Obwohl Doro konzentriert ihren gefüllten Teller studierte, konnte sie spüren, wie Felix sie beobachtete. Interessierte er sich etwa auf einmal für sie? Felix doch nicht. Sie hörte ihre Mutter mit Hanne diskutieren. Klar, altersmäßig war sie bestimmt seine erste Wahl an diesem Tisch. Aber das war auch schon alles. Sie blickte auf und sah Hanne neben Felix. Die Vorstellung der beiden als Pärchen brachte sie zum Grinsen. Dann fing sie seinen Blick auf und wurde sofort wieder ernst. Er hatte die Ellenbogen auf den Tisch gestützt und die Hände auf Kinnhöhe gefaltet.
»Sag mal, kennen wir uns von irgendwoher?«, fragte er.
Doro hielt den Atem an. Jetzt war es also so weit. Er erinnerte sich. Und sie hatte doch so sehr gehofft, dass dieser Kelch an ihr vorüberziehen würde.
»Ein blöderer Spruch fällt Ihnen wohl nicht ein?« Sie spießte mit Wucht ein unschuldiges Salatblatt auf. »Wir sind zusammen in einem Kurs, und Sie haben das Zimmer neben uns. Schon vergessen?«
Felix runzelte die Stirn. Doro war selbst von sich überrascht.
»Das ist mir schon klar. Ich meinte die Frage ernst«, erwiderte er. Seine Stimme klang ruhig und samtig.
Und da war es wieder, dieses elektrisierende Gefühl. Wie konnte es nur möglich sein, dass er diesen Effekt immer noch auf sie ausübte? Doro hielt ihre Gabel fester als nötig. Dann wurde ihr die Bedeutung seiner Worte klar. Er war sich nicht sicher! Sie stopfte sich die volle Salatgabel in den Mund, um Zeit zu gewinnen.
»Was soll denn dieses ›Sie‹, Dottylein? Wir kennen uns doch nun schon lange genug, um solche Förmlichkeiten abzulegen«, mischte Gundula sich ein. »Siehst du, Hanne, genau was ich gesagt habe. Einfach zu verklemmt, die Gute.«
Doro biss auf das harte Metall der Gabel angesichts des ›Dottyleins‹ und der blamablen Äußerung ihrer Mutter. Und überhaupt. Was war denn mit der plötzlich los? Hatte etwa der Aperol Gundulas Einstellung zu Hanne verändert? Auf einmal verstanden sich die beiden richtig gut. Felix grinste, dann räusperte er sich.
»Ich schau mal zum Buffet«, sagte er und erhob sich.
Langsam zog Doro die Gabel aus dem vollen Mund. Ihr Zahn schmerzte. Na bravo!
»Deine Mutter meinte soeben, dass du bisher nicht gerade Glück mit Männern hattest«, erklärte Hanne.
»Stimmt doch. Alles, was du mir so vorgestellt hast, war … na ja, sagen wir verbesserungswürdig. Und von Matthias will ich gar nicht anfangen.« Gundula verdrehte die Augen.
Was für ein Glück, dass Felix nicht mehr zugegen ist, dachte Doro und kaute auf ihrem Salat.
»Ich hab gesagt, dass wir Mütter unseren Kindern durchaus mehr vertrauen sollten. Schließlich soll es nicht unser Partner fürs Leben werden, oder? Meine Tochter jedenfalls ist glücklich mit ihrem Martin. Ich persönlich könnte nicht mit ihm leben.« Hanne griff nach ihrer Holunderschorle und lächelte Gundula an. »Vielleicht liegt es auch daran, wie du die Freunde deiner Tochter behandelst? Hast du schon mal daran gedacht?«
Gundulas Mund wurde schmal. »Also! Was weißt du denn über mich oder …«
»Deine Verhörtechniken?«, vollendete Doro den Satz.
Hannes Zeigefinger schnellte nach vorn. »Siehst du. Da haben wir es schon.«
Gundulas Kopf wanderte langsam in Doros Richtung. Ihr Blick war beißend.
»Du weißt nicht, wie du bist oder sein kannst. Stimmt’s?«, bohrte Doro weiter. Sie genoss den kleinen Schlagabtausch, zumal Hannes Unterstützung sicher schien. »Wenn du meine Freunde verhörst, müssen die sich schon überaus gut verkaufen. Es ist vollkommen unmöglich, dass einer deinen verrückten Fragen standhält. Das hat noch keiner wirklich geschafft. Auch nicht Matthias.«
»Man wird doch wohl erwarten können, dass deine Männer ein vernünftiges Einkommen und Karriereaussichten haben.« Gundula schüttelte missbilligend den Kopf.
»Was heißt denn ›meine Männer‹? Das hört sich an, als hätte ich jede Woche einen anderen. Und über Matthias rede ich nicht!«
»Wer ist Matthias?« Felix nahm soeben wieder seinen Platz ein. Vor sich am Tisch befand sich nun eine dampfende Haxe mit Sauerkraut und Klößen. Doro hatte ihn über das Gespräch hinweg vollkommen vergessen. Leider schien er den letzten Fetzen der Unterhaltung aufgeschnappt zu haben. Super! Genau das, was sie brauchte. Nun lächelte er sie erwartungsvoll an. Die essigreiche Salatsoße brannte auf einmal in ihrer Kehle.
»Mein Ex-Verlobter.«
»Nicht schade drum. Wenn du mich fragst«, stellte ihre Mutter sofort klar. »Der hatte überhaupt keinen Pep.«
Doro sackte in ihrem Stuhl zusammen. Konnte dieser Abend noch unerträglicher werden? Sie hielt nach dem Kellner Ausschau. Was sie jetzt brauchte, war ein großes Glas Rotwein!
»Du hättest fast geheiratet? Was ist passiert?«, hakte Felix interessiert nach.
Wo war nur der Kellner? Über Matthias wollte sie grundsätzlich nicht sprechen. Und schon gar nicht mit Felix. Kuchen. Sie brauchte dringend etwas Süßes. Doro blickte auf ihren Teller. Sie hatte noch nicht mal den Hauptgang zu sich genommen. Glücklicherweise enthielt sich ihre Mutter ausnahmsweise eines Kommentars und begnügte sich mit einer wegwerfenden Handbewegung.
Plötzlich spürte Doro Felix’ Fuß an ihrem Bein. Der Raum schien auf einmal zu schrumpfen. Ein Kribbeln breitete sich an der Stelle aus, an der er sie berührte. Unfähig, sich zu bewegen, starrte sie auf ihren Teller.
»So schlimm?«, fragte Hanne nun auch noch mitfühlend.
Doro schluckte. »Wie bitte?«
In Felix’ Augen lag Belustigung.
»Ich meine das mit der geplatzten Hochzeit. Noch zu schmerzhaft, um darüber zu reden?«
Doro zuckte mit den Schultern und verwinkelte ihre Beine in sicherem Abstand unter ihrem Stuhl. Oberflächlich wirkte alles normal und locker. Doch in Doro war jeder Muskel angespannt. War das gerade Absicht gewesen? Oder hatte Felix lediglich eine entspannte Haltung eingenommen und sie dabei zufällig berührt? Doch warum hatte er dann seinen Fuß nicht wieder zurückgezogen?
»Möchtest du nicht noch mehr?«, fragte Gundula, und Doro zuckte zusammen. Felix’ Mund verzog sich zu einem angedeuteten Lächeln. Sie starrte ihre Mutter an.
»Essen«, stellte Gundula klar, als ob sie mit einer Minderbemittelten spräche. »Ich hol mir jetzt was.«
»Keine schlechte Idee. Dein Aperitif steigt dir schon zu Kopf.« Hanne grinste Gundula an, als wären sie alte Freundinnen. Die schnaufte nur und rückte ihren Stuhl heftiger als nötig nach hinten.
Doro entschloss sich mitzukommen, bevor ihre Mutter sie noch beim Versuch, sich an ihr vorbeizuschieben, einquetschte. Sicherlich war es auch ganz gut, zumindest für einige Minuten aus Felix’ Nähe zu flüchten. So lange, bis sie sich und ihre Gefühle wieder unter Kontrolle hatte. Und wenn sie Glück hatte, könnte sie sogar ein Stück Erdbeerkuchen auftreiben.
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