1.
Tanja stand unter der Dusche. Schon eine Weile.
Eine ziemlich lange Weile. Das heiße Wasser prasselte auf ihre Haut und es
gelang ihr, sich nur darauf zu konzentrieren. Auf die Wärme und auf das
Plätschern. Die Welt war ausgeblendet, Emotionen betäubt, Eindrücke in eine
Auszeit gezwungen. Darum stand sie da, mit geschlossenen Augen und den Händen
im eigenen Nacken. Das hatte sie schon immer gekonnt. Auch gebraucht. Im Chaos
ihres Liebeslebens, im Hin und Her zwischen zwei Männern. Vor allem. Aber auch
bei Stress am Arbeitsplatz oder zu anderen Missstimmungen.
Nur mühsam schaffte sie es, das Wasser
abzustellen und in die Realität zurückzukehren. Die Realität, in die sie
unwirkliche Bilder trotzdem verfolgen würden.
Sie ließ sich Zeit beim Abtrocknen. Auch beim
Anziehen. Tauschte die schwarze Bluse gegen ein grünes T-Shirt und wieder zurück.
Griff nach der Wimperntusche, sah in den Spiegel und legte sie wieder zurück.
Niemand würde Wert darauf legen. Sie selbst am aller wenigsten. Sie zwang sich
zu einem schmerzverzerrten Lächeln, als sie anfing, ihr Haar zu bürsten und im
Spiegel die blauen Augen ihres Mannes traf. Er lächelte zurück und streckte
seine Hand nach ihr aus, doch sie konnte die Berührung nicht fühlen. Sie drehte
sich nach ihm um, doch er war schon wieder gegangen. Und als sie sich zurück
zum Spiegel wandte, begegnete sie dem ehrlichen Leuchten in Maltes Blick. Ihre
Einbildung spielte verrückt. Während sie sich grundsätzlich so alt fühlte wie
ihre Mutter, verhielt sie sich im Unterbewusstsein vollkommen kindisch und
unreif. Ein paar verzweifelte Tränen stiegen ihr in die Augen. Doch die Arbeit
rief.
2.
Sie schwieg und half ihm. Ihre Finger streiften
dabei sein Handgelenk, ihre Blicke trafen sich darauf und er erinnerte sich an
den ersten Abend, an dem sie beide unter einem Dach gewohnt hatten. Alina war
im fünften Monat schwanger, ihr Bauch wölbte sich unter dem blumigen T-Shirt
und wenn er sie ansah, fühlte er sich ihr tief verbunden. Er liebte sein Kind,
das sie unterm Herzen trug, und obwohl sie nicht seine erste Wahl war, liebte
er auch sie. Auf seine Art. Sie wussten zu diesem Zeitpunkt bereits, dass sie
ein Mädchen erwarteten und es machte Malte stolz, sich in der Öffentlichkeit
als werdender Vater zu präsentieren. Er war noch keine dreißig Jahre alt und
gründete eine Familie. Zwar hatte er vor Jahren die Frau seiner Träume
enttäuscht und verloren, doch er hatte eine sehr gute Alternative gefunden.
Daran glaubte er. Damals noch fest. Es würde sich zum Guten entwickeln und er
würde mit Alina an seiner Seite glücklich sein. Eine gemeinsame Wohnung zu
beziehen war ein guter Grundstein, den sie legten.
An ihrem ersten Abend hatten sie in derselben
Küche gestanden und dieselbe Spülmaschine eingeräumt. Mit nur zwei Gedecken und
mit Zuversicht. Sie hatten einander in die Augen gesehen und an nichts anderes
gedacht als die gemeinsame Zukunft. Malte hatte seine Arme von hinten um Alinas
Körper gelegt, seine Handflächen auf ihrem Bauch ausgebreitet, sie an sich
gezogen und ihre Schulter geküsst, die aus dem schief verrutschten Shirt
hervorlugte. Nur wenige Wochen später hatte er bei seinen Eltern die Einladung
zur Hochzeit von Tanja und Lukas vorgefunden.
Es schien ein Jahrhundert zurückzuliegen. Damals
hatten seine Haare noch ihr natürliches Braun gehabt und er hatte sich jung
gefühlt. Heute kam er sich alt vor. Und Alinas Blick berührte ihn auf eine
gänzlich andere Weise.
Danke auch für die Schnipsel. Ich habe hier zwei Abschnitte ausgewählt, die den jeweiligen Grundkonflikt der beiden Protagonisten aufzeigen (-;
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