»Dad?« Catherine kehrte früher als
gedacht von einem Treffen mit Cyril zurück, weil er einen wichtigen Anruf
erhalten hatte. Während sie den Haustürschlüssel auf die Kommode im Flur legte
und nach ihrem Vater suchte, grübelte sie noch immer darüber nach, wie seltsam
sich ihr Freund verhalten hatte, nachdem der Anruf von seinem Auftraggeber
gekommen war. Unaufmerksam und fahrig. Sie spürte es, wenn jemand nervös wurde,
etwas nicht in Ordnung war, auch wenn derjenige vorgab, dass kein Grund zur
Sorge bestünde. Man konnte sie nicht so leicht täuschen, aber aus Cyril war
nichts herauszubekommen. Im Gegenteil, nachdem sie nicht aufhörte, zu bohren,
hatte er das Treffen schließlich beendet, weil er noch einen dringenden Termin
wahrnehmen müsse, der sich eben erst ergeben habe.
Der Wagen ihres Vaters stand
bereits in der Einfahrt, was bedeutete, dass auch er schon aus dem Büro zurück
war, doch sie konnte ihn weder in der Küche noch im Wohnzimmer oder in seinem
Büro finden. Der Wintergarten lag ebenfalls still und einsam da.
»Dad?«, rief sie lauter.
»Ich bin unten, Liebes. Im
Keller.«
Catherine hob die Augenbrauen. Was
machte er um diese Zeit im Keller?
Sie stieß die Tür zur Treppe nach
unten auf. Wenn sie nicht zur Tiefgarage wollte oder von dort in den
Wohnbereich, benutzte sie diesen Weg nie. Er war nur spärlich beleuchtet, es
war kühl und irgendwie unheimlich. Fast wie in einer Gruft. Catherine fühlte
sich stets an die Friedhofskapelle erinnert, in der die kleine Messe für ihre
Mutter stattgefunden hatte. Sie war ebenso kalt, karg und unpersönlich gewesen
wie der Treppenaufgang und der schmale, aber dafür umso längere Kellerflur.
Ihre Schritte klangen hohl auf den
Stufen.
»Links, Catherine. Nicht zur
Garage. Die andere Richtung.«
Sie folgte der Stimme ihres
Vaters. Dass man am Fuß der Treppe nicht nur nach rechts gehen konnte, fiel ihr
heute zum ersten Mal auf. Sie erkannte aber auch den Grund dafür. Eine
Schiebetür in derselben Farbe wie die Wände und der Boden versperrte für
gewöhnlich diesen Weg. Ein Geheimraum?
Sie konnte ihren Vater keuchen
hören, wie von großer Anstrengung. Ein Hobby- oder Fitness-Raum, schoss es ihr
durch den Kopf. Aber wieso sollte man den verstecken?
In der Tat, als sie Vigos Schatten
an der Wand einer großen Trainingshalle sah, schien er dort zu trainieren. Beim
Eintreten erwarteten sie allerdings keine modernen Fitness-Geräte, sondern eher
eine Art Museum. Ein leiser, anerkennender Pfiff kam ihr über die Lippen. »Wow!
Was ist das denn?«
Ihr Vater vollführte gerade noch
sehr flüssig eine kompliziert aussehende Schlagfolge mit einem Schwert, wie
Catherine es zuletzt in einem Historienfilm gesehen hatte und wandte sich ihr
dann lächelnd zu. »Mein privater Rückzugsort«, erklärte er gut gelaunt. Er
griff nach einem Handtuch, das über einem Stuhl bereit lag, und wischte sich
den Schweiß aus dem Gesicht. »Es ist immer gut, in Übung zu bleiben.« Behutsam,
als wäre es ein kostbares Kunstwerk – was ihr gar nicht so weit hergeholt
erschien – schob er das Schwert in eine lederne Scheide, die mit allerhand
Imprägnierungen verziert war. »Der antike Schwertkampf trainiert den Geist und
den Körper. Solltest du auch mal versuchen. Dann hätte ich endlich wieder einen
Sparringspartner.« Er lachte, als sie skeptisch das Gesicht verzog.
»Lass mal, Dad. Ich bin in
Schusswaffen geübter. Und die sind heutzutage glaube ich auch sicherer als so
ein Ding.« Sie deutete auf ein weiteres Schwert, das neben vielen anderen an
der Wand hing. »Sammelst du so ein Zeug?«
Er schien ein wenig gekränkt, dass
sie den Kostbarkeiten nicht die Bewunderung zollte, die sie seiner Meinung nach
verdienten, doch er griff nach der Waffe, auf die sie gewiesen hatte und
reichte sie ihr mit dem Heft voran. »Probier es einmal. Mir zuliebe.«
Seufzend fügte sie sich in ihr
Schicksal. Sie konnte ihrem Vater kaum eine Bitte abschlagen, es war ja auch
nichts dabei, solange sie sich nur vor ihm blamierte und nicht in aller
Öffentlichkeit. Ihre Waffe war leichter als die ihres Vaters, was für sie allein
schon zur Unterlegenheit ausreichte, doch als Vigo den ersten Schlag führte,
parierte sie diesen automatisch und war über ihre eigene Reaktion ebenso
verblüfft wie über die Widerstandkraft ihrer Klinge.
»Ein Schwert, Cat, ist eine sehr
edle und traditionsreiche Waffe. Gut geschmiedet und von geschulter Hand
geführt, steht es einer Pistole oder einem Gewehr zumindest im Nahkampf in
nichts nach. Es wurden Kriege damit geführt und gewonnen. Der Kampf Mann gegen
Mann hat etwas weitaus Ehrenvolleres an sich, als jemanden mit einer Kugel
niederzustrecken.« Noch während er ihr dies erklärte, führte er bereits den
nächsten Hieb, der sie zwar leicht aus dem Gleichgewicht brachte, aber dennoch
konterte sie auch diesen.
Mehr noch, sie gab einem inneren
Impuls nach und griff mit zwei Schlägen nun ihrerseits an, was ihr ein
anerkennendes Nicken ihres Vaters einbrachte, auch wenn dieser ihre Attacke
mühelos abwehrte. Sie war über sich selbst verblüfft, denn sie hielt zum ersten
Mal ein Schwert in der Hand, aber es fühlte sich so vertraut an, als sei sie
damit großgeworden.
»Sehr gut, Catherine. Du hast es
im Blut.«
Sie hob beschwichtigend die Hände
und hielt ihm das Schwert hin, als wäre es ein ekelerregendes Subjekt. »Ganz
wie du meinst. Aber mir sind diese Dinger zu umständlich. Die mögen ja früher
ihre Daseinsberechtigung gehabt haben, heutzutage würden sich ein Verbrecher
wohl eher kaputtlachen, wenn ihn ein Polizist mit Schwert in Schach halten
wollte.«
Sie verschwieg ihm bewusst, dass
ihr eigenes intuitives Verhalten im Umgang mit der ungewohnten Waffe sie
zutiefst schockierte und erschreckte. Für einen Moment hatte sie fast das
Gefühl gehabt, mit ihr zu verschmelzen und eine lebendige Einheit zu bilden.
Sie schauderte.
Vigo lächelte väterlich und nahm
ihr das Schwert wieder aus der Hand, um es an seinen Platz zurückzustellen.
Danach führte er Catherine zu einer Vitrine. »Komm, sieh.« Er schloss den
Glaskasten auf und fuhr liebevoll über eines der verzierten Hefte. »Das sind
echte Templerschwerter, mein Kind. Ihr historischer Wert ist unermesslich.
Kunstschätze der besonderen Art. Das Blut, das diese Klingen getränkt hat,
wurde in einem heiligen Krieg vergossen.«
Unangenehm berührt senkte
Catherine den Blick. »Es waren Menschen, die durch diese Waffen starben, Dad.
Töten ist immer schlimm. Es sollte nie etwas anderes sein als der allerletzte
Ausweg. Egal, ob mit einer Kugel oder einer Klinge. Über diese Zeiten sind wir
heute doch gottlob hinaus.«
»Ach, sind wir das wirklich?«
Nachdenklich ruhte sein Blick auf ihr. Eine Ewigkeit lang schwieg er, ehe er
schließlich lächelte und einen Arm um ihre Schultern legte, um sie auf die
Stirn zu küssen. »Du hast recht, Cat. Töten darf nur der Verteidigung dienen,
wenn es keinen anderen Weg mehr gibt. Doch allzu oft in der Geschichte ging es
genau darum und mancherorts haben Menschen auch heute noch keine Wahl. Kennst
du eigentlich die Hintergründe des Templer-Ordens und ihr Wirken in der Welt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Eine sehr interessante Studie,
ich kann sie dir nur empfehlen. Längst nicht nur von Gewalt und Tod geprägt.
Hingegen waren auch die Römer sehr geübt mit dem Schwert und viele asiatische
Völker haben eine wahre Kunst daraus gemacht. Denke nur an die Samurai.«
»Dad, tut mir leid, aber ich
fürchte, für Krieger, Söldner und deren Waffen werde ich mich nie mehr
interessieren, als es mein Job erfordert.«
Gottlob zeigte er Verständnis
dafür, dass sie keinen Draht zu dieser speziellen Leidenschaft von ihm besaß
und wechselte lieber zu anderen Antiquitäten, die er in diesem Raum
aufbewahrte. Um ihn nicht erneut vor den Kopf zu stoßen, gab sie sich interessiert,
obwohl sie auch die religiösen Ikonen und antiken Schmuckstücke nur wenig
reizten.
Sie war erleichtert, als sie
endlich wieder nach oben gingen.
»Mein Angebot steht. Wenn du den
Umgang mit dem Schwert einmal erlernen willst, werde ich dir gern Unterricht
erteilen. Deine Mutter hat es übrigens einige Male versucht.«
»Meine Mama?« Sie versuchte, sich
Mama Silvia vorzustellen, wie sie das schwere Eisenschwert schwang, mit dem ihr
Vater vorhin seine Übungen vollzogen hatte. Das Ding hätte ihre zierliche
Mutter schlicht von den Füßen gerissen.
»Es ist nur ein Angebot. Ich würde
dich nie dazu überreden wollen.«
Während ihr Vater duschen ging,
bereitete Catherine ein leichtes Abendessen für sie beide zu, das sie im
Wintergarten auftischte.
»Ah, meine Meisterköchin. Nelli
muss aufpassen, dass ich sie nicht entlasse, wenn du mich weiterhin so gut
versorgst«, scherzte er. »Aber sag, du warst heute früh zurück. Das Liebespaar
hat sich doch hoffentlich nicht zerstritten?«
Sie schenkte ihm ein schiefes
Lächeln. »Nein, Dad, keine Sorge. Cyril hatte lediglich noch einen Termin. Sein
Boss hat ihn angerufen und da musste er schnell weg.«
»Ah!«
Mehr sagte ihr Vater nicht dazu.
Ȇbrigens habe ich unten auch eine
nette kleine Bibliothek, falls du dich mal für ein paar Stunden zurückziehen
und in Ruhe schmökern willst. Ich weiß zwar nicht, was du gern liest, aber ich
habe mir sagen lassen, meine Regale seien gut bestückt. Der Raum liegt direkt
hinter dem Trainingsbereich.«
»Danke, ich komme vielleicht
darauf zurück. Eine eigene Kapelle hast du aber nicht, oder?«
Jetzt lachte er lauthals. »Wie
kommst du denn auf den Gedanken?«
»Na ja, bei den ganzen
Heiligenbildern und –figuren, die du da unten stehen hast, finde ich das nicht
abwegig.«
Er schüttelte schmunzelnd den
Kopf. »Ich bin kein religiöser Mensch, Cat. Dafür kenne ich die Religionen
dieser Welt und ihre Schwächen zu gut.«
»Und bewunderst dennoch die
Krieger, die für sie gekämpft haben.«
»Das ist etwas anderes. Eine
Kapelle wirst du hier nicht finden. Ich bewundere die Kampfkunst und die
Geschichte, nicht die Lügen einer Religion, die nur dazu dienen sollte, sich
die Menschen gefügig zu machen, indem sie ihre Urängste schürte.«
Catherine holte tief Luft. »Mein
Vater, der Philosoph. Na sieh mal einer an.«
Ehe er darauf antworten konnte,
fragte sie ihn geschickt nach dem Meeting in der Firma, das für diesen Morgen
angesetzt gewesen war. Zu ihrem Glück ging er auf den Themenwechsel ein und ihr
blieben weitere tiefschürfende Analysen der Menschheitsgeschichte erspart.
Eines war ihr allerdings klar geworden. Sie kannte ihren Vater noch immer sehr
wenig und entdeckte jeden Tag neue Seiten an ihm, von denen einige ein vages
Gefühl der inneren Unruhe in ihr zurückließen. Wenn sie auch nicht genau sagen
konnte, woher dies rührte. Aber es war wie ein ferner Sturm, der sich
zusammenbraute und sie unweigerlich mit sich reißen würde, wenn er sie erst
erreicht hatte.
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