Montag, 1. Dezember 2025

[Schnipseltime] Love between Blood and Sand - Herz des Gladiators von Maggie Stone


1 Schatten der Nacht

„Er ist hier!“

Quintus’ Worte donnerten durch die Hütte und zerrissen die nächtliche Stille. „Nimm Briana, und lauf in den Wald“, wies er Aurelia an. Die Glut, die noch im Herd glomm, zeigte ihr, dass ihr treuer Freund seinen Blick auf ihre sechsjährige Tochter gerichtet hatte. Er griff nach seinem Schwert, das in der Ecke lehnte.

„Was?“ Aurelia war kaum in der Lage zu begreifen, was vor sich ging, und sah ängstlich umher. Das leise Rascheln der Blätter draußen vermischte sich mit den gedämpften Geräuschen der Nacht.

Sie wusste, von wem Quintus sprach. Jeder in diesen Landen kannte den Zenturio, der so grausam war, dass selbst gestandene Männer vor ihm erzitterten. Er überzog die gallischen Ebenen mit einer Welle aus Blut und Tod. In den letzten Monaten waren bereits einige der umliegenden Siedlungen Opfer seines Feldzuges geworden. Gegenwärtig war das Dorf betroffen, in dem sich Aurelia und Azok niedergelassen hatten.

Eine altbekannte Furcht stieg in Aurelia auf, wollte sie doch so weit fort wie nur irgend möglich Rom und dessen gnadenlosem Einfluss entfliehen. Ihre Hände bebten, und ihr Brustkorb hob und senkte sich geschwind. Die Luft war schwer vor Angst. Eine unheilvolle Ahnung, dass die Republik sie aufs Neue eingeholt hatte, lag darin.

Unvermittelt stürmte Azok durch die Tür, die mit einem lauten Knarren aufschwang. Sogleich füllte seine Anspannung die Hütte aus.

„Nimm Briana, und lauf so schnell du kannst!“ Das Drängen in seiner Stimme war nicht zu überhören.

Aurelia sprang vom Stuhl auf, griff nach ihrem Umhang, der über dessen Lehne hing, und warf ihn sich eilig über die Schultern. Direkt danach trat sie an das Bett, in dem ihre Tochter lag, und weckte sie. „Komm, Briana, wir müssen los“, flüsterte sie und beugte sich zu ihr hinunter.

Ihre Tochter wimmerte im Halbschlaf und zog sich die dünne Decke über die Schultern.

„Bitte, Briana, du musst dich beeilen“, flehte Aurelia. Sie tastete auf der Schlafstätte nach dem Umhang, den sie am Vorabend sorgsam gefaltet und am Fußende abgelegt hatte, wie sie es stets tat.

Indes schrak Briana hoch. „Was ist, Mutter?“

„Es wird alles gut. Wir müssen uns beeilen.“ Aurelia nahm Briana aus dem Bett und hüllte sie in den dicken Umhang. Sanft hob sie sie hoch und drückte sie fest an sich.

„Wir dürfen keine Zeit verlieren. Sie werden bald hier sein“, sagte Azok mit Nachdruck und trat an Aurelia heran. Ohne ein weiteres Wort legte er den Arm um ihre Schultern und zog sie samt Briana an sich. Es war eine flüchtige, dringliche Umarmung, als wolle er ihnen Kraft einhauchen. Er griff nach Aurelias Hand. Seine Finger verschränkten sich mit ihren, und er schaute ihr tief in die Augen. „Sieh nicht zurück. Lauf so schnell du kannst. Beschütze Briana mit allen Mitteln.“

Sie nickte wortlos. Im nächsten Moment ließ sie Azok los, setzte Briana ab, wandte sich zum Herd um und lief zu ihm. Hastig schob sie die tönernen Gefäße und Tiegel zur Seite, bis sie ihn spürte: einen Dolch. Das kühle Metall des Messers war ein scharfer Kontrast zu der Hitze in ihrem Inneren. Sie nahm ihn an sich, willens, sich ihrem Feind zur Wehr zu setzen. Daraufhin kehrte sie zurück zu Briana, fasste sie an der Hand und trat mit ihr durch die Tür in die kalte, unbarmherzige Nacht. Azok und Quintus schlossen sich ihnen an, und gemeinsam verließen sie die Hütte. Das Bild, das sich ihnen außerhalb davon bot, ließ Aurelia erstarren.

Eine römische Zenturie war in das Dorf eingefallen. Flammen krochen unheilvoll über die Dächer der Hütten, als würden sie die Dunkelheit der Nacht verschlingen. Der beißende Geruch von Rauch und verbranntem Holz erfüllte die Luft. Schreie durchbrachen die Stille, boten ein Klagelied der Verzweiflung und des Terrors. Berittene Legionäre preschten auf ihren Pferden durch die herumlaufenden Menschen. Ihre Schwerter blitzten im Feuerschein, indes sie einen nach dem anderen niedermetzelten.

Das Feuer fraß sich gnadenlos durch das Dorf. Das Knistern und das Prasseln mischten sich mit dem Klirren von Metall und den markerschütternden Rufen der Dorfbewohner. Aurelia konnte den eisernen Griff der Angst in ihrem Inneren spüren, als sie den Anblick der Zerstörung vor sich erkannte. Ein Gefühl der Machtlosigkeit und des überwältigenden Grauens erfüllte sie, währenddessen sie beobachtete, wie die Legionäre wie todbringende Schatten über die Dorfbewohner herfielen. Einige der Männer leisteten vehement Widerstand, taten alles, um ihre Familien zu verteidigen, aber es war aussichtslos. Die Übermacht der Römer war erdrückend, ihre Brutalität grenzenlos.

Aurelias Herz raste. Der Geruch von Blut hing in der Luft, und sie konnte das dumpfe Stöhnen der Verwundeten hören. Die Welt um sie herum schien im Chaos und im Feuer zu versinken, doch sie spürte eine unerschütterliche Entschlossenheit in sich. Sie durfte nicht aufgeben. Sie konnte nicht aufgeben. Nicht solange Briana an ihrer Seite war. Sie musste alles unternehmen, um sie gut zu bewahren. Ihre Finger verkrampften sich um den Dolch in ihrer rechten Hand. Die Finger der linken umschlossen die Hand ihrer Tochter fester.

„Beeil dich!“, rief Azok.

Er zog Aurelia zu sich und schaute ihr tief in die Augen. Das flackernde Feuer ließ Schatten über sein Gesicht tanzen. Sie warfen rötliches Licht auf sein Gesicht und zeichneten scharfe Konturen in es, sodass er unnachgiebiger wirkte als je zuvor. Die Glut ließ seine Haut leuchten, wie um zu sagen, dass er längst Teil der brennenden Nacht war.

„Ich komme nach“, versprach er.

Aurelia liefen die Tränen über die Wangen. Eine Mischung aus Furcht und Stolz erfüllte sie, da sie wusste, dass er alles geben würde, um einige dieser armen Seelen zu retten. Nach einem tiefen Atemzug küsste er Aurelia, kurz und innig, als wollte er sich sie zum Abschied einprägen, und schickte sie fort.

Wenige Augenblicke später kamen Aurelia und Briana am Rand des Dorfes an. Im Schutz der Dunkelheit eilten sie weiter zum nahe gelegenen Wald. Die Nachtluft war erfüllt vom lauten Prasseln der Flammen, dem lautstarken Rufen der Dorfbewohner und dem dumpfen Aufprall von Hufen auf dem Boden.

Plötzlich vernahm Aurelia einen Schrei. Etwas packte sie an ihrem Umhang, zog kräftig daran, und sie wurde nach hinten gerissen. Sie fiel unsanft auf die Erde. Über ihr tauchte das Gesicht eines Legionärs auf, der ihr gefolgt war.

„Wo willst du hin?“, fragte er in einem scharfen Ton.

Aurelia ignorierte ihn, kam hastig auf die Beine, blickte sich panisch um und rief nach ihrer Tochter. Bei ihrem Sturz hatte sie Brianas Hand losgelassen.

„Mutter!“ Brianas Ausruf war gellend und voller Angst.

Aurelia wirbelte in die Richtung, aus der sie sie vernommen hatte. Einige Schritte von ihr entfernt entdeckte sie Briana in den Fängen eines zweiten Legionärs.

„Lass sie sofort los!“, forderte sie und richtete die Klinge ihres Dolches auf den Mann. Ihr Griff war zwar fest, doch ihre Hände zitterten vor Angst und Nervosität.

Der Legionär lachte laut auf, hob Briana hoch und legte sie sich über die Schulter. Ihre Tochter weinte, schrie und strampelte mit den Füßen, um sich gegen den Mann zu wehren. Es war zwecklos. Ihre Kraft reichte längst nicht. Blitzschnell jagte der Legionär, der Aurelia umgeworfen hatte, auf sie zu und schlug ihr den Dolch aus der Hand. Mit einem höhnischen Grinsen fixierte er sie, offenbar darauf bedacht, ihre verzweifelte Entschlossenheit zu brechen.

„Dass ihr Wilden tatsächlich denkt, eine Frau könnte sich im Kampf behaupten“, spottete er und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht.

Die Wucht des Schlages traf sie unvermittelt und schickte sie zu Boden. Das Blut lief ihr aus Nase und Mund.

„Mutter!“, schrie Briana wie am Spieß.

Aurelia hob mühsam den Kopf und beobachtete, wie der zweite Legionär mit ihrer Tochter davonmarschierte. Sein Kumpan rannte ihm hinterher.

Der Schmerz, den ihre Seele daraufhin erfasste, verdrängte den in ihrem Gesicht.

„Nein!“, brüllte Aurelia und rappelte sich mit der Kraft, die ihr geblieben war, hoch. Die Welt um sie herum verschwamm vor Tränen und Qualen. Verzweifelt kehrte sie zurück ins Dorf.

Ebenda angekommen, suchte sie nach Azok. Inmitten des Getümmels erspähte sie ihn. Er stand da, seine Muskeln angespannt im Aufbegehren gegen die römischen Soldaten. An der Seite von Quintus leistete er Widerstand und gab alles, um seine Familie zu beschützen.

„Azok!“, schrie sie aus Leibeskräften. Ihre Stimme durchdrang den Lärm des Kampfes, und er riss den Kopf zu ihr herum. „Sie haben Briana!“ Nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte, brach Aurelia unter der Last ihrer Gefühle zusammen.

Augenblicklich stürzte Quintus zu ihr und fing sie in seinen Armen auf. „Wo ist sie?“, fragte er und musterte ihr Gesicht, wie um in ihm zu lesen.

Unfähig, ihm zu antworten, deutete Aurelia in die Richtung, in die die Legionäre verschwunden waren.

„Du bringst Aurelia hier weg“, wies Azok Quintus an, der inzwischen ebenfalls bei ihnen angelangt war, und legte seinem Freund die Hand auf die Schulter.

Aurelia packte Azok am Arm und starrte ihn entsetzt an.

„Ich hole Briana. Dann komme ich nach“, sagte er. Es war ein Versprechen, dass er alles tun würde, um seine Familie gut zu bewahren.

Schweren Herzens löste Aurelia ihre Hand von ihm und ließ sich von Quintus von dem Schauplatz des Schreckens fortbringen. Ihre Augen brannten vom Rauch, und die Schreie der Dorfbewohner hallten unaufhörlich in ihren Ohren nach. Ohne Unterlass war ihr Blick auf den Ort gerichtet, an dem ihr Mann in diesem Moment um ihr Kind kämpfte.

Die Schritte fort von ihrem Heim, dem Dorf, das sie vor Jahren derart freundlich aufgenommen hatte, schmerzten Aurelia. Es fühlte sich an, als würde sie einen Teil von sich selbst zurücklassen.

Das Wissen, dass die meisten der ehrlichen Menschen den Tod durch die Hand eines Römers fanden, brachte ihr Herz dazu, sich beklommen zusammenziehen. Sie kam nicht umhin, sich wiederholt für ihre Herkunft zu schämen und für das, wofür Rom stand: Unterdrückung, Sklaverei, Tod.

„Komm weiter“, drängte Quintus und zog Aurelia hinter sich her. „Wir müssen den Waldrand erreichen, bevor sie ausschwärmen und uns finden.“

Die Dunkelheit des Waldes wirkte wie ein undurchdringliches Labyrinth. Nichtsdestotrotz lief sie voran, denn es war ihre einzige Hoffnung auf Überleben.

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Mit dem Abschicken des Kommentars bin ich mit den Datenschutzrichtlinien des Blogs einverstanden.