Entsetzt verfolgte ich, wie ein Gesteinsbrocken von der Größe einer
Kanonenkugel durch die Luft zischte und Ralfs Schädel zermalmte. In einem
Moment stand er noch mit gezogenem Schwert auf dem Vorsprung der niedrigen
Mauer vor dem Vorratsgebäude, im nächsten Moment hatte der Stein mit voller
Wucht seinen Kopf getroffen und verteilte Blut und Gehirnmasse auf der Wand des
Gebäudes in seinem Rücken. Meiner Kehle entrang sich ein verzweifeltes Keuchen
und ich wirbelte zu dem schuppigen Monster herum, das für die Verwüstung und
den Tod in meinem Viertel verantwortlich war.
Der Drache stand mit angelegten
Flügeln im Trümmerhaufen eines ehemaligen Wohngebäudes und riss sein Maul auf.
Ich erkannte das rot-goldene Glühen in seinem weit geöffneten Schlund.
»Nick!«,
schrie ich laut, um das Brüllen der anderen Soldaten zu übertönen. Da schoss
schon das glühende Drachenfeuer aus dem Maul der Bestie, direkt in unsere
Richtung. Ich sah zu Nick, der die Flammenwand mit seinen Kräften packte. Seine
Hände beschrieben einen weiten Kreis. Er lenkte sie um und die Flammen
erloschen wirkungslos am Himmel.
Aus dem
Augenwinkel sah ich, wie Jayden immer noch Verletzte aus der Gefahrenzone
brachte. Ein Flirren in der Luft verriet mir, dass er soeben teleportiert war.
»Wo bleibt die
Geschützunterstützung?«, rief ich ihm über den Kampflärm hinweg zu.
»Kurzschluss
im Steuernetz, die Techniker arbeiten daran!« Jaydens verkniffener
Gesichtsausdruck sagte deutlich, was er von derartigen Fehlfunktionen hielt.
»Dann töte ich
das Mistvieh eben selbst!«, schrie ich, aufgeputscht durch den glühenden Zorn
in mir.
»Serina,
nein!«, brüllten Jayden und Nick gleichzeitig, doch für mich gab es kein Zurück
mehr.
Ich war außer
mir wegen des Verderbens, das dieses blutrünstige Monster über uns brachte, und
stürzte mit gezogenem Schwert nach vorne. In einem Bogen lief ich um den
Drachen herum. Er stieß ununterbrochen Flammen in verschiedene Richtungen aus,
die unser Feuerbändiger Nick nur noch mit Mühe ablenken konnte. Wenn das so
weiterging, brannte unsere Stadt bald lichterloh.
Um mich herum
droschen sämtliche Soldaten mit ihren Geistkräften auf die Kreatur ein, doch
nichts zeigte Wirkung. Wie war das möglich? Je nach Art der Kräfte waren sie
normalerweise äußerst wirkungsvoll gegen Drachen. Dieses Exemplar jedoch stand
da und wütete unter uns, als wären wir bloß ein lästiger Schwarm Fliegen.
Als ich den
Drachen umrundet hatte und an seiner Flanke stand, bemerkte ich es. Ein
seltsames Schimmern auf seiner schlammbraunen Schuppenhaut. In meinem Kopf
ratterte es. Was war das? Ein mysteriöser Drachenzauber? Aber Drachen waren
nicht in der Lage zu zaubern. Sie waren keine magischen Wesen, sondern wilde,
blutrünstige Tiere. Ich beobachtete die anderen Soldaten. Sie griffen direkt
und mit all ihrer Macht an, aber sämtlich Angriffe prallten an den harten
Schuppen ab.
»Du mieses,
kleines Mistvieh!«, stieß ich aus zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich ließ
den Blick umherschweifen und entdeckte einen mannshohen Gesteinsbrocken, der
aus der Stadtmauer gebrochen war. Schnell suchte ich nach dem Kern meiner Macht
und fand lediglich einen kläglichen, kleinen Rest Energie vor. Die
herumfliegenden Trümmer zu kontrollieren und von den anderen Soldaten
abzulenken, hatte mir fast alle Macht geraubt. Aber egal, was es mich kostete,
ein letztes Mal musste ich noch meine Kräfte aktivieren, um diesem
Blutvergießen ein Ende zu bereiten. Mit einem leisen Summen stob die
telekinetische Energie aus mir heraus.
Aus den
Augenwinkeln sah ich Nick, der Welle um Welle der tödlichen Flammen von unseren
Kameraden weglenkte. Aus seinen Ohren tropfte das erste Blut. Ein deutliches
Zeichen dafür, dass seine Energie sich dem Ende zuneigte. Er war vollkommen
überlastet und musste bald aufhören, um keinen Schaden zu nehmen. Ich musste
mich beeilen.
Mit meinen
mentalen Sinnen packte ich den Gesteinsbrocken, ein verdammtes Riesenteil. Ich
ächzte, als ich den Brocken anhob und in Richtung des Drachen schleuderte. Im
Flug drehte er sich mehrmals um sich selbst, bis er direkt in den Kopf des
Monsters einschlug. Rache für Ralf! Dreckiges Mistvieh!
Mit einem
ohrenbetäubenden Kreischen taumelte das Ungetüm. Aber anstatt endlich tot
umzufallen, drehte es seinen massigen Körper in meine Richtung und riss Augen
und Maul weit auf. Verdammt! Verdammt! Verdammt! Es visierte mich direkt
an. Ich versuchte erneut, die Macht in mir zu erreichen, doch gleichzeitig
fühlte ich bereits die Feuchtigkeit des Blutes, das aus meinen Ohren lief.
Vorbei. Meine Energiequelle war erloschen. Ich war so gut wie tot. Mit letzter
Kraft packte ich das Schwert fester, stieß mich vom Boden ab und rannte direkt
auf den Drachen zu.
Brüllend
sprang das Monster auf mich zu und schnappte nach mir. Im selben Moment ließ
ich mich nach hinten zurückfallen und schlitterte auf dem Rücken unter dem
Drachen hindurch. Dieser stieß ein irritiertes Schnauben aus – ja, es klang
eindeutig verwirrt.
Mein Schwert,
das ich im Rutschen hochgerissen hatte, hinterließ einen langen, tiefen Schnitt
im Bauch des Drachen. Er krachte, mitgerissen durch seinen eigenen Schwung, mit
dem Kopf voran in unsere Stadtmauer. Gleichzeitig hörte ich das Surren der
Geschütztürme, die sich in Richtung des verunglückten Monsters drehten. Mit
lautem Knattern feuerten sie Ladung um Ladung der großen Geschosse auf den
Körper des Drachen ab. Endlich! Die Verteidigungsanlagen waren wieder aktiv.
Als die
Geschütze verstummten, richtete ich mich auf Knien auf und blickte gespannt auf
den schlammbraunen Schuppenberg. Er regte sich nicht. Die Mauer allerdings
schon, wie ich entsetzt feststellte.
»Serina, weg
da!«, hörte ich das verzweifelte Rufen meiner beiden Freunde.
Ich sprang auf
und rannte los.
Mit
einem Affenzahn raste ich von der Mauer weg. Als ich gehetzt hinter mich sah,
wusste ich jedoch, dass ich es nicht mehr rechtzeitig schaffen würde. Ich
hechtete mit einem verzweifelten Aufschrei durch eine offene Tür in das
nächstbeste Gebäude, als auch schon die Mauer auf das Dach stürzte und mich
unter sich begrub.
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