Der
Vater hält sich außerhalb meines Blickfeldes auf. Obwohl wir jede Menge Lampen
aufgestellt haben, um späten Einkäufern einen Eindruck von den Bäumen zu
ermöglichen, gibt es genug Schatten und dunkle Ecken, auf die mir die Sicht
fehlt. Der Junge läuft weiter zu den Bäumen, die besser geeignet sind. Das Kind
trägt eine dicke, blaue Jacke. Sein blau-weiß-roter Schal leuchtet zwischen den
Zweigen hervor, hinter denen ich lauere.
„Dann
nehmen wir den hier. Der geht nicht bis zur Decke.“ Die geringelten Handschuhe
zeigen auf eine Nordmanntanne von zwei Metern Höhe.
„Ich
weiß, du möchtest unbedingt so ein Riesending aufgestellt haben“, sagt sein
Vater. „Für uns beide allein ist der allerdings zu groß.“
„Was
kann ich denn dafür, dass Oma und Opa keine Zeit haben, uns zu besuchen?“,
beschwert sich das Kind. „Wer mag denn ausgerechnet über Weihnachten eine
Kreuzungsfahrt machen?“
„Kreuzfahrt“,
korrigiert der Vater. „Deine Großeltern haben die Reise gewonnen. Natürlich
werden sie sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Das dürfen wir ihnen
nicht vorhalten. Wien im Winter kann zwar romantisch sein. Das Schneechaos
erspart man sich allerdings gern. Wir beide machen einfach das Beste daraus.
Eine Männerweihnacht. Klingt das nicht großartig?“
„Nein,
überhaupt nicht“, sagt sein Sohn ehrlich.
Ich
empfinde Mitleid mit dem Kleinen. Dass er nicht sonderlich begeistert ist, kann
ich nachvollziehen. Kindern ist dieser Weihnachtskram furchtbar wichtig. Das
weiß sogar ich. Wenn ein Berg Geschenke unter einem Baum liegt, den sie bei mir
gekauft haben, strahlen sie mit den Lichterketten um die Wette. Ein Teil ihrer
Wünsche wird jedoch an diesem Tag nicht erfüllt, wenn nicht alle
Familienangehörigen mit dabei sind.
Männerweihnacht.
Dann feiert wohl die Mutter oder der zweite Vater des Kindes ebenfalls nicht
mit den beiden. Ob sie oder er sich getrennt hat oder nicht mehr lebt? Beides
muss für das arme Kind schwer zu verkraften sein.
„Nehmen
wir den da“, schlägt der Vater vor. „Ich bezahle ihn jetzt, und wir holen ihn,
nachdem wir das Buch besorgt haben, das ich dringend für meine Arbeit brauche.“
Ein
Arm erscheint in meinem Sichtfeld und deutet auf einen Baum von nicht mal einem
Meter Höhe. Ist das sein Ernst?
„Och,
Papa. Der ist viel zu klein. Wir brauchen einen größeren.“
Ganz
meine Meinung. Der Kleine muss auf genug verzichten.
Ob
das der richtige Zeitpunkt ist, um in Erscheinung zu treten? Langsam pirsche
ich mich an.
„Der
reicht völlig aus“, behauptet der unsensible Papa.
„Diesen
Baum sieht das Christkind doch nicht! Woher soll es wissen, wo es die Geschenke
hinlegen soll?“ Der Junge klingt weinerlich.
Mann,
das berührt sogar mein Herz, obwohl meine Schwester immer behauptet, ich würde
keines besitzen. Noch kann ich den Vater des Kindes nicht erkennen. Neugierig
mache ich einen weiteren Schritt vorwärts. Im Moment dreht er mir den Rücken zu
und bemerkt nicht, dass ich bereits auf meine Chance lauere, ihm einen Baum zu
verkaufen.
„Und
für den großen reichen unsere Lichterketten nicht“, erklärt der Dad. Er wendet
sich um, damit er die übrigen Exemplare in Augenschein nehmen kann.
Was
für ein Leckerbissen! In seinem attraktiven Gesicht fallen mir sofort seine
Augen auf. Obwohl sie auf etwas anderes gerichtet sind, kann ich erkennen, wie
verblüffend hellblau sie sind. Ein dunkleres Blau am äußeren Rand der Iris
verhindert, dass sie übernatürlich wirken. Die breiten Augenbrauen verstärken
den Effekt noch. Ob er immer mit diesem Dreitagebart herumläuft? Oder war er
heute Morgen bloß zu faul, ihn abzurasieren?
An
meinen Bart lasse ich seit Jahren ja nur noch einen Fachmann. Der auffällige
Rotton meiner Gesichtsbehaarung verhindert, dass man mein Gesicht für
nichtssagender hält, als ich bin. Mein letzter Freund hatte ebenfalls einen
kurz gestutzten Bart. Ich habe das Gefühl geliebt, wie seine Stoppeln über
meine Haut gekratzt haben, wenn wir uns geküsst haben.
Seltsamer
Gedankengang.
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