Sonntag, 17. Januar 2021

[Autoreninterview] Michael Knabe

 Autoreninterview

Michael Knabe

Natürlich möchte ich als erstes wissen, mit wem meine Leser und ich es zu tun haben. Könntest du dich in eigenen Worten kurz vorstellen?
Hallo und herzlichen Dank für die Gelegenheit, mich vorzustellen! Mein Name ist Michael Knabe. Ich habe die Fünfzig in Sichtweite, bin verheiratet und habe einen Sohn. Wenn ich nicht schreibe, arbeite ich in meiner Psychotherapiepraxis. In den letzten Jahren hat sich dabei ein Schwerpunkt in der Traumatherapie entwickelt. Wenn Patienten überraschend absagen und keine Berichte anstehen, schreibe ich an meinen Geschichten.
Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Übers Zeichnen. Mir ging es schon immer so: Wenn ich etwas gehört, gesehen oder gelesen habe, sprangen augenblicklich die Gedanken an, wie ich so etwas selbst verwerten könnte. Saß ich im Klavierkonzert, dann hatte ich gleich die ersten Takte für ein Stück meines Männerquartetts im Kopf Meine Mitsänger durften dann Alla Turca singen, ob sie wollten oder nicht. Gefiel mir ein Buch gut, dann ließen mich die Ideen daraus nicht mehr los. 
Schon in der Grundschule habe ich begonnen, Bildergeschichten zu zeichnen. Erstes Buch: Abenteuer einer Katze, handgemalt, Auflage: 1. Leider verschollen. Ich meine zu erinnern, dass die Katze quergestreift war und am Ende eine längsgestreifte fand. Die Kinder waren dann kariert. Bei den Tieren blieb es – zunächst. Nach einem nie fertiggestellten Detektiv-Comic habe ich gemeinsam mit meinem besten Freund epische Bildergeschichten erfunden. Jeder von uns hat Dutzende Seiten mit Filzstiften vollgemalt. Das dicke graue A3-Umweltpapier aus dem Eine-Welt-Laden wurde von Pelikanen, Igeln, Hasen oder Mäusen bevölkert. Der Arzt war ein Pferd, der Bürgermeister ein Stier. 
Dann bekam ich den Herrn der Ringe geschenkt. Von da an war ich für die Realwelt verloren und Motorboote, Autos und Detektive verschwanden endgültig aus meinen Geschichten. Stattdessen bekämpften die Tiere nun finstere Bösewichte, die auf seltsam gezackten Inseln ihr Unheil trieben. 
Aber allmählich fühlten sich die Tier-Comics falsch an. Kinderkram, leider. Fast unbemerkt füllten sich die Welten mit menschlichen Gestalten und die gestaltlosen Finsterlinge machten bösen Menschen Platz. Irgendwann habe ich mich von den Ideen des Herrn der Ringe lösen können und über mehrere Stufen eine eigene Welt auf die Beine gestellt, in der heute meine Geschichten spielen.
Welche Bücher sind bis jetzt von Dir erschienen? Könntest du sie uns in max. 5 Sätzen beschreiben?
„Shevon“ und „Ishabel“ sind die ersten zwei Bände der „Flüchtlings-Chroniken“. Sie erzählen die wechselvolle Lebensgeschichte des Flüchtlings Shevon al Yontar, der durch seinen Widersacher Regul brutal aus seinem privilegierten Leben in der Oberschicht gekegelt wird. Shevons Lebensziel ist es, den Diktator und Gewaltherrscher Regul vom Thron zu stoßen und wegen seiner Verbrechen vor Gericht zu stellen. Doch dafür muss er nicht nur einem Feind entkommen, der die halbe Welt unterjocht hat, sondern auch alles erringen, was er für seinen großen Kampf braucht: Geld, Einfluss, Unterstützer, ein Heer. Die Reihe begleitet ihn auf seinem Weg durch meine Welt, das riesige Inselrund mit tausenden großer und kleiner Inseln.
Arbeitest du gerade an einem neuen Werk?
Ich kämpfe mich gerade durch den dritten Band, der sich als ausgesprochen zäh herausstellt. Aber ich gebe nicht auf – schließlich kann ich Shevon nicht irgendwo im Inselrund alleinlassen! Parallel dazu beteilige ich mich gelegentlich an Ausschreibungen für Anthologien. So wird 2021 im Verlag p.machinery eine Kurzgeschichte von mir erscheinen. Die hat allerdings ein völlig anderes Thema: Die Behandlung eines Roboters , der unter Zwangsstörungen leidet.
Wenn du Freizeit zur Verfügung hast, was machst du am liebsten?
Du meinst, außer Schreiben? 
Meine Praxis frisst eine ganze Menge Zeit. Daneben teile ich mir mit meiner Frau die Kindererziehung. Wenn mal freie Zeit bleibt, sitze ich meistens vor dem Rechner und schreibe oder zeichne Karten für Shevons nächste Abenteuer. Gelegentlich führe ich noch das Liegerad aus und mache die Gegend nördlich von Freiburg unsicher. Aber das Schreiben belegt tatsächlich den allergrößten Teil meiner Freizeit.
Hast du auch Lieblingsbücher und einen Lieblingsautoren, mit denen du gerne einmal die eine oder andere Lesestunde verbringst?
Das wechselt; von wenigen Exemplaren abgesehen, lese ich Bücher selten zweimal. Große Ausnahme war der Herr der Ringe, den ich sicher zwölfmal komplett durch habe, und „Das Messingherz“ von Herbert Rosendorfer, auf dessen absurde Gegenwartsromane ich lange Zeit abonniert war. Vermutlich würden nur wenige nachvollziehen können, was ich an dem Buch so mag. Ansonsten lese ich viele Krimis von Arne Dahl, Cay Rademacher oder Tana French. Auch die „Red Rising“-Reihe habe ich gefressen.
Kannst du uns deinen Schreib- und Arbeitsplatz beschreiben oder zeigen, wo du am liebsten schreibst und deine Ideen verwirklichst?
Früher brauchte ich für die Karten einen riesigen Schreibtisch und habe immer davon geträumt, ein eigenes Schreibzimmer zu haben. Das hätte ich auch immer noch, im Dachgeschoss, aber tatsächlich habe ich längst alle Karten virtualisiert und sitze an einem winzigen Schreib-Platz von gerade 80 cm Breite im Wohnzimmer. Sonst würde mich meine Frau ja überhaupt nicht mehr sehen. Auf dem lautlosen Mini-Rechner steht der Flügelbote vom „Shevon“-Cover, der aus einer römischen Zinnfigur entstanden ist, und sieht mir beim Schreiben zu. Allerdings kann ich so nur in Ruhe schreiben, wenn mein Sohn im Bett ist. Manchmal laufen Film-Soundtracks, aber meistens herrscht Ruhe.
Wie können wir uns einen ganz normalen Tag bei dir vorstellen?
Gut gefüllt! Der Wecker klingelt um viertel nach sechs. Dann gilt es, nicht nur mich selbst, sondern auch den Sohnemann aus dem Haus zu kriegen. Ich habe das große Glück, zu Fuß zur Arbeit gehen zu können, und muss mich nicht mehr anderthalb Stunden durch den Schwarzwald quälen. Um neun kommt die FFP2-Tüte auf die Nase (zumindest zur Zeit) und der erste Patient klingelt. 
Meine Arbeitstage sind sehr unterschiedlich lang. Montags komme ich selten vor acht nach Hause und bin dann einfach platt. Dafür bin ich zwei Nachmittage lang mit Kinderbetreuung, Sohn-Taxidiensten, Hausaufgabenmotivation und Wocheneinkäufen dran. Abends ab halb neun, manchmal später, ist Zeit zum Schreiben – wenn ich dann noch fähig bin, geradeaus zu denken und mich von sozialen Medien fernzuhalten.
Was ist dein Lieblingsgenre beim Lesen, welches beim Schreiben?
Beim Lesen: Sehr oft Krimis. Wahrscheinlich, weil ich dabei nicht mehr so viel denken muss. Schwierige Probleme im Real Life bekomme ich acht Stunden täglich erzählt, da brauche ich meistens keine literarischen mehr obendrauf. Eigentlich lese ich sehr gern SciFi oder Fantasy, es fällt mir aber immer schwerer, in diesen Genres noch Bücher zu finden, die meinem Geschmack entsprechen und wirklich etwas Eigenes bieten. „Der lange Weg zu einem zornigen kleinen Planeten“ war da neulich eine ausgesprochen positive Überraschung. 
Schreiben ist zweigeteilt: In meinem Schreibforum dsfo.de entstehen bei Wettbewerben Kurzgeschichten, in der Regel mit Realitätsbezug: Autofahrer mit Agoraphobie, Arbeitssuchende mit Tinnitus, kenternde Kajakfahrer, Flugkapitäne auf ihrer letzten Dienstreise. Aber mein Herz gehört ganz klar der Fantasy und hier der Langform, dem Roman.
Hast du ein Lieblingszitat, nach welchem du in deinem Leben handelst? Und hast du ein Zitat aus einem deiner Bücher, welches deine Arbeit am besten beschreibt?
Ein ganzes Leben in einem Zitat? Da muss ich passen. Ich finde, die meisten Zitate, Sinnsprüche oder Aphorismen taugen ganz gut für ausgewählte Situationen. Bei meiner Arbeit als Therapeut ertappe ich mich immer wieder dabei, bestimmte Sätze als Verdichtung eines Themas gebetsmühlenartig zu wiederholen. Für die Angetriebenen, Strengen zum Beispiel der Satz: „So gut wie’s geht, ist immer gut genug.“ Hm. Der ist eigentlich für vieles passend. Wahrscheinlich sollte ich mich selbst mehr danach richten. 
Beim Schreiben ist es vielleicht einer der letzten Sätze aus „Ishabel“: „Ein Plan begann sich in seinem Kopf zu formen, vage und unbestimmt.“ So geht es immer los, mit einem Bild, einer Szene, einem Aufblitzen von Ideen, die mich faszinieren. Dann beginnt die Arbeit.
Hast du ein Lieblingsland und warum?
Am ehesten wohl mein eigenes. Ich habe in den Neunzigern ein Jahr in Schottland gelebt und war schon davor ein großer Fan des Vereinigten Königreichs. Ich lese Bücher gern im englischsprachigen Original, mache alle paar Wochen ein Full English Breakfast (nur ohne Würstchen) und der Kopf ist immer noch voll von Bildern der Highlands im Februar 1996. 
Aber dort habe ich auch gemerkt, wie viel an mir eigentlich deutsch ist und dass vieles, was ich als universell und selbstverständlich genommen hatte, in Wirklichkeit eine spezifisch deutsche Sichtweise darstellte. Mir geht es gut, wo ich lebe. Ich mache Urlaub zwei Hügel weiter im Schwarzwald oder auf der Schwäbischen Alb. Ich habe in acht deutschen Städten gewohnt. In den Flieger zu steigen, habe ich mir mit Blick auf das Klima weitgehend abgewöhnt – und bisher vermisse ich tatsächlich fast nichts. 
In meinen Geschichten war es immer das mächtige Sabinon, für mich eine Art vormittelalterliche USA, märchenhaft reich, weltoffen und sorglos. Dann habe ich das Land durch „Ishabel“ genauer kennengelernt. Vielleicht ist dabei auch einiges vom aktuellen Bild der USA eingeflossen. Jedenfalls sehe ich mein Märchenland inzwischen deutlich kritischer.
Bist du ein kritikfähiger Mensch oder wie gehst du mit Kritik im Allgemeinen um?
Ich hoffe es! Letztlich können das wohl eher andere entscheiden. Aber da hat sich die Ausbildung in Psychotherapie hoffentlich etwas ausgezahlt. 
Beim Schreiben habe ich mich durch zahllose Wettbewerbe im Deutschen Schriftstellerforum an schonungslos ehrliche Kritik gewöhnt. Dort bleiben die Teilnehmer anonym, bis alle Bewertungen geschrieben sind, und man liest ganz deutlich, was an der eigenen Geschichte nichts taugt. Insofern habe ich wohl eine relativ dicke Haut, was Textkritik angeht.
Warum hast du dich entschieden zu einem Verlag zu gehen und nicht Selfpublisher zu werden?
Klare Antwort: Marketing ganz allein traue ich mir nicht zu. Ich habe sehr hohen Respekt vor AutorInnen, die sich selbständig einen Kreis interessierter LeserInnen aufbauen, am Buchmarkt sichtbar werden und wachsende Stückzahlen verkaufen. Da kommen mir meine eigenen Versuche, mit dem Publikum in Kontakt zu treten, noch unsicher und zaghaft vor. 
Außerdem habe ich die Abläufe im Hybrid Verlag sehr schätzen gelernt. Mindestens zwei Lektoratsdurchläufe mit unterschiedlichen Verlagsmitarbeiterinnen, Korrektorat mit intensiven Komma-Diskussionen, das hat meinen Büchern bislang immer gut getan und ich fühle mich respektvoll und auf Augenhöhe behandelt, auch als Debutant. 
Gibt es etwas, was du meinen Lesern noch mit auf den Weg geben möchtest?
Als ob ich anderen etwas Schlaues zu sagen hätte … aber gut: Lest! Gerne natürlich meine Bücher, aber vor allem: Lest überhaupt. Gebt uns Autoren Rückmeldung. Als Mail, als Rezension, egal wie. Jeder Satz bei den großen Online-Buchläden oder in den Sozialen Medien hilft unsereins bei der Sichtbarkeit.

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