Samstag, 4. Februar 2023

[Schnipseltime] Schatz im Anflug von Kat v. Letters

 

Schatz im Anflug

XXL -Textschnipsel

 

Sie hoffte, wenn das alles war, was ihrer Schwangerschaft im Wege stand, ließe sich das bestimmt irgendwie hinbekommen. Selbst wenn es bedeutete, dass Felix und sie weiterhin täglich daran arbeiten müssten. Andererseits taten sie doch schon genau das, und das Ergebnis war gleich null. Und ja, sie stand unter Druck, so wie es Dr. Fleischer eben beschrieben hatte. Sollten sie und Felix die Sache mit dem Sex besser weglassen? Dann ließ der Druck ganz bestimmt nach. Wiederum kein Sex gleich kein Baby, oder hatte sie da was verpasst? Was sollte sie nur tun?

Katarina schwelgte tief in Gedanken.

»Hem-hem.« Dr. Fleischer räusperte sich. Nun hatte er wieder ihre volle Aufmerksamkeit und sprach weiter. Er war mit seiner Schilderung noch nicht am Ende.

»Natürlich ist das nicht immer der Grund«, setzte er fort. »Manchmal gibt es leider auch organische Ursachen. Und um die auszuschließen, werden wir alles Stück für Stück untersuchen, was dem Baby den Weg versperren könnte. Aber wir wollen schließlich nicht gleich den Teufel an die Wand malen.« Wieder tätschelte er kurz Katarinas Hand. Dann rückte er seine Brille zurecht. »So, und nun legen Sie sich bitte nebenan auf den Stuhl. Ich fange jetzt erst einmal mit der Routineuntersuchung an. Nicht, dass Sie mir noch vor Anspannung platzen.«

Die letzten Worte, die ihr der Doktor soeben dargelegt hatte, verunsicherten sie erneut und zerstreuten ihre Bedenken nicht ansatzweise. So wie sie das sah, standen ihre Chancen fifty-fifty. Einerseits bestand die Möglichkeit, dass ihr Körper nicht funktionsfähig war. Bei den anderen fünfzig Prozent, die sie nur für geringfügig weniger schlecht hielt, spielte ihr Kopf verrückt und machte Stress. Er brachte ihren kompletten Zyklus durcheinander. Und das Ende vom Lied, sie wurde nicht schwanger, weil sie unbedingt schwanger werden wollte. Das ergab doch überhaupt keinen Sinn, oder? Für sie jedenfalls nicht, obwohl sie darüber schon gelesen hatte. Das wäre zwar nicht ganz so aussichtslos, als wenn sie ein organisches Problem hätte, aber auch nicht wesentlich besser.

Unsicher stand sie auf. Sie spürte, dass sich ihre Knochen in Pudding verwandelt hatten. Mit Mühe gelangte sie ins Nebenzimmer und war froh, dass ihre Knie auf dem Weg dahin nicht versagt hatten. Zittrig kletterte sie vor sich auf den mintfarbenen Untersuchungsstuhl und lehnte sich zurück.

Sie war bereit. Bereit der Wahrheit ins Auge zu blicken. Das redete sie sich fest ein, allerdings stimmte es ganz und gar nicht. Sie war absolut nicht bereit, weder heute noch morgen oder sonst irgendwann. Doch es gab jetzt kein Zurück mehr. Denn schon kam der Doktor herein und streifte seine Handschuhe über.

»Zunächst einmal werde ich Sie untersuchen. Alles Weitere besprechen wir danach.«

Er begann sie abzutasten und führte seine routinemäßige Kontrolle durch. Anschließend griff er nach einer Tube.

»Vorsicht«, sagte er, »es wird jetzt kalt.«

Er drückte eine gallertartige Substanz auf ihren Bauch. Vor Schreck entfuhr Katarina ein erstickter Laut.

»Ich habe Sie gewarnt.« Er grinste. Doch gleich darauf wurde er wieder ernst. »Ich werde nun einen Ultraschall machen, um zu sehen, ob es irgendwelche Auffälligkeiten an der Gebärmutter oder den Eierstöcken gibt. Zugleich sehe ich auch, ob die Eileiter gut durchlässig sind.«

Er nahm ein Gerät in die Hand, das Katarina an einen großen Pilz erinnerte. Damit rutschte er über ihren Bauch und durchleuchtete sie von außen. Sie beobachtete ihn dabei, doch er verzog keine Miene. Sein Gesicht gab nicht die kleinste Information preis. Er schaute nur immer wieder auf den Monitor, der vor ihm stand, und erklärte, was die einzelnen grauen Flecke darauf zu bedeuten hatten.

Plötzlich hielt der Doktor inne. Er starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den Bildschirm und runzelte die Stirn.

Wieso sagt er denn nichts? Sein Gesichtsausdruck, Katarina erschrak darüber. O Gott, Scheiße, das war’s, dachte sie. Nun wird es doch keine Bilderbuchfamilie für mich geben. Mach’s gut, mein kleines Baby.

Sie hatte es ja gewusst, die ganze Zeit über war da schon dieses Gefühl, und das hatte meistens recht. Sie schluckte schwer und schloss die Augen, um ihre aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Als sie wieder aufblickte, verzog der Doktor seine Mundwinkel bis an die Ohren.

»Jetzt entspannen Sie sich endlich mal«, sagte er. Dabei lachte er kurz auf und drehte den Bildschirm zu ihr. »Schauen Sie her, erkennen Sie das?«

Katarina stand kurz vor einem Zusammenbruch und nun sollte sie auch noch Rätsel raten. Er war doch der Doktor. Das sagte sie natürlich nicht laut. Stattdessen betrachtete sie konzentriert das Durcheinander auf dem Monitor, eine graue Masse mit ein paar Flecken.

Soll mir das irgendetwas sagen, fragte sie sich. Das Ende meines Wunschtraumes? Doch warum grinst der Doktor dann so? Verständnislos sah sie ihn an und schüttelte den Kopf.

»Nun gut.«

Er sah, dass Katarina völlig im Dunklen tappte und wurde ernst. Ihr Gesichtsausdruck war wieder mal wie ein offenes Buch.

»Ich werde es Ihnen erklären. Also, was Sie haben, ist ziemlich schwerwiegend.«

Katarina schluckte hart. Ihr Hals fühlte sich plötzlich eng und trocken an. Gleich würde ihr der Doktor die ernüchternden Tatsachen erläutern. Doch davon wollte sie nichts hören. Am liebsten würde sie jetzt die Hände auf ihre Ohren pressen oder besser noch, einfach davonlaufen. Doch sie war keine drei Jahre mehr, sondern fünfunddreißig und für solche Eskapaden einfach zu alt. Also blieb sie gehorsam, wo sie war, und betete still darum, dass er ihre schlimmsten Befürchtungen bitte nicht wahr werden ließe.

Sie bebte innerlich.

Tief durchatmen, Katarina, sonst klappst du zusammen, noch bevor du dein Urteil hörst.

Danach blickte sie dem Doktor ängstlich in die Augen. Sie suchte darin nach irgendeinem Anzeichen. Da war jedoch keine einzige Regung, rein gar nichts. Nun machte sie sich auf das Schlimmste gefasst und presste fest die Lippen aufeinander.

Gut, dann mal los.

Sie war bereit, sich anzuhören, was er weiter zu sagen hatte.

»Für die eine Patientin ist es etwas Gutes und für die andere wiederum eine Katastrophe.«

Ich hasse Katz-und-Maus-Spiele.

Um seine Mundwinkel zuckte schon wieder so ein eigenartiges Grinsen, nur ganz kurz. Katarina musste sich geirrt haben. Sein Gesicht wirkte jetzt streng und erinnerte sie an ihren alten Mathelehrer Herrn Lösche. Seine Augen dagegen wirkten beinah belustigt.

Was soll das? Worauf läuft das hier hinaus?

Sie hatte irgendwie ein komisches Gefühl, ihr war ganz elend.

Spannt der mich bewusst auf die Folter, fragte sie sich.

»Sehen Sie diese winzig kleine Bohne hier?«

Dabei zeigte der Doktor mit dem Finger auf eine dunkle Stelle in der grauen Masse.

Ein Tumor, dachte sie sofort, und ihr wurde noch elender, falls eine Steigerung überhaupt möglich war.

»Sie ist jetzt etwa drei Millimeter groß«, setzte er fort.

Katarina hörte inzwischen nicht mehr, was er sagte, denn sie sah bereits ihre eigene Beerdigung, die sich wie ein Film in ihrem Kopf abspielte. Blumen, Musik, verheulte Gesichter.

»Und – diese kleine Bohne ist Ihr Baby.«

Filmriss. Plötzlich drangen die Worte Baby und Bohne an Katarinas Ohr.

»Wie bitte?«, fragte sie verdattert, denn sie traute dem nicht, was sie soeben gehört hatte. »Ich habe eine Bohne im Bauch und die soll mein Baby sein?« Was bedeutet das nun wieder? Ich verstehe gar nichts mehr.


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