Montag, 16. Oktober 2023

[Schnipseltime] Rachemeer von Juna Kristensen


 

Alle blickten erwartungsvoll zu Jeremias. Dessen Lippen formten den Hauch eines Lächelns. Das Kerzenlicht reflektierte in seinen Augen, als er nach den Karten griff. Mit ruhigen Handbewegungen mischte er, indem er kleine Kartenpäckchen mit dem Daumen der linken Hand aus der rechten zog. Als sich alle Karten in der linken Hand befanden, begann er von vorn.

Raik begriff mit einem Mal, was Jeremias damit gemeint hatte, dass dieser Raum perfekt für das Spiel sei. Das kleine Zimmer strahlte eine ganz besondere Atmosphäre aus. Eine Intimität, die das, was sie hier taten, bedeutungsvoller, aber auch verbotener erscheinen ließ als noch letzte Woche im Wohnzimmer.

Jeremias legte den Kartenstapel vor sich auf den Teppich und zog die fünf obersten Karten ab. Diese hielt er so, dass alle außer ihm selbst die Vorderseiten sehen konnten.

„Svea“, sagte er.

Ihre Augen wanderten über die fünf Karten. Sie zeigten das Karoass, die Karoneun, den Kreuzbuben, die Herzneun und die Kreuzsieben. Nachdem sich Svea alle Karten genau angesehen hatte, richtete sie ihre Augen auf Jeremias, bevor sie die Rachekarte auswählte: „Karoass.“

Jeremias schob die fünf Karten ineinander, mit der Rückseite nach oben, und mischte abermals. „Stellt euch die Person vor, die ihr am meisten hasst“, sagte er leise. Er begann erneut mit dem Austeilen. Eine Karte an Svea, die zu seiner Linken saß, eine an Rachida. „Und stellt euch vor, was ihr dieser Person als Rache wünscht.“ Eine an Karli. Eine an Raik. Zum Schluss legte Jeremias eine vor sich selbst ab. „Jemand in diesem Raum bekommt die Möglichkeit, seine Rache wahrwerden zu lassen.“

Wie auf einen geheimen Befehl hin griffen sie alle vor sich. Raik hielt die Luft an, als er seine Karte umdrehte, doch so hielt, dass keiner der anderen sehen konnte, was darauf war. Ein kurzer Blick und sie legten die Karten wieder mit der Rückseite auf den Teppich, woraufhin Jeremias sie zurück in den Stapel mischte. Mit ebenso ruhigen Handbewegungen wie zuvor.

Raik ließ seinen Blick über die anderen schweifen. Die Gesichter verrieten nichts, ebenso wenig wie sein eigenes.

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