Mittwoch, 23. April 2025

[Schnipseltime] Toxisch - Denn du bist mein Gott von A. C. Ozera


 

Das breite Doppelbett ist das erste, was ich sehe, als ich in das Zimmer gestoßen werde.

Das nennt man wohl gut konditioniert.

Als Nächstes richten sich meine Augen auf den Vampir im Raum. Ich sehe ihm nicht ins Gesicht, aber was ich sehe, ist irritierend, denn er würdigt mich keines Blickes, sondern sitzt seelenruhig an einem Schreibtisch aus dunklem Holz und schreibt irgendetwas auf ein Blatt Papier.

Vorsichtig hebe ich den Kopf. Er trägt klassische Jeans sowie ein graues Hemd und seine dunkelblonden Haare sind an den Seiten kurz rasiert. Als er sich endlich dazu herablässt, aufzusehen, fixieren mich blaue Augen, die Iris umrahmt von dem charakteristischen dunkelroten Ring eines Vampirs.

Ich kann nicht anders; reflexartig zuckt mein Blick Richtung Boden. Unnötigerweise, denn er hat sich bereits dem Vampir zugewandt, der mich hergeschleift hat.

Ich verstehe die Worte nicht, die die beiden miteinander wechseln, aber auch so ist anhand des folgenden, knappen Dialogs klar, wer hier das Sagen hat. Und das ist definitiv nicht der Typ, der noch immer meinen Oberarm umklammert, als erwarte er, dass ich jeden Moment auf ihn losgehe.

Als hätte ich die Energie für einen Fluchtversuch.

Im nächsten Moment löst sich der Griff und Sekunden später bin ich mit dem fremden Vampir alleine. Er wirft einen kurzen, interessierten Blick auf meinen Arm, an dem Fingerabdrücke als heftige Blutergüsse zu sehen sein müssen, dann wendet er sich wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch zu.

»Rechts von dir ist das Bad. Geh duschen.«

Ich zucke zusammen. Keine Ahnung, was mich mehr schockiert: Die Tatsache, dass er nicht direkt über mich herfällt – ja, mich kaum eines Blickes würdigt – oder, dass er Englisch mit mir spricht. Es sind die ersten englischen Worte, die ich höre seit ... Wochen? Monaten? Jahren? Ich habe keine Ahnung, wie lange ich schon hier bin, geschweige denn, in welchem Land ich mich befinde, aber eins ist sicher: Amerika ist es nicht mehr. Ich verstehe hier kein Wort, doch wenn ich raten müsste, würde ich auf Russisch tippen. Bisher bestand die einzige Kommunikation – abgesehen von Schlägen oder ähnlich spaßigen Dingen – aus unverständlichen Worten, die mir wüst entgegengeschrien wurden. Einige Wörter haben sich dabei eingeprägt, aber ob dieser kleine Wortschatz mir außerhalb dieser Mauern etwas bringen würde, wage ich doch stark zu bezweifeln.

»War irgendetwas an meiner Aussage missverständlich?«

Ich zucke erneut zusammen, als der Vampir mich wiederholt anspricht, obwohl er nicht einmal die Stimme erhebt und keinerlei Anzeichen macht, näherzukommen. Stattdessen hebt er lediglich eine Braue.

Schnell schüttele ich den Kopf und gehe mit unsicheren Schritten ins Bad.

 

Trotz der stechenden Schmerzen auf meiner gereizten Haut fühlt sich das warme Wasser so angenehm an, dass ich am liebsten für immer hier stehen bleiben möchte. Es ist die erste richtige Dusche seit meiner Gefangenschaft, denn mit eiskaltem Wasser aus einem Schlauch abgespritzt zu werden, ist nicht ganz dasselbe. Und wann ich das letzte Mal meine Ruhe dabei hatte, ohne, dass jemand mich begaffte, weiß ich auch nicht mehr. Nur leider muss ich hier irgendwann wieder raus, wenn ich nicht will, dass der Vampir, von dem mich nur eine unverschlossene Tür trennt, kommt und mich eigenhändig hier herausschleift. Oder mir Gesellschaft leistet.

Wehmütig stelle ich das Wasser ab, verlasse die Dusche und greife nach einem Handtuch. Schnell drehe ich mich vom Spiegel weg, der über dem Waschbecken hängt. Ich will gar nicht wissen, wie mein Körper aussieht. Mir ist auch so klar, dass ich furchtbar aussehe, danke. Nie habe ich mir Gedanken darüber gemacht, was Vampirgift ausgerechnet mit meiner Haut anstellen würde – man sollte meinen, ich hätte wichtigere Probleme – aber Fakt ist: Es sieht absolut grauenhaft aus. Vom Hals abwärts bis zur Hüfte ist praktisch jeder Zentimeter Haut von Bissnarben bedeckt. Dass mein Hals nicht ebenfalls völlig zerbissen ist, liegt nur an dem schmalen Metallhalsband; ein massives Eisenteil, das hinten mit einer metallenen Schnalle verschlossen wird, die sich durch Knopfdruck öffnen lässt. Den Knopf habe ich bereits vor einer Ewigkeit gefunden, nur passiert leider nichts, wenn ich drauf drücke.

Zusätzlich zu den Bissnarben ist mein ganzer Körper mit blauen Flecken und Striemen in allen möglichen Stadien der Heilung bedeckt. Auch, wenn meine Selbstheilungskräfte im Gegenzug zu denen eines Menschen enorm sind, brauchen gewisse Verletzungen ein paar Stunden bis Tage, um vollständig abzuheilen. Außerdem habe ich den Eindruck, dass das Gift, das mir andauernd verabreicht wird, meinen Körper ziemlich durcheinanderbringt und die Heilung nicht gerade beschleunigt.

Mir war klar, dass es der blanke Horror werden würde, damals, von dem Moment an, in dem ich gefangen wurde.

Wie recht ich hatte, hätte ich mir in meinen schlimmsten Albträumen nicht ausmalen können. Denn, ja; egal, wie viele offizielle, sorgfältig ausgetüftelte Abkommen es zwischen Wandlern, Vampiren und Menschen auch immer geben mag, wurde uns schon als Kinder eingetrichtert, dass Vampire gefährlich sind. Monster. Unsere Feinde. Aber für mich waren das nichts als Schauergeschichten. Denn auch, wenn sie genauso zur Gesellschaft gehören wie wir und sich an allen öffentlichen Orten blicken lassen könnten, halten sie sich sehr bedeckt. Ich habe als Kind nie einen zu Gesicht bekommen.

Das Problem an der Sache ist, dass man als Vampir ziemlich lange leben kann. Unendlich lange, wenn man es gut anstellt, während wir relativ menschlich aufwachsen, altern und nur ein paar Jahre über der menschlichen Lebenserwartung sterben. Dementsprechend existieren – passt besser als leben, meiner Meinung nach – nicht gerade wenige Blutsauger, die sich noch persönlich an die Zeit erinnern, in der sich Vampire und Wandler euphorisch und mit großem Brimborium bekriegt haben. Auch, wenn das nicht nur Jahrzehnte, sondern mindestens ein Jahrhundert her ist. Für diese sind es keine Geschichten, die man Kindern erzählt, damit sie artig sind. Es handelt sich um wahre Erinnerungen und einige dieser Vampire sind ... dezent nachtragend, könnte man sagen. Und gelangweilt, offensichtlich, denn irgendeiner dieser blutsaugenden Arschlöcher ist in seiner ewig währenden Monotonie auf die glorreiche Idee gekommen, dass das ständige Spenderblut doch eigentlich unter seiner Würde ist. Und er da ja auch noch irgendeine Rechnung mit uns Wandlern offen hat, scheiß egal, dass von denen, die er mal bekriegt hat, keiner mehr lebt ... Tja. So kann eins zum anderen führen. Ein bisschen verjährter Groll, ein bisschen Sippenhass, ein bisschen Langeweile, ein bisschen Verlangen nach Abwechslung auf der Speisekarte ... und schon landet man gequält, gebissen und gefoltert unter einem Vampir.

Nachdem ich mich abgetrocknet und es geschafft habe, mich von all den wunderbaren Gedanken loszureißen, zögere ich kurz, bevor ich mir mit dem Handtuch ein letztes Mal durch mein dunkles Haar fahre und es dann auf eine Ablage lege. Wozu sich die Mühe machen, es mir umzubinden? Er wird es mir ohnehin wieder abnehmen.

Kurz schließe ich die Augen, bevor ich durch die Tür zurück ins Zimmer trete. Hilft ja alles nichts. Je schneller ich ihm gebe, was er zweifellos wollen wird, desto eher ist es vorbei.

Nach zwei Schritten, in denen er mich weiterhin nicht beachtet, bleibe ich irritiert stehen und warte. Es dauert ein paar Sekunden, in welchen ich immer verwirrter werde, bis der Vampir sich endlich zu mir herumdreht. Zum ersten Mal sieht er mich genau an, mustert meinen nackten Körper von oben bis unten. Dann nickt er mit dem Kopf Richtung Bett. Ich beiße bereits die Zähne zusammen, als der Inhalt seiner nächsten Worte bei mir ankommt.

»Zieh dich an.«

Tonlos starre ich auf die Klamotten, die auf dem Bett liegen und erst jetzt in meinen Fokus treten. Er will was von mir?

»Du darfst auch gerne nackt bleiben, wenn dir das besser gefällt. Ich habe damit kein Problem.«

Erneut zucke ich bei seinen Worten zusammen, so entspannt sie auch ausgesprochen sein mögen, und greife mir hastig die Kleidungsstücke. Schwarzes T–Shirt, schwarze Hose. Subtil. Nach Unterwäsche zu fragen, wäre wohl etwas zu viel des Guten.

Die Kleidung fühlt sich seltsam an auf meiner empfindlichen Haut. Keine Ahnung, wann mir das letzte Mal Klamotten erlaubt wurden. Vorher.

Ich presse kurz die Augenlider zusammen. Das ist nichts, woran ich denken möchte.

Es ist vorbei. Das hier ist jetzt Realität, für den Rest deines erbärmlichen Lebens. Finde dich damit ab.‹

Als er aufsteht, huscht mein Blick in seine Richtung und instinktiv spannt sich jede Sehne meines Körpers an, bereit für Kampf oder Flucht. Habe ich nicht in all der Zeit, die ich hier bin, gelernt, dass beides unmöglich ist?

Der Vampir beachtet mich nicht weiter, sondern geht an mir vorbei zur Tür. Erst da wendet er sich noch einmal um. »Du darfst dich frei im ganzen Apartment bewegen, aber lass die Finger von meinem Schreibtisch. Und ich würde dir davon abraten, es mit der Tür oder dem Fenster zu versuchen.«

Dann ist er verschwunden.

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