Schatz im Anflug
XXL -Textschnipsel
Sie hoffte, wenn das alles war, was
ihrer Schwangerschaft im Wege stand, ließe
sich das bestimmt irgendwie hinbekommen. Selbst wenn es bedeutete, dass Felix
und sie weiterhin täglich daran arbeiten müssten. Andererseits taten sie doch
schon genau das, und das Ergebnis war gleich null. Und ja, sie stand unter
Druck, so wie es Dr. Fleischer eben beschrieben hatte. Sollten sie und Felix
die Sache mit dem Sex besser weglassen? Dann ließ der Druck ganz bestimmt nach.
Wiederum kein Sex gleich kein Baby, oder hatte sie da was verpasst? Was sollte
sie nur tun?
Katarina schwelgte tief in Gedanken.
»Hem-hem.«
Dr. Fleischer räusperte sich. Nun hatte er wieder ihre volle Aufmerksamkeit und
sprach weiter. Er war mit seiner Schilderung noch nicht am Ende.
»Natürlich
ist das nicht immer der Grund«, setzte er fort. »Manchmal gibt es leider auch
organische Ursachen. Und um die auszuschließen, werden wir alles Stück für
Stück untersuchen, was dem Baby den Weg versperren könnte. Aber wir wollen
schließlich nicht gleich den Teufel an die Wand malen.« Wieder tätschelte er
kurz Katarinas Hand. Dann rückte er seine Brille zurecht. »So, und nun legen
Sie sich bitte nebenan auf den Stuhl. Ich fange jetzt erst einmal mit der Routineuntersuchung
an. Nicht, dass Sie mir noch vor Anspannung platzen.«
Die letzten Worte, die ihr der Doktor
soeben dargelegt hatte, verunsicherten sie erneut und zerstreuten ihre Bedenken
nicht ansatzweise. So wie sie das sah, standen ihre Chancen fifty-fifty.
Einerseits bestand die Möglichkeit, dass ihr Körper nicht
funktionsfähig war. Bei den anderen fünfzig Prozent, die sie nur für
geringfügig weniger schlecht hielt, spielte ihr Kopf verrückt und machte
Stress. Er brachte ihren kompletten Zyklus durcheinander. Und das Ende vom
Lied, sie wurde nicht schwanger, weil sie unbedingt schwanger werden wollte.
Das ergab doch überhaupt keinen Sinn, oder? Für sie jedenfalls nicht, obwohl
sie darüber schon gelesen hatte. Das wäre zwar nicht ganz so aussichtslos, als
wenn sie ein organisches Problem hätte, aber auch nicht wesentlich besser.
Unsicher stand sie auf. Sie spürte,
dass sich ihre Knochen in Pudding verwandelt hatten. Mit Mühe gelangte sie ins
Nebenzimmer und war froh, dass ihre Knie auf dem Weg dahin nicht versagt
hatten. Zittrig kletterte sie vor sich auf den mintfarbenen Untersuchungsstuhl
und lehnte sich zurück.
Sie war bereit. Bereit der Wahrheit
ins Auge zu blicken. Das redete sie sich fest ein, allerdings stimmte es ganz
und gar nicht. Sie war absolut nicht bereit, weder heute noch morgen oder sonst
irgendwann. Doch es gab jetzt kein Zurück mehr. Denn schon kam der Doktor
herein und streifte seine Handschuhe über.
»Zunächst
einmal werde ich Sie untersuchen. Alles Weitere besprechen wir danach.«
Er begann sie abzutasten und führte
seine routinemäßige Kontrolle durch. Anschließend griff er nach einer Tube.
»Vorsicht«,
sagte er, »es wird jetzt kalt.«
Er drückte
eine gallertartige Substanz auf ihren Bauch. Vor Schreck entfuhr Katarina ein
erstickter Laut.
»Ich
habe Sie gewarnt.« Er grinste. Doch gleich darauf wurde er wieder ernst. »Ich
werde nun einen Ultraschall machen, um zu sehen, ob es irgendwelche
Auffälligkeiten an der Gebärmutter oder den Eierstöcken gibt. Zugleich sehe ich
auch, ob die Eileiter gut durchlässig sind.«
Er nahm ein Gerät
in die Hand, das Katarina an einen großen Pilz erinnerte. Damit rutschte er
über ihren Bauch und durchleuchtete sie von außen. Sie beobachtete ihn dabei,
doch er verzog keine Miene. Sein Gesicht gab nicht die kleinste Information
preis. Er schaute nur immer wieder auf den Monitor, der vor ihm stand, und
erklärte, was die einzelnen grauen Flecke darauf zu bedeuten hatten.
Plötzlich
hielt der Doktor inne. Er starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den
Bildschirm und runzelte die Stirn.
Wieso
sagt er denn nichts?
Sein Gesichtsausdruck, Katarina erschrak darüber.
O
Gott, Scheiße,
das war’s,
dachte sie. Nun wird es doch keine
Bilderbuchfamilie für
mich geben. Mach’s gut, mein kleines Baby.
Sie hatte es ja gewusst, die ganze
Zeit über
war da schon dieses Gefühl, und das hatte meistens recht. Sie schluckte schwer
und schloss die Augen, um ihre aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Als sie
wieder aufblickte, verzog der Doktor seine Mundwinkel bis an die Ohren.
»Jetzt
entspannen Sie sich endlich mal«, sagte er. Dabei lachte er kurz auf und drehte
den Bildschirm zu ihr. »Schauen Sie her, erkennen Sie das?«
Katarina stand kurz vor einem
Zusammenbruch und nun sollte sie auch noch Rätsel
raten. Er war doch der Doktor. Das sagte sie natürlich nicht laut. Stattdessen
betrachtete sie konzentriert das Durcheinander auf dem Monitor, eine graue
Masse mit ein paar Flecken.
Soll
mir das irgendetwas sagen,
fragte sie sich. Das Ende meines
Wunschtraumes? Doch warum grinst der Doktor dann so? Verständnislos
sah sie ihn an und schüttelte den Kopf.
»Nun
gut.«
Er sah, dass Katarina völlig
im Dunklen tappte und wurde ernst. Ihr Gesichtsausdruck war wieder mal wie ein
offenes Buch.
»Ich
werde es Ihnen erklären. Also, was Sie haben, ist ziemlich schwerwiegend.«
Katarina schluckte hart. Ihr Hals fühlte
sich plötzlich eng und trocken an. Gleich würde ihr der Doktor die
ernüchternden Tatsachen erläutern. Doch davon wollte sie nichts hören. Am
liebsten würde sie jetzt die Hände auf ihre Ohren pressen oder besser noch,
einfach davonlaufen. Doch sie war keine drei Jahre mehr, sondern fünfunddreißig
und für solche Eskapaden einfach zu alt. Also blieb sie gehorsam, wo sie war,
und betete still darum, dass er ihre schlimmsten Befürchtungen bitte nicht wahr
werden ließe.
Sie bebte innerlich.
Tief
durchatmen, Katarina, sonst klappst du zusammen, noch bevor du dein Urteil hörst.
Danach blickte sie dem Doktor ängstlich
in die Augen. Sie suchte darin nach irgendeinem Anzeichen. Da war jedoch keine
einzige Regung, rein gar nichts. Nun machte sie sich auf das Schlimmste gefasst
und presste fest die Lippen aufeinander.
Gut,
dann mal los.
Sie war bereit, sich anzuhören,
was er weiter zu sagen hatte.
»Für
die eine Patientin ist es etwas Gutes und für die andere wiederum eine
Katastrophe.«
Ich
hasse Katz-und-Maus-Spiele.
Um seine Mundwinkel zuckte schon
wieder so ein eigenartiges Grinsen, nur ganz kurz. Katarina musste sich geirrt
haben. Sein Gesicht wirkte jetzt streng und erinnerte sie an ihren alten
Mathelehrer Herrn Lösche. Seine Augen dagegen wirkten
beinah belustigt.
Was
soll das? Worauf läuft
das hier hinaus?
Sie hatte irgendwie ein komisches Gefühl,
ihr war ganz elend.
Spannt
der mich bewusst auf die Folter, fragte
sie sich.
»Sehen
Sie diese winzig kleine Bohne hier?«
Dabei zeigte der Doktor mit dem
Finger auf eine dunkle Stelle in der grauen Masse.
Ein
Tumor, dachte
sie sofort, und ihr wurde noch elender, falls eine Steigerung überhaupt
möglich war.
»Sie
ist jetzt etwa drei Millimeter groß«, setzte er fort.
Katarina hörte
inzwischen nicht mehr, was er sagte, denn sie sah bereits ihre eigene
Beerdigung, die sich wie ein Film in ihrem Kopf abspielte. Blumen, Musik,
verheulte Gesichter.
»Und
– diese kleine Bohne ist Ihr Baby.«
Filmriss. Plötzlich
drangen die Worte Baby und Bohne an Katarinas Ohr.
»Wie
bitte?«, fragte sie verdattert, denn sie traute dem nicht, was sie soeben
gehört hatte. »Ich habe eine Bohne im Bauch und die soll mein Baby sein?« Was
bedeutet das nun wieder? Ich verstehe gar nichts mehr.
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