
Das breite Doppelbett ist das erste, was ich sehe, als ich
in das Zimmer gestoßen werde.
Das nennt man wohl gut
konditioniert.
Als Nächstes richten sich
meine Augen auf den Vampir im Raum. Ich sehe ihm nicht ins Gesicht, aber was ich sehe,
ist irritierend, denn er würdigt mich keines Blickes, sondern sitzt seelenruhig
an einem Schreibtisch aus dunklem Holz und schreibt irgendetwas auf ein Blatt
Papier.
Vorsichtig hebe ich den Kopf.
Er trägt klassische Jeans sowie ein graues Hemd und seine dunkelblonden Haare
sind an den Seiten kurz rasiert. Als er sich endlich dazu herablässt,
aufzusehen, fixieren mich blaue Augen,
die Iris umrahmt von dem charakteristischen dunkelroten Ring eines Vampirs.
Ich kann nicht anders;
reflexartig zuckt mein Blick Richtung Boden. Unnötigerweise, denn er hat sich bereits dem Vampir zugewandt, der mich
hergeschleift hat.
Ich verstehe die Worte nicht,
die die beiden miteinander wechseln, aber auch
so ist anhand des folgenden, knappen Dialogs klar, wer hier das Sagen hat. Und
das ist definitiv nicht der Typ, der noch immer meinen Oberarm umklammert, als
erwarte er, dass ich jeden Moment auf ihn losgehe.
Als hätte ich die Energie für
einen Fluchtversuch.
Im nächsten Moment löst sich
der Griff und Sekunden später bin ich mit dem fremden Vampir alleine. Er wirft
einen kurzen, interessierten Blick auf meinen Arm, an dem Fingerabdrücke als
heftige Blutergüsse zu sehen sein müssen, dann wendet er sich wieder den
Papieren auf seinem Schreibtisch zu.
»Rechts von dir ist das Bad.
Geh duschen.«
Ich zucke zusammen. Keine
Ahnung, was mich mehr schockiert: Die
Tatsache, dass er nicht direkt über mich
herfällt – ja, mich kaum eines Blickes
würdigt – oder, dass er Englisch mit mir
spricht. Es sind die ersten englischen Worte,
die ich höre seit ... Wochen? Monaten? Jahren?
Ich habe keine Ahnung, wie lange ich
schon hier bin, geschweige denn, in welchem Land ich mich befinde, aber eins
ist sicher: Amerika ist es nicht mehr. Ich verstehe hier kein Wort, doch wenn ich raten müsste, würde ich auf Russisch tippen. Bisher bestand die einzige
Kommunikation – abgesehen von Schlägen oder ähnlich spaßigen Dingen – aus unverständlichen Worten, die mir wüst entgegengeschrien wurden.
Einige Wörter haben sich dabei
eingeprägt, aber ob dieser kleine Wortschatz mir außerhalb dieser Mauern etwas
bringen würde, wage ich doch stark zu bezweifeln.
»War irgendetwas an meiner
Aussage missverständlich?«
Ich zucke erneut zusammen, als
der Vampir mich wiederholt anspricht, obwohl er nicht einmal die Stimme erhebt
und keinerlei Anzeichen macht, näherzukommen. Stattdessen hebt er lediglich eine Braue.
Schnell schüttele ich den Kopf
und gehe mit unsicheren Schritten ins
Bad.
Trotz der stechenden Schmerzen auf meiner gereizten
Haut fühlt sich das warme Wasser so angenehm an, dass ich am liebsten für immer
hier stehen bleiben möchte. Es ist die erste richtige Dusche seit meiner
Gefangenschaft, denn mit eiskaltem Wasser aus einem Schlauch abgespritzt zu
werden, ist nicht ganz dasselbe.
Und wann ich das letzte Mal meine Ruhe dabei hatte, ohne, dass jemand mich
begaffte, weiß ich auch nicht mehr. Nur leider muss ich hier irgendwann wieder raus, wenn ich nicht
will, dass der Vampir, von dem mich nur
eine unverschlossene Tür trennt, kommt und mich
eigenhändig hier herausschleift. Oder mir
Gesellschaft leistet.
Wehmütig stelle ich das Wasser
ab, verlasse die Dusche und greife nach einem Handtuch. Schnell drehe ich mich
vom Spiegel weg, der über dem Waschbecken hängt. Ich will gar nicht wissen, wie
mein Körper aussieht. Mir ist auch so klar, dass ich furchtbar aussehe, danke. Nie habe ich mir Gedanken darüber gemacht, was Vampirgift ausgerechnet mit meiner Haut anstellen würde – man sollte
meinen, ich hätte wichtigere Probleme –
aber Fakt ist: Es sieht absolut grauenhaft aus. Vom Hals abwärts bis zur Hüfte ist praktisch jeder Zentimeter Haut von
Bissnarben bedeckt. Dass mein Hals nicht
ebenfalls völlig zerbissen ist, liegt nur an dem schmalen Metallhalsband; ein
massives Eisenteil, das hinten mit einer metallenen Schnalle verschlossen wird,
die sich durch Knopfdruck öffnen lässt. Den Knopf habe ich bereits vor einer Ewigkeit gefunden, nur
passiert leider nichts, wenn ich drauf drücke.
Zusätzlich zu den Bissnarben
ist mein ganzer Körper mit blauen Flecken
und Striemen in allen möglichen Stadien der Heilung bedeckt. Auch, wenn meine
Selbstheilungskräfte im Gegenzug zu denen eines Menschen enorm sind, brauchen
gewisse Verletzungen ein paar Stunden bis Tage, um vollständig abzuheilen.
Außerdem habe ich den Eindruck, dass das Gift, das mir andauernd verabreicht
wird, meinen Körper ziemlich
durcheinanderbringt und die Heilung nicht gerade
beschleunigt.
Mir war klar, dass es der
blanke Horror werden würde, damals, von
dem Moment an, in dem ich gefangen wurde.
Wie recht ich hatte, hätte ich mir in meinen schlimmsten Albträumen nicht
ausmalen können. Denn, ja; egal, wie viele offizielle, sorgfältig ausgetüftelte
Abkommen es zwischen Wandlern, Vampiren
und Menschen auch immer geben mag, wurde
uns schon als Kinder eingetrichtert, dass Vampire
gefährlich sind. Monster. Unsere Feinde. Aber für mich waren das nichts als
Schauergeschichten. Denn auch, wenn sie
genauso zur Gesellschaft gehören wie wir und sich an allen öffentlichen Orten
blicken lassen könnten, halten sie sich sehr
bedeckt. Ich habe als Kind nie einen zu Gesicht bekommen.
Das Problem an der Sache ist,
dass man als Vampir ziemlich lange leben kann. Unendlich lange, wenn man es gut anstellt, während wir relativ menschlich aufwachsen, altern und nur ein paar Jahre über der menschlichen Lebenserwartung sterben.
Dementsprechend existieren – passt besser als leben, meiner Meinung nach –
nicht gerade wenige Blutsauger, die sich noch persönlich an die Zeit erinnern, in der
sich Vampire und Wandler euphorisch und mit großem Brimborium bekriegt haben. Auch, wenn das nicht nur Jahrzehnte, sondern
mindestens ein Jahrhundert her ist. Für diese sind es keine Geschichten, die
man Kindern erzählt, damit sie artig sind. Es handelt sich um wahre
Erinnerungen und einige dieser Vampire sind ... dezent nachtragend,
könnte man sagen. Und gelangweilt, offensichtlich, denn irgendeiner dieser
blutsaugenden Arschlöcher ist in seiner ewig währenden Monotonie auf die
glorreiche Idee gekommen, dass das ständige Spenderblut doch eigentlich unter seiner Würde ist. Und er da ja
auch noch
irgendeine Rechnung mit uns Wandlern offen hat, scheiß egal, dass von denen,
die er mal bekriegt hat, keiner mehr lebt ... Tja. So kann eins zum anderen
führen. Ein bisschen verjährter Groll,
ein bisschen Sippenhass, ein bisschen Langeweile, ein bisschen Verlangen nach Abwechslung auf der
Speisekarte ... und schon landet man gequält, gebissen und gefoltert unter
einem Vampir.
Nachdem ich mich
abgetrocknet und es geschafft habe, mich von all den wunderbaren Gedanken
loszureißen, zögere ich kurz, bevor ich mir mit dem Handtuch ein letztes
Mal durch mein dunkles Haar fahre und es dann auf eine Ablage lege. Wozu sich
die Mühe machen, es mir umzubinden? Er wird es mir ohnehin wieder abnehmen.
Kurz schließe ich die Augen, bevor ich durch die Tür zurück ins Zimmer trete. Hilft ja alles nichts.
Je schneller ich ihm gebe, was er zweifellos wollen wird, desto eher ist es
vorbei.
Nach zwei Schritten, in denen
er mich weiterhin nicht beachtet, bleibe ich irritiert stehen und warte. Es
dauert ein paar Sekunden, in welchen ich immer verwirrter werde, bis der Vampir
sich endlich zu mir herumdreht. Zum ersten Mal sieht er mich genau an, mustert
meinen nackten Körper von oben bis unten. Dann nickt er mit dem Kopf Richtung
Bett. Ich beiße bereits die Zähne
zusammen, als der Inhalt seiner nächsten Worte bei mir ankommt.
»Zieh dich an.«
Tonlos starre ich auf die
Klamotten, die auf dem Bett liegen und erst jetzt in meinen Fokus treten. Er
will was von mir?
»Du darfst auch gerne nackt bleiben, wenn dir das besser
gefällt. Ich habe damit kein Problem.«
Erneut zucke ich bei seinen
Worten zusammen, so entspannt sie auch
ausgesprochen sein mögen, und greife mir hastig die Kleidungsstücke. Schwarzes T–Shirt, schwarze Hose. Subtil. Nach Unterwäsche zu fragen, wäre wohl etwas zu viel
des Guten.
Die Kleidung fühlt sich
seltsam an auf meiner empfindlichen Haut. Keine Ahnung, wann mir das letzte Mal
Klamotten erlaubt wurden. Vorher.
Ich presse kurz die Augenlider
zusammen. Das ist nichts, woran ich denken möchte.
›Es ist vorbei. Das hier ist jetzt
Realität, für den Rest deines erbärmlichen Lebens. Finde dich damit ab.‹
Als er aufsteht, huscht mein Blick in seine Richtung und instinktiv
spannt sich jede Sehne meines Körpers an,
bereit für Kampf oder Flucht. Habe ich nicht in all der Zeit, die ich hier bin,
gelernt, dass beides unmöglich ist?
Der Vampir beachtet mich nicht
weiter, sondern geht an mir vorbei zur Tür. Erst da wendet er sich noch einmal um. »Du darfst dich frei im ganzen
Apartment bewegen, aber lass die Finger von meinem Schreibtisch. Und ich würde
dir davon abraten, es mit der Tür oder dem Fenster zu versuchen.«
Dann ist er verschwunden.
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