Sonntag, 30. Oktober 2022

[Schnipseltime] Du bist nicht allein von Meike Schiek

 

Leseausschnitt aus dem Kapitel 2 „Retter in der Not“

 

„Verräterin“, ertönte es hinter mir und trotz des Schullärms erkannte ich die Stimme. Kurz darauf stand Jessica vor mir und blockierte den Weg.

„Geh bitte zur Seite“, bat ich, aber sie ließ sich davon nicht beeindrucken.

„Sag mir einen Grund, warum ich dich laufen lassen sollte?“, fragte sie und sah mich herausfordernd an.

„Weil ich keinen Bock auf deine Spielchen habe“, antwortete ich und versuchte sie zur Seite zu schieben.

„Ich aber“, gab sie provokativ von sich und stellte sich erneut vor mich.

Es beschlich mich ein mulmiges Gefühl. Was hatte sie vor? Ich bereute es, allein aufs Klo gegangen zu sein. Somit hatte ich ihr die perfekte Möglichkeit gegeben, mich fertigzumachen. Warum musste Sonja nur an ihrem Smartphone hängen und Marlene mit Flo telefonieren? Mein Blick wanderte durch den Schulgang. Alle waren mit sich beschäftigt und keiner nahm Notiz von mir.

„Hast du Angst?“, fragte sie triumphierend und sah mich belustigt an. Mein Herzschlag beschleunigte sich und meine Knie fingen an zu zittern.

„Nnneeiin?“, gab ich zögernd von mir.

Es klingelte und alle Schüler liefen eilig in ihre Klassenräume, außer Jessica, die sich mir immer noch in den Weg stellte. Ich hatte keine Chance, ihr zu entkommen. Sie pfiff und prompt waren hinter mir Schritte zu hören. Mein Puls raste.

Was hatte sie mit mir vor?

Vier Arme packten mich und zogen mich rückwärts mit sich. Jessica folgte uns. Dann öffnete sie die Tür zum Jungsklo und kurz darauf flog ich auf den Boden. Es brauchte eine Weile, bis ich mich wieder etwas gesammelt hatte und der Schmerz nachließ. Zitternd stand ich auf und drehte mich zu meinen Peinigern um.

„Nun kommst du uns nicht mehr davon“, sagte sie bittersüß und sah mich zufrieden an. „Deine Freunde können dir jetzt nicht helfen.“ Sie lachte. „Jetzt spürst du, was passiert, wenn man mich hintergeht.“

Ich zitterte am ganzen Körper.

„Weißt du, was wir mit Verrätern machen?“, fragte sie mich.

Bevor ich darüber nachdenken konnte, zogen sie mich in eine Kabine und traten mir in die Kniekehle, sodass ich vor der Toilettenschüssel zu Boden ging. Sie holten ein Seil aus ihrer Tasche und begannen, meine Hände am Klo festzubinden. Ich versuchte, mich zu wehren, so gut es ging, und trat um mich.

„Hör sofort auf damit!“, befahl mir Jessica. „Es bringt nichts!“

„Lasst mich los“, rief ich mit aller Kraft.

„Wer nicht hören will, muss fühlen“, ertönte ihre Stimme nah an meinem Ohr. Kurz darauf wurde mein Kopf ins Klo gedrückt und einer von ihnen betätigte die Spülung. Mein Gesicht befand sich fast vollständig unter Wasser und ich versuchte, verzweifelt nach Luft zu schnappen. Als die Spülung durchgelaufen war, schrie ich, aber außer meinen Peinigern hörte mich niemand. Mir wurde schlagartig übel. Ich würgte, wehrte mich aber dagegen vor ihnen zu kotzen.

„Hältst du jetzt endlich deine Klappe?“, fragte Jessica und zog mich an meinen Haaren wieder hoch. „Oder willst du noch einmal die schöne Dusche genießen?“ Total eingeschüchtert schüttelte ich den Kopf und ließ meine Hände am Klo anbinden.

Erneut ertönte die Schulklingel. Jessica und ihre Begleiter standen auf und verließen die Toilettenkabine. An der Tür blieb sie noch einmal stehen und drehte sich zu mir um. „Ich hoffe, die Lektion reicht dir. Mir fällt keiner in den Rücken! Verstanden?“ Daraufhin schloss sie die Tür und verließ das Jungsklo.

Ich schrie mir die Seele aus dem Leib, aber es brachte nichts. Niemand hörte mich. Panisch versuchte ich, mich zu befreien. Doch das war zwecklos. Der Knoten saß viel zu fest. Tränen liefen mir über die Wangen. Verzweifelt versuchte ich mich weiter zu befreien. Unter Schmerzen zog ich an dem Seil und verstärkte dadurch den Druck auf die Handgelenke nur noch mehr.

Nach einer gefühlten Ewigkeit gab ich es auf. Mir tat alles weh und die Übelkeit brachte mich fast um. Entmutigt fing ich bitterlich an zu weinen.

Nach einer ganzen Weile verblasste die Verzweiflung und in den Vordergrund trat die Wut. Ich war wütend auf Jessica und ihre Anhänger, sauer auf meine Freundinnen und verärgert über die Lehrer. Doch am meisten gab ich mir selbst die Schuld.

 

Leseausschnitt aus dem Kapitel 4 „Liebespaar oder Bodyguard“

 

Bevor ich den Gesprächsverlauf richtig begreifen konnte, nahm er wieder meine Hand und zog mich von ihr weg. Als ich mich nochmal umdrehte, sah ich, dass Jessica versteinert dastand und uns verdutzt hinterherschaute.

„Was war das denn?“, fragte ich überrascht, als wir aus der Sichtweite von ihr waren. „Sie war total sprachlos.“

„Ich glaube, dass noch keiner den Mut hatte ihr die Stirn zu bieten“, meinte er und blieb stehen.

„Danke“, sagte ich erleichtert und wollte meine Hand aus seiner ziehen. Doch er hielt sie weiter fest und drehte sich zu mir.

Jetzt, wo ich langsam wieder ruhiger wurde und Jessica nicht mehr in der Nähe war, bemerkte ich, wie warm seine Hand war und wie schön es sich anfühlte. Sein Blick ruhte auf mir und ich konnte nicht anders, als ihn zu erwidern. Am liebsten wäre ich ewig so stehen geblieben, aber das Vorklingeln erinnerte mich daran, dass wir in der Schule waren.

„Danke nochmal“, sagte ich und ließ ihn los. „Ich komme ... sonst zu spät ... und ziehe ... die Aufmerksamkeit auf mich“, stammelte ich und machte Anstalten zu gehen. Ich war total überfordert mit den Gefühlen, die in mir brausten.

„Du schaffst es pünktlich“, meinte er lächelnd und sah mich erneut liebevoll an. Dieses Mal wich ich seinem Blick aus, bevor ich mich wieder darin verlieren konnte. Aufgewühlt lief ich los.

„Kopf hoch, du bist stark!“, rief er mir nach, als ich schon einige Schritte von ihm entfernt war. Überrascht drehte ich mich um. Er stand immer noch dort, wo ich ihn stehen gelassen hatte. „Du bist nicht allein“, fügte er hinzu und lächelte mir aufmunternd zu.

Voller Glücksgefühle und neuer Zuversicht, alle Gemeinheiten abperlen lassen zu können, lief ich den Schulgang entlang in Richtung Geographieraum.

 

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