Leseausschnitt aus dem Kapitel 2
„Retter in der Not“
„Verräterin“,
ertönte es hinter mir und trotz des Schullärms erkannte ich die Stimme. Kurz
darauf stand Jessica vor mir und blockierte den Weg.
„Geh bitte zur Seite“, bat ich, aber sie ließ sich davon
nicht beeindrucken.
„Sag mir einen Grund, warum ich dich laufen lassen sollte?“,
fragte sie und sah mich herausfordernd an.
„Weil ich keinen Bock auf deine Spielchen habe“, antwortete
ich und versuchte sie zur Seite zu schieben.
„Ich aber“, gab sie provokativ von sich und stellte sich
erneut vor mich.
Es beschlich mich ein mulmiges Gefühl. Was hatte sie vor?
Ich bereute es, allein aufs Klo gegangen zu sein. Somit hatte ich ihr die
perfekte Möglichkeit gegeben, mich fertigzumachen. Warum musste Sonja nur an
ihrem Smartphone hängen und Marlene mit Flo telefonieren? Mein Blick wanderte
durch den Schulgang. Alle waren mit sich beschäftigt und keiner nahm Notiz von
mir.
„Hast du Angst?“, fragte sie triumphierend und sah mich
belustigt an. Mein Herzschlag beschleunigte sich und meine Knie fingen an zu
zittern.
„Nnneeiin?“, gab ich zögernd von mir.
Es klingelte und alle Schüler liefen eilig in ihre
Klassenräume, außer Jessica, die sich mir immer noch in den Weg stellte. Ich
hatte keine Chance, ihr zu entkommen. Sie pfiff und prompt waren hinter mir
Schritte zu hören. Mein Puls raste.
Was hatte sie mit mir vor?
Vier Arme packten mich und zogen mich rückwärts mit sich.
Jessica folgte uns. Dann öffnete sie die Tür zum Jungsklo und kurz darauf flog
ich auf den Boden. Es brauchte eine Weile, bis ich mich wieder etwas gesammelt
hatte und der Schmerz nachließ. Zitternd stand ich auf und drehte mich zu
meinen Peinigern um.
„Nun kommst du uns nicht mehr davon“, sagte sie bittersüß
und sah mich zufrieden an. „Deine Freunde können dir jetzt nicht helfen.“ Sie
lachte. „Jetzt spürst du, was passiert, wenn man mich hintergeht.“
Ich zitterte am ganzen Körper.
„Weißt du, was wir mit Verrätern machen?“, fragte sie mich.
Bevor ich darüber nachdenken konnte, zogen sie mich in eine
Kabine und traten mir in die Kniekehle, sodass ich vor der Toilettenschüssel zu
Boden ging. Sie holten ein Seil aus ihrer Tasche und begannen, meine Hände am Klo
festzubinden. Ich versuchte, mich zu wehren, so gut es ging, und trat um mich.
„Hör sofort auf damit!“, befahl mir Jessica. „Es bringt
nichts!“
„Lasst mich los“, rief ich mit aller Kraft.
„Wer nicht hören will, muss fühlen“, ertönte ihre Stimme nah
an meinem Ohr. Kurz darauf wurde mein Kopf ins Klo gedrückt und einer von ihnen
betätigte die Spülung. Mein Gesicht befand sich fast vollständig unter Wasser
und ich versuchte, verzweifelt nach Luft zu schnappen. Als die Spülung
durchgelaufen war, schrie ich, aber außer meinen Peinigern hörte mich niemand.
Mir wurde schlagartig übel. Ich würgte, wehrte mich aber dagegen vor ihnen zu
kotzen.
„Hältst du jetzt endlich deine Klappe?“, fragte Jessica und
zog mich an meinen Haaren wieder hoch. „Oder willst du noch einmal die schöne
Dusche genießen?“ Total eingeschüchtert schüttelte ich den Kopf und ließ meine
Hände am Klo anbinden.
Erneut ertönte die Schulklingel. Jessica und ihre Begleiter
standen auf und verließen die Toilettenkabine. An der Tür blieb sie noch einmal
stehen und drehte sich zu mir um. „Ich hoffe, die Lektion reicht dir. Mir fällt
keiner in den Rücken! Verstanden?“ Daraufhin schloss sie die Tür und verließ
das Jungsklo.
Ich schrie mir die Seele aus dem Leib, aber es brachte
nichts. Niemand hörte mich. Panisch versuchte ich, mich zu befreien. Doch das
war zwecklos. Der Knoten saß viel zu fest. Tränen liefen mir über die Wangen.
Verzweifelt versuchte ich mich weiter zu befreien. Unter Schmerzen zog ich an
dem Seil und verstärkte dadurch den Druck auf die Handgelenke nur noch mehr.
Nach einer gefühlten Ewigkeit gab ich es auf. Mir tat alles
weh und die Übelkeit brachte mich fast um. Entmutigt fing ich bitterlich an zu
weinen.
Nach einer ganzen Weile verblasste die Verzweiflung und in
den Vordergrund trat die Wut. Ich war wütend auf Jessica und ihre Anhänger,
sauer auf meine Freundinnen und verärgert über die Lehrer. Doch am meisten gab
ich mir selbst die Schuld.
Leseausschnitt aus dem Kapitel 4
„Liebespaar oder Bodyguard“
Bevor
ich den Gesprächsverlauf richtig begreifen konnte, nahm er wieder meine Hand
und zog mich von ihr weg. Als ich mich nochmal umdrehte, sah ich, dass Jessica
versteinert dastand und uns verdutzt hinterherschaute.
„Was war das denn?“, fragte ich überrascht, als wir aus der
Sichtweite von ihr waren. „Sie war total sprachlos.“
„Ich glaube, dass noch keiner den Mut hatte ihr die Stirn zu
bieten“, meinte er und blieb stehen.
„Danke“, sagte ich erleichtert und wollte meine Hand aus
seiner ziehen. Doch er hielt sie weiter fest und drehte sich zu mir.
Jetzt, wo ich langsam wieder ruhiger wurde und Jessica nicht
mehr in der Nähe war, bemerkte ich, wie warm seine Hand war und wie schön es
sich anfühlte. Sein Blick ruhte auf mir und ich konnte nicht anders, als ihn zu
erwidern. Am liebsten wäre ich ewig so stehen geblieben, aber das Vorklingeln
erinnerte mich daran, dass wir in der Schule waren.
„Danke nochmal“, sagte ich und ließ ihn los. „Ich komme ...
sonst zu spät ... und ziehe ... die Aufmerksamkeit auf mich“, stammelte ich und
machte Anstalten zu gehen. Ich war total überfordert mit den Gefühlen, die in
mir brausten.
„Du schaffst es pünktlich“, meinte er lächelnd und sah mich
erneut liebevoll an. Dieses Mal wich ich seinem Blick aus, bevor ich mich
wieder darin verlieren konnte. Aufgewühlt lief ich los.
„Kopf hoch, du bist stark!“, rief er mir nach, als ich schon
einige Schritte von ihm entfernt war. Überrascht drehte ich mich um. Er stand
immer noch dort, wo ich ihn stehen gelassen hatte. „Du bist nicht allein“,
fügte er hinzu und lächelte mir aufmunternd zu.
Voller
Glücksgefühle und neuer Zuversicht, alle Gemeinheiten abperlen lassen zu
können, lief ich den Schulgang entlang in Richtung Geographieraum.
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