Leseprobe „Mânil 2 – Keine Leinenpflicht in Katurath’ka“
Seite 287 – 293
Suketo erzählt:
Am Montagmorgen, als ich in die
Küche kam, saß Mânil bereits dort mit Lilian, Amadeus und Shela und wirkte, als
wolle er demnächst irgendwen umbringen. Ich rechnete fest damit, dass er
aufstehen und gehen würde, als ich den Raum betrat, stattdessen blieb er sitzen
und ignorierte mich stumpf. Die anderen drei verstummten im Gespräch und
beobachteten uns neugierig.
„Toll, was ihr beide heute Morgen
wieder für eine Stimmung versprüht. Da kriegt man gleich Lust, wieder zurück
ins Bett zu gehen“, bemerkte Lilian sarkastisch. Shela ihrerseits hatte mir
bereits auseinandergesetzt, was sie von den Dingen hielt, die ich zu Mânil
gesagt hatte, sich jedoch ungewohnt kurzgefasst. Sie hatte keine Lust, sich mit
Mânil zu streiten, weil es ihn störte, wenn sie sich einmischte.
Ich seufzte und fragte ihn direkt:
„Geht es noch um das Gewächshaus und was ich am Freitag zu dir wegen Tyrone
gesagt habe?“
„Quatsch“, brummte er und sah mich
an, als fände er es mehr als überflüssig, dass ich darüber auch nur nachdachte.
„Ich bin halt schlecht gelaunt, wenn der Tag mit Stunden beginnt, auf die ich
überhaupt keine Lust habe“, erläuterte er und wirkte nicht, als hätte er vor,
dazu noch mehr zu sagen.
„Davon kann ich dich wohl nicht
abhalten“, erwiderte ich unverbindlich.
Amadeus sagte: „Auch auf die
Gefahr hin, dass mir gleich einer von euch beiden an die Kehle geht – dürfen
wir zusehen?“
„Wieso zusehen?“, fragte Mânil
alarmiert. „Macht ihr nicht mit?“
Hatte ich etwa vergessen, ihm zu
sagen, dass der Unterricht nur ihm galt?
„Nein“, wunderte Amadeus sich über
die Frage. „Ich kann nicht dieselben Sachen lernen wie du, Lilian sowieso
nicht, Shela trainiert allein und Tyrone – na ja.“
Ich ergänzte: „Ich bin laut
Lehrplan nicht verpflichtet, euch irgendwelche Kampfkünste beizubringen und für
Tyrone ist das sowieso nicht wichtig.“ Mânil sah mich entsetzt an. Er hatte mit
Gruppenunterricht gerechnet.
„Und nein“, setzte ich hinzu. „Ihr
dürft nicht zusehen.“ Auch wenn mir klar war, dass sie es trotzdem tun würden.
Abgesehen von Shela war Barnabas der Letzte gewesen, dem ich diese Art von
Unterricht hatte zukommen lassen. Dieser war nur von nicht sehr kämpferischer
Natur gewesen, weshalb jene Stunden mit ihm überhaupt keinen Spaß gemacht
hatten. Mânil war das zwar eigentlich auch nicht, aber er war wesentlich
temperamentvoller als Barnabas. Ich ging davon aus, dass er ein gefährlicher
und unberechenbarer Gegner sein konnte – wenn er denn wollte.
Mânil hatte keinen großen Hunger,
war bereits fertig und stand ohne ein Wort auf, um aus der Küche zu gehen.
„Sei nachher pünktlich um zehn in
der Bibliothek“, rief ich ihm hinterher; er brummte bloß.
„Was wirst du machen, wenn er sich
weigert?“, fragte Amadeus neugierig.
„Zwing ihn“, meinte Shela
leichthin. „Er wird schon rausfinden, dass es ihm guttut. Und da ihr ja unten
in der Trainingshalle seid, hast du ganz andere Möglichkeiten. Es ist eine
Sache zu wissen, wie die Magie dort funktioniert, eine andere, es am eigenen
Leib zu erfahren.“
Sie grinste und Lilian sagte zu
mir: „Ich habe manchmal das Gefühl, von dir adoptiert zu werden, kann dazu
führen, dass die eigenen moralischen und ethischen Vorstellungen flexibler
werden.“
Shela kicherte. „Das ist ein
verdammt gutes Argument! Aber hey, ich weiß, wovon ich rede. Der Kampfsaal
gehört zu den mit Abstand besten Räumen in diesem Haus.“ Amadeus nickte
vehement.
Mânil hatte ich über die
besonderen Qualitäten dieses Raums noch nicht aufgeklärt. Ausnahmsweise
erschien ich pünktlich um zehn. Ich wollte nicht, dass er gleich wieder ging,
wenn ich zur festgesetzten Zeit nicht, wie angekündigt, in der Bibloithek war. Er
tauchte jedoch erst um kurz nach halb elf auf und machte noch immer ein
ungewohnt mürrisches Gesicht. Er trug eine schwarz-weiß gestreifte Hose und
seine scharlachroten Lackstiefel mit den Plateausohlen. Dazu ein kurzärmliges,
grünes Hemd über einem Langarm-Shirt mit kunstvoll zerrissenen Ärmeln. Zudem
hatte ich den deutlichen Eindruck, dass die grünen Strähnen in seinem Haar seit
heute früh deutlich greller geworden waren.
„Nachgefärbt?“ fragte ich, um
friedliche und unverfängliche Konversation bemüht, während ich ihn eine Etage
unter der Bibliothek durch den Keller führte. In die Bibliothek hatte ich ihn
nur bestellt, weil er noch nie in der Trainingshalle gewesen war und sie
vermutlich nicht gefunden hätte.
„Nein, Verwandlungszauber“,
erwiderte er einsilbig, „das hält besser und macht die Haare nicht kaputt.“
„Pass auf“, fuhr ich ihn etwas
unwirsch an. „Wir können das jetzt ganz zivilisiert angehen oder auf die harte
Tour – wie du willst.“
Er schwieg und ich seufzte
genervt. Wir passierten die Zaubertranklabore und den Klausursaal. Auf der
Suche nach Shela war Mânil schon einmal in der Etage darunter gewesen. So war
es ihm nicht neu, dass die Wege, die in diese dritte Etage hinab führten, gut
getarnt waren. Nicht jeder meiner Solekorek wusste, wie weit es in meinem
Keller noch hinabging. Dort hütete ich noch so manches Geheimnis – zum Beispiel
den geheimen Teil meiner Bibliothek, von dem nicht einmal Shela ahnte, oder
was, beziehungsweise wer sich noch alles in diesem dritten Untergeschoss
verbarg. Wir gingen noch durch einige Korridore und am Ende eines kurzen Flurs
gelangten wir in den Vorraum, welcher für meine Verhältnisse nahezu
minimalistisch eingerichtet war: Hier stand ein rot-schwarzes Ecksofa zum
Erholen, darüber hingen an der Wand ein paar Schwerter, Ketten, ein Fächer und
ein Eckregal, aus welchem eine Ranke sich in den Raum hineinstreckte. In der
anderen Ecke zu unserer Rechten stand ein Minikühlschrank, so wie eine größere
Topfpflanze, die ich ebenfalls davon überzeugt hatte, hier auch ohne
Sonnenlicht zu wachsen. Schräg gegenüber der Tür, durch die wir kamen, führte
eine Doppeltür in die Halle. Daneben gab es einen schlichten Schrank und zu
unserer Linken war ein roter Kreis von circa zwei Metern Durchmesser auf den
cremefarbenen Teppichboden gesprüht.
„Setz dich“, befahl ich, wies auf
das Sofa und ließ mich ebenfalls nieder. Mânil blieb mit vor der Brust
verschränkten Armen stehen und sah mich nur stur an.
„Bevor wir hineingehen, werde ich
dir von der speziellen Magie erzählen, die jenen Raum ausmacht, und das meine
ich in keiner Weise poetisch. Alles, was dir dort drin widerfährt, jeder
Schaden ob magischer oder nichtmagischer Natur, macht sich beim Verlassen des
Raumes sofort rückgängig. Auf diese Weise brauchst du deine Kräfte nicht
permanent zu drosseln, sondern kannst sie zur Gänze ausschöpfen und in Ruhe
ausloten, ohne Sorge haben zu müssen, dass etwas schiefgeht. Abgesehen davon,
dass der Saal sich deshalb hervorragend dafür eignet, magische Duelle zu
vollziehen, kann man dort auch fantastisch, einfach mal so, Dampf ablassen, da
sich beim Verlassen der Halle auch jede Zerstörung rückgängig macht.“ Mânil
trug zwar weiterhin seine schlechte Laune zur Schau, konnte aber nicht
verbergen, dass er beeindruckt war.
„Wozu ist der rote Kreis?“, fragte
er und wies auf den Boden.
„Wenn man im Saal stirbt, kann man
ihn ja nicht mehr selbstständig verlassen. Deshalb sorgt ein gesonderter Zauber
dafür, dass man aus dem Raum teleportiert wird, hier in dem Kreis wieder
auftaucht und sich bester Gesundheit erfreut, als wäre nichts geschehen.“
„Stirbt?“, wiederholte er und
musste schlucken.
„Ja, das kann durchaus mal
passieren“, bestätigte ich wie beiläufig. Ich würde ihm nicht erzählen, wer
mich diesen Zauber gelehrt hatte und, wie überfordert ich mich mit dieser
Funktion zu Anfang gefühlt hatte – während es für meinen Gegenüber damals keine
große Sache gewesen war. Verflucht möge er sein!
„Es fühlt sich durch die Magie
jedoch lediglich wie eine tiefe Bewusstlosigkeit an“, fügte ich hinzu. Mânils
Blick verriet einen gewissen Respekt, als er den Kreis betrachtete.
„Machst du nun mit oder muss ich
dich wirklich zwingen? Shela hatte schon recht, ich habe hier drin, hinter
jener Tür, dank des Zaubers ganz andere Möglichkeiten, und Olga würde nie davon
erfahren.“ Mânil runzelte die Stirn und ich erklärte: „Ich weiß, dass du noch
hinter der Tür gestanden hast, als Shela darüber sprach.“
Meine Drohung führte ich nicht
weiter aus. Er zuckte nur die Schultern und ich stand auf, um die breite
Doppeltür zu öffnen. Das Licht ging automatisch an, als ich den riesigen Raum
betrat. Der Holzboden wies trotz der Magie zugunsten des Ambientes einige
Dellen und Kratzer auf, das rohe Mauerwerk der Wände war nur teilweise weiß
gestrichen, was dem Saal gemeinsam mit den grauen Stahlträgern einen rustikalen
Charme verlieh. Zwei Seiten waren komplett mit Spiegeln bedeckt und zusätzlich
zu der taghellen Hauptbeleuchtung sorgten kaltweiße Lichterketten an den Wänden
für die gemütliche Atmosphäre.
„Ich möchte zuerst einmal sehen,
inwieweit du überhaupt in der Lage bist, dich gegen einen frontalen Angriff zu
verteidigen“, sagte ich.
„Gar nicht“, behauptete er.
„Das glaube ich dir nicht. Ich
wette, dass du dich wehrst, wenn jemand versuchen würde, auf dich loszugehen.“
„Nur wenn ich eine Chance habe zu
gewinnen.“
„Über diese Einstellung freuen
sich Leute wie Tyrone bestimmt“, spottete ich.
„Ja, bisher schon“, war die
trockene Antwort.
„Dann sollten wir deine
Einstellung überarbeiten.“
Er atmete tief durch und erklärte:
„Stell dir vor, du würdest regelmäßig von jemandem fertig gemacht – auf welche
Art auch immer – gegen den du, selbst wenn du es versuchen solltest, überhaupt
keine Chance hättest. Würdest du ihm den zusätzlichen Triumph gönnen, dich
besiegt zu haben, obwohl du dich gewehrt hast? Wenn du wüsstest, dass sich das
Kräfteverhältnis eines Tages umkehren wird und du nur noch etwas Geduld haben
musst?“
„Du meinst, solange einstecken,
bis du sicher bist, dass du gewinnst? Das bedarf einer Menge Willenskraft und
eines gewissen Maßes an Wahnsinn und Masochismus.“
Grinsend erwiderte er: „Ich
glaube, du verstehst mich. Es bewahrt mir das Überraschungsmoment. Wenn ich
meinem rein hypothetischen Gegner nicht offenbare, dass ich stärker werde,
rechnet er nicht mit dem Inferno, das eines Tages auf ihn zukommt.“
„Ich würde mich wehren, solange
ich kann“, gab ich zurück. „So viel Kraftaufwand wäre mir das
Überraschungsmoment nicht wert.“
„Es fällt mir schwer, mir
vorzustellen, dass du dir je solche Gedanken machen musstest“, wandte er ein.
„Glaub mir, es war ein langer Weg,
bis ich der geniale und unfehlbare Kellrah‘serat wurde, der ich heute bin.“
„Du hast eingebildet vergessen.“
„Stimmt, aber das ist
selbsterklärend,“ bestätigte ich ungerührt.
Ich hockte mich hin, legte meine
flache Hand auf den Boden und setzte die Stelle in Brand. Die kleine Flamme
wuchs rasch an und Mânil erkundigte sich: „Also ganz egal, was mit mir hier
drinnen passiert, sobald ich durch die Tür gehe, ist alles wie vorher?“
Ich hielt inne und entgegnete: „Du
willst das jetzt nicht ausprobieren. Ich verspreche dir, dass du das bereuen
würdest.“ Er grinste mich breit und herausfordernd an und steckte die Hände in
seine Hosentaschen.
„Ernsthaft?“, fragte ich
resignierend.
Ich seufzte, nahm die Flamme in
die Hand und ließ sie sich in ein bläuliches, elektrisches Knistern verwandeln.
Er wollte es wirklich ausprobieren und hatte nicht vor, seine Protesthaltung
aufzugeben, ganz gleich, was ich sagte.
„Okay“, kündigte ich an. „Wenn du
nicht vorhast, dich zu verteidigen, wird das hier sehr wehtun.“
„Ich habe in meinem Leben bisher
keine Duelle eingeplant“, meinte er trotzig.
Ich hatte das Gefühl, dass er
indes schon eingeplant hatte, klein beizugeben. Er war nicht so blöd zu
glauben, dass ich ihm seinen Willen lassen würde. Unter Garantie hatte er
inzwischen begriffen, dass ihm der Unterricht guttun würde. Nun ging es lediglich
darum, dass er sich das noch eingestehen musste.
Mit einem Achselzucken schoss ich
den Energieball ab, mit dem Ziel, ihn so hart zu treffen, wie ich es
fertigbrachte. Bis zum letzten Augenblick hoffte ich, dass er die Hände aus
seinen vermaledeiten Taschen nehmen und irgendetwas tun würde, allerdings blieb
er einfach stur da stehen. Als ihn das Geschoss in die Brust traf, schrie er
auf, zuckte, verdrehte die Augen und sank stumpf zu Boden.
„Verfluchter Sturkopf!“, murmelte
ich, als ich zu ihm ging, ihn mir über die Schulter warf und vor die Tür
brachte, um ihn auf dem Sofa neben seiner Umhängetasche, die er dort gelassen
hatte, abzulegen. Keuchend fuhr er hoch und tastete panisch seinen Körper ab,
um festzustellen, dass er in Ordnung war. Shela hatte recht, von der Magie zu
wissen, war eine Sache, sie zu erleben war etwas ganz anderes.
Ich verschränkte die Arme vor der
Brust und erkundigte mich betont genervt: „Wie oft muss ich das machen, bis du
mit dem Scheiß aufhörst?“
„Wie oft bringst du das fertig?“,
fragte er kaltblütig zurück, wirkte aber trotz der großen Töne angemessen
eingeschüchtert.
„Oft“, erwiderte ich ungerührt.
„Du behauptest, dass du deinen ‚rein hypothetischen Gegner‘ eines Tages
besiegen willst. Vor einem Monat hast du behauptet, es bedeute dir eine Menge,
dich verteidigen zu können. Worin besteht also dein Problem?!“
„Ist ja schon gut, ich hab es
begriffen. Ich kooperiere, versprochen“, gab er kleinlaut nach.
„Das ist schön zu hören, auch wenn
das noch nicht erklärt, wieso du dich so aufführst.“
Ich setzte mich neben ihm auf die
Couch und versuchte, einen hilfsbereiten Eindruck zu machen, obgleich das nicht
zwingend eine meiner herausragendsten Eigenschaften ist.
„Ist das nicht offensichtlich?“,
brummte er. „Ich habe Angst. Als ich dir sagte, dass ich Freude hatte an dem,
was im Zug passiert ist, war das die Wahrheit. Es ist nur für gewöhnlich nicht
meine Art, Spaß daran zu haben, mich an Schwächeren auszutoben, zumal es davon
ohnehin nicht viele gibt.“
„Okay, lass mich versuchen, dir
etwas Kluges dazu zu sagen: Das ist normal. Es ist menschlich, wenn man sich
daran erfreut, nicht mehr am Ende der Hackordnung zu sitzen. Und wenn man über
Magie verfügt und diese zum ersten Mal als positiven Teil von sich selbst
akzeptiert, ist das berauschend, ganz gleich wie die äußeren Umstände sind. Was
du fühlst, ist völlig normal und es wurde höchste Zeit. Und jetzt verlange ich
von dir, dass du dich zusammenreißt, mit mir dort hineingehst und Freude an
deinen Kräften hast. Klar?“ Er schwieg, nickte aber langsam und stand
bereitwillig auf. Ich hoffte, dass irgendetwas von dem, was ich gesagt hatte,
hilfreich gewesen war.
Wieder standen wir einander gegenüber
und er sah mich erwartungsvoll an. Als ich erneut den Boden vor mir in Flammen
setzte, war ich zuversichtlich, vorhin genug Eindruck hinterlassen zu haben,
dass er sich nun versuchen würde, zu verteidigen.
„Sieh mich nicht so an“, meinte er
schmunzelnd. „Ich hab doch gesagt, dass ich kooperiere. Das gerade will ich
wirklich nicht noch einmal erleben!“ Zweifelnd hob ich nur eine Augenbraue und
ließ die Flammen am Boden auf ihn zu rasen…
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