
»Ich
möchte ehrlich zu Ihnen sein«, setzte Lucy an.
»Ehrlichkeit
ist meistens gut.« Er legte das Buch beiseite und schaute sie wieder an.
»Meine Mitarbeiterin hat Sie eben dabei beobachtet, wie
Sie ein Buch in Ihre Tasche gepackt haben.« Lucy fühlte, wie ihre Wangen heiß wurden. Hoffentlich sah man ihr das nicht an.
»Das hat sie richtig beobachtet«, entgegnete der
Mann. »Das Buch ist in meiner Tasche.«
»Sie geben es also zu?«
»Natürlich.
Hier ist es. Sehen Sie?« Er nahm das Buch aus seiner Tasche, hielt es ihr kurz
hin, dann packte er es wieder ein. Lucy hatte gerade noch das Cover erfassen
können – irgendein Leuchtturm, verlassene Dünen und der Titel: Brandungstod.
»Ähm, Sie können nicht einfach ein Buch mitnehmen,
das ist kein offener Bücherschrank.«
»Ich weiß. Aber ich tue Ihnen einen Gefallen. Das
Buch ist unglaublich schlecht, das sollte hier nicht stehen. Ich befreie Sie
davon.«
Irgendwann nachmittags ging die Türglocke und Lucy sah
eine kleine Dame mit perfekter orangefarbener Dauerwelle auf sich zustapfen.
»Ham Sie jetzt endlich wieder offen?«
»Nein, leider noch nicht.«
»Es riecht aber nach Kuchen!«, sagte die Frau überzeugt.
»Das sind nur Testläufe«, räumte Lucy ein.
»Also bitte, da stehen doch lauter kleine Kuchen herum.
Kann ich da einen bekommen?«
»Das geht wirklich nicht. Wir eröffnen erst am 20. Mai.«
»Und wer soll dann Ihre ganzen Testläufe prüfen?«
»Wir!«, mischte sich Clara energisch ein, die aus der
Küche zu Hilfe kam.
»Ich verrat’s auch keinem«, sagte die kleine Dame geheimnisvoll
und sah sich verschwörerisch um.
»Na gut, komm, soll sie einen nehmen«, meinte Lucy. »Aber
bitte behalten Sie das für sich!«
Die Frau nahm einen Blaubeer-Muffin und biss herzhaft
hinein.
»Allmächd! Der ist ja noch heiß!« Sie sah sich suchend um
und Clara reichte ihr eine Serviette.
»Da müssen Sie die Kunden doch vorwarnen!«
»Wir haben noch keine Kunden!«, sagte Clara müde.
»Was kriegen Sie von mir? Gibt’s einen Sonderpreis, weil
ich mich fast verbrannt habe?«
»Der geht aufs Haus!«, bestimmte Lucy. »Aber jetzt müssen
Sie leider gehen!«
»Na gut. Weil Sie so nett ausschauen, schreib ich das
nicht in meine Rezession.«
»Bitte schreiben Sie gar nichts darüber! Warten Sie bis
zum 20. Mai!«
Clara sah der Dame kopfschüttelnd hinterher. »Die war früher
schon da, sie hatte immer Sonderwünsche. Marianne hatte eine Engelsgeduld mit
ihr, ich weniger.«
Lucy lachte. »Rezession. Na, solange sie dem Café damit keine Wirtschaftskrise beschert … Ich weiß gar nicht, ob man schon online Rezensionen abgeben kann.«
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Mit dem Abschicken des Kommentars bin ich mit den Datenschutzrichtlinien des Blogs einverstanden.