kaufen. Andrea Gunschera hat aber vor allem eine Ausbildung in … wie heißt das bei Euch, wenn Fresken und Statuen nicht mehr von Hand entstehen, sondern auf diesen seltsamen elektronischen Kisten? Irgendetwas mit Grafik und Design, glaube ich. Das scheint sie jedenfalls ausgezeichnet zu beherrschen.
Bist du mit den Covern zu 100% zufrieden, oder würdest du nachträglich noch etwas ändern wollen?
Ich finde, Andrea Gunschera hat meine Geschichte auf dem Bild perfekt eingefangen – mit einer Waffe. Nicht, dass ich selbst vernünftig mit den Dingern umgehen könnte, aber Diktator Regul ist ein entsetzlicher Waffennarr und hat vermutlich schon mit einem gladius geübt, als ich noch lernte, Buchstaben in Wachstafeln zu ritzen. Und was den Umschlag für Prinzessin Ishabel angeht: Traumhaft. Vor allem, wenn man den abgebildeten Garten wirklich kennt, mit seinen überdachten Kreuzgängen, den lauschigen Ecken mit Marmorbänken, dem Zwitschern der Vögel … *seufzt schwer und rafft sich dann zusammen* Nein. Nein, ich würde nichts ändern wollen.
Zum Abschluss würden mich noch deine Lieblingszitate aus den Büchern interessieren.
Vielleicht eins, in dem das Ende meiner Familie sichtbar wird und ich ein wenig über die Welt begreife? 
In ein paar Jahren würden die al Yontars zu Geistern der Geschichte verblassen, die ihre Gegner schrieben. Das einzige Verbrechen der Sklaven hier war, im Besitz des falschen Clans zu sein. 
Und hier eins zur Erinnerung an eine mutige Frau von ganz unten: 
„Frei.“ Dala bewegte die Lippen, als ob sie das Wort auf der Zunge schmeckte. „Frei. Endlich frei.“ Sie hielt den Atem an und tat schwankend, mit bloßen Füßen, den ersten Schritt in Freiheit, eine sabinoische Adelige in stinkenden Fetzen. 
Zum Abschluss habe ich eine Szene, die Prinzessin Ishabel charakterisiert, weil sie sich weder von der Vergangenheit noch von der Gegenwart aufhalten lässt. 
In den Kleiderfalten versteckt, ballte Ishabel eine Hand zur Faust, bis sie den vertrauten Schmerz der Fingernägel im Fleisch des Handballens spürte. Brash war tot. Tot! Sie hatte geschworen, sich nie wieder vor jemandem zu ducken, und jetzt reichte schon der Blick eines Leibwächters, um ihr den Mut zu rauben, sie klein und ängstlich zu machen. Eine schöne Königin würde sie abgeben. 
Nun, das konnte sie ändern. Sie fasste den Mann ins Auge, bereit, ihn beim nächsten Blickduell niederzustarren.

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