Freitag, 27. Januar 2023

[Schnipseltime] Mein Feuer in deinem Lied - Drachenküsse im Mondschein von K.J.Night

 

Entsetzt verfolgte ich, wie ein Gesteinsbrocken von der Größe einer Kanonenkugel durch die Luft zischte und Ralfs Schädel zermalmte. In einem Moment stand er noch mit gezogenem Schwert auf dem Vorsprung der niedrigen Mauer vor dem Vorratsgebäude, im nächsten Moment hatte der Stein mit voller Wucht seinen Kopf getroffen und verteilte Blut und Gehirnmasse auf der Wand des Gebäudes in seinem Rücken. Meiner Kehle entrang sich ein verzweifeltes Keuchen und ich wirbelte zu dem schuppigen Monster herum, das für die Verwüstung und den Tod in meinem Viertel verantwortlich war.

Der Drache stand mit angelegten Flügeln im Trümmerhaufen eines ehemaligen Wohngebäudes und riss sein Maul auf. Ich erkannte das rot-goldene Glühen in seinem weit geöffneten Schlund.

»Nick!«, schrie ich laut, um das Brüllen der anderen Soldaten zu übertönen. Da schoss schon das glühende Drachenfeuer aus dem Maul der Bestie, direkt in unsere Richtung. Ich sah zu Nick, der die Flammenwand mit seinen Kräften packte. Seine Hände beschrieben einen weiten Kreis. Er lenkte sie um und die Flammen erloschen wirkungslos am Himmel.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Jayden immer noch Verletzte aus der Gefahrenzone brachte. Ein Flirren in der Luft verriet mir, dass er soeben teleportiert war.

»Wo bleibt die Geschützunterstützung?«, rief ich ihm über den Kampflärm hinweg zu.

»Kurzschluss im Steuernetz, die Techniker arbeiten daran!« Jaydens verkniffener Gesichtsausdruck sagte deutlich, was er von derartigen Fehlfunktionen hielt.

»Dann töte ich das Mistvieh eben selbst!«, schrie ich, aufgeputscht durch den glühenden Zorn in mir.

»Serina, nein!«, brüllten Jayden und Nick gleichzeitig, doch für mich gab es kein Zurück mehr.

Ich war außer mir wegen des Verderbens, das dieses blutrünstige Monster über uns brachte, und stürzte mit gezogenem Schwert nach vorne. In einem Bogen lief ich um den Drachen herum. Er stieß ununterbrochen Flammen in verschiedene Richtungen aus, die unser Feuerbändiger Nick nur noch mit Mühe ablenken konnte. Wenn das so weiterging, brannte unsere Stadt bald lichterloh.

Um mich herum droschen sämtliche Soldaten mit ihren Geistkräften auf die Kreatur ein, doch nichts zeigte Wirkung. Wie war das möglich? Je nach Art der Kräfte waren sie normalerweise äußerst wirkungsvoll gegen Drachen. Dieses Exemplar jedoch stand da und wütete unter uns, als wären wir bloß ein lästiger Schwarm Fliegen.

Als ich den Drachen umrundet hatte und an seiner Flanke stand, bemerkte ich es. Ein seltsames Schimmern auf seiner schlammbraunen Schuppenhaut. In meinem Kopf ratterte es. Was war das? Ein mysteriöser Drachenzauber? Aber Drachen waren nicht in der Lage zu zaubern. Sie waren keine magischen Wesen, sondern wilde, blutrünstige Tiere. Ich beobachtete die anderen Soldaten. Sie griffen direkt und mit all ihrer Macht an, aber sämtlich Angriffe prallten an den harten Schuppen ab.

»Du mieses, kleines Mistvieh!«, stieß ich aus zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich ließ den Blick umherschweifen und entdeckte einen mannshohen Gesteinsbrocken, der aus der Stadtmauer gebrochen war. Schnell suchte ich nach dem Kern meiner Macht und fand lediglich einen kläglichen, kleinen Rest Energie vor. Die herumfliegenden Trümmer zu kontrollieren und von den anderen Soldaten abzulenken, hatte mir fast alle Macht geraubt. Aber egal, was es mich kostete, ein letztes Mal musste ich noch meine Kräfte aktivieren, um diesem Blutvergießen ein Ende zu bereiten. Mit einem leisen Summen stob die telekinetische Energie aus mir heraus.

Aus den Augenwinkeln sah ich Nick, der Welle um Welle der tödlichen Flammen von unseren Kameraden weglenkte. Aus seinen Ohren tropfte das erste Blut. Ein deutliches Zeichen dafür, dass seine Energie sich dem Ende zuneigte. Er war vollkommen überlastet und musste bald aufhören, um keinen Schaden zu nehmen. Ich musste mich beeilen.

Mit meinen mentalen Sinnen packte ich den Gesteinsbrocken, ein verdammtes Riesenteil. Ich ächzte, als ich den Brocken anhob und in Richtung des Drachen schleuderte. Im Flug drehte er sich mehrmals um sich selbst, bis er direkt in den Kopf des Monsters einschlug. Rache für Ralf! Dreckiges Mistvieh!

Mit einem ohrenbetäubenden Kreischen taumelte das Ungetüm. Aber anstatt endlich tot umzufallen, drehte es seinen massigen Körper in meine Richtung und riss Augen und Maul weit auf. Verdammt! Verdammt! Verdammt! Es visierte mich direkt an. Ich versuchte erneut, die Macht in mir zu erreichen, doch gleichzeitig fühlte ich bereits die Feuchtigkeit des Blutes, das aus meinen Ohren lief. Vorbei. Meine Energiequelle war erloschen. Ich war so gut wie tot. Mit letzter Kraft packte ich das Schwert fester, stieß mich vom Boden ab und rannte direkt auf den Drachen zu.

Brüllend sprang das Monster auf mich zu und schnappte nach mir. Im selben Moment ließ ich mich nach hinten zurückfallen und schlitterte auf dem Rücken unter dem Drachen hindurch. Dieser stieß ein irritiertes Schnauben aus – ja, es klang eindeutig verwirrt.

Mein Schwert, das ich im Rutschen hochgerissen hatte, hinterließ einen langen, tiefen Schnitt im Bauch des Drachen. Er krachte, mitgerissen durch seinen eigenen Schwung, mit dem Kopf voran in unsere Stadtmauer. Gleichzeitig hörte ich das Surren der Geschütztürme, die sich in Richtung des verunglückten Monsters drehten. Mit lautem Knattern feuerten sie Ladung um Ladung der großen Geschosse auf den Körper des Drachen ab. Endlich! Die Verteidigungsanlagen waren wieder aktiv.

Als die Geschütze verstummten, richtete ich mich auf Knien auf und blickte gespannt auf den schlammbraunen Schuppenberg. Er regte sich nicht. Die Mauer allerdings schon, wie ich entsetzt feststellte.

»Serina, weg da!«, hörte ich das verzweifelte Rufen meiner beiden Freunde.

Ich sprang auf und rannte los.

Mit einem Affenzahn raste ich von der Mauer weg. Als ich gehetzt hinter mich sah, wusste ich jedoch, dass ich es nicht mehr rechtzeitig schaffen würde. Ich hechtete mit einem verzweifelten Aufschrei durch eine offene Tür in das nächstbeste Gebäude, als auch schon die Mauer auf das Dach stürzte und mich unter sich begrub.


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