In ihrem Traum
rannte Seraphine und wirbelte Aschewolken auf. Alles um sie herum war verbrannt
und es stank nach Tod. Irgendjemand verfolgte sie? Was es auch war, es trieb Seraphine
immer weiter in die unendliche Dunkelheit der Wüste vor sich hinein. Die Erde
bebte und sie verspürte furchtbare Angst.
»Lauf, Seraphine, lauf!« Eine wohlbekannte Stimme erklang in ihrem Ohr.
Vor ihr tauchte eine Gestalt auf. Ein kleines Mädchen, mit langen schneeweißen
Locken, das ein altmodisches bodenlanges Gewand trug und ihr den Rücken
zukehrte. Seraphine hatte sie noch nie zuvor gesehen, doch wusste sie ganz
genau, wer dieses Kind war und spürte Erleichterung.
»Seray!«, rief sie völlig
außer Atem. Die Kleidung des Mädchens war grau von der vielen Asche und auch
ihr weißes Haar war von Schmutz und blutverkrusteten roten Strähnen durchzogen.
Auf ihrem Kopf thronte ein halb verwelkter Kranz aus blauen Blumen. Seraphine
lief bei dem verstörenden Anblick ein Schauer über den Rücken.
Die Kleine sprach, ohne sich umzudrehen. »Du kannst mich sehen? Unsere
Verbindung wird stärker.«
Erneut bebte die Erde und der Boden bröckelte. Feine Risse zogen sich wie
Narben unter ihren Füßen entlang und bestärkten in Seraphine den Drang zu
fliehen. Die Angst umklammerte eisern ihr Herz.
»Wir haben keine Zeit! Siehst
du denn nicht was geschieht? Unsere Welt stirbt!«
Das weißhaarige Mädchen seufzte resigniert. »Das ist nur ein Albtraum
Seraphine, aber ja, ich spüre es auch. Es ist genauso wie damals. Aber es ist
nicht das Ende, das dich in solche Panik versetzt, sondern der drohende Verrat.
Je stärker deine Verbindung zu mir und den anderen Seelen des Paktes wird,
desto mehr spürst du auch ihre Absichten.« Die Risse wurden größer und
Seraphine widerstand dem Drang Seray einfach bei der Hand zu packen und
mitzuziehen. Panik drohte sie zu überwältigen und wurde nur von diesem
unglaublichen Verlangen fortzulaufen überschattet. Doch sie durfte nicht gehen,
nicht, ehe sie endlich die Wahrheit über Seray und den Pakt erfahren hatte.
Ohne jede Vernunft schrie sie gegen das bedrohliche Dröhnen an, das aus der
Erde ertönte. »Bitte, sag mir, was damals geschehen ist, und sei es nur, damit
ich denselben Fehler nicht wiederhole!«
Serays Worte waren so deutlich zu hören, als würde sie ihr direkt ins Ohr
flüstern. »Du bist noch nicht bereit für die Wahrheit. Deswegen musst du
jetzt fliehen. Laufen, immer weiter laufen, wie es dir dein Instinkt befiehlt.
Hoffentlich wirst du irgendwann lernen, hinter die Schatten zu sehen.«
Der Boden tat sich auf. Der komplette Landstrich fiel in sich zusammen und
zog eine Kluft zwischen sie und Seray. Seraphine wollte hinüberspringen, doch
ihre Beine gehorchten ihr nicht länger. Hilflos musste sie mitansehen, wie die
Erde sie Stück für Stück voneinander trennte. Seraphine warf Seray einen
entsetzten Blick zu, aber das Mädchen stand immer noch da wie angewurzelt, den
Rücken ihr zugewandt, furchtlos im Angesicht der Zerstörung. »Du bist einem
Verräter in die Falle getappt. Demselben Verräter, der auch mein Ende
besiegelte. Du musst das Dorf verlassen, solange du kannst.«
Seraphine wollte schreien, aber ihre Stimme versagte.
»Er ist kein schlechter Mann und will nur seinen Bruder beschützen, genau
wie vor tausend Jahren. Oh wie sehr weinte er damals um uns, als er erkannte,
was er angerichtet hatte. Er schwor, es wieder gut zu machen und die Schuld zu
begleichen. Er will ihn um jeden Preis retten, doch er kann nicht mehr länger
warten.«
Der Traum begann ihr zu entgleiten. Seraphine spürte, wie die Realität nach ihr
griff. Sie lockte mit der Versuchung der Angst zu entrinnen. »Damals war er ein
Kind des Mondes, doch heute ist er der Sohn eines ähnlich mächtigen Wesens. Seine
Augen sind so blau wie ein wolkenloser Himmel. Seraphine! Flieh! Flieh aus dem
Dorf! Es ist noch zu früh für ein Wiedersehen.«
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