Melvin staunte nicht schlecht über den unerwarteten Gast, der am Abend vor
seiner Tür auftauchte. Komplett ahnungslos sah er Jessica an, als sie gefolgt
von einem schlaksigen Jugendlichen ins Wohnzimmer kam.
Dieser schlenderte auf Melvin zu und musterte ihn. »Du bist der Rockstar?«
Ein Blick zu Jessica, die ihm zunickte. »Na dann. Hallo, Daddy.« Der Teenager
plumpste unaufgefordert in einen Sessel und schaute Melvin an, als erwarte er
Jubelrufe ob seines Erscheinens.
Melvins Brauen wanderten in Richtung Haaransatz und Verwirrung nahm Besitz
von ihm. Er musterte den Eindringling, der im Sessel fläzte. Sah dann
erwartungsvoll zu seiner Frau, die hoffentlich gleich mal erklärte, was das
hier bedeutete.
»Alle so sprachlos.« Jason.
»Jessica, wer ist das?« Melvin stand total neben sich.
»Er sagt, er sei dein Sohn.«
»Ist das hier versteckte Kamera oder so’n Scheiß?«
»Ey, Alter, jetzt tu nich so, als würdest du mich nich kennen.«
»Ich habe dich noch nie im Leben gesehen.« Melvin massierte sich mit den
Fingern die Schläfen, weil sein Kopf plötzlich schmerzte. Er überschaute das
Wohnzimmer auf der Suche nach Kameras.
»Meine Alte hatte so ’nen Wisch, da stand, dass du ihr Geld gegeben hast
für mich.«
»Kathy Hodges.« Das muss der Sohn dieser Hure sein und jetzt glaubt er,
er könne …
»Das ist meine Alte.«
»Was willst du von mir?« Irgendeinen Grund muss es für sein Auftauchen
nach all den Jahren geben. Wie lange ist das eigentlich her?
»Ich hab nie was von dem Zaster gesehen. Wird langsam Zeit, dass du dich um
mich kümmerst.«
»Echt jetzt? Wie heißt du eigentlich?«
»Jason.«
»Wie alt bist du?« Jessica.
»Vierzehn.«
Sie schaute Melvin an. Er zuckte mit den Schultern. Ok, altersmäßig
würde das wohl passen.
»Wo ist deine Mutter?«
»Meine Alte? Ist mit ’nem Macker auf und davon.«
Sie hörten Schritte auf der Treppe und blickten wie auf Kommando in
Richtung Flur. Gleich darauf tauchte Mel in der offenen Tür auf. Er trug Shorts
und ein T-Shirt, sein Haar war wirr, so als habe er bereits geschlafen.
»Ich hole mir nur eine Flasche Wasser aus der Küche«, brummelte Mel und
gähnte herzhaft. Er stockte, als sein Blick auf dem Jungen landete, der im
Sessel lümmelte. Auf einmal schaute er munterer drein und offensichtliche
Neugier trieb ihn ins Wohnzimmer. »Wer ist er?«
Jessica und Jason sahen gleichzeitig zu Melvin und Mels Augen richteten
sich in der nächsten Sekunde ebenfalls auf seinen Vater.
»Sieht so aus, als sei er dein Bruder«, sagte Melvin voller Sarkasmus und
fing sich einen strafenden Blick seiner Frau ein.
»Echt?« Mel trat näher. »Schön dich kennenzulernen.« Er streckte Jason die
Hand entgegen.
Zögernd griff der zu, gab sie aber gleich wieder frei. »Hi, Bruder.«
Mel schien nicht länger zu interessieren, weshalb er ursprünglich nach
unten kam, und ließ sich ebenfalls in einen Sessel fallen. »Da passiert mal was
Spannendes und ich hätte es fast verschlafen.«
»Wäre besser gewesen«, knurrte Melvin.
»Du bist ganz allein.« Jessica sah Jason prüfend an.
»Ist keine große Sache.«
»Vin, wir sollten ihm im Souterrain das Zimmer herrichten.«
»Echt jetzt?«
»Das wäre schon ’ne geile Idee«, sagte Jason.
»Mel, du gehst schlafen.«
»Nicht dein Ernst, Mom …«
»Ist es. Du wirst genug Gelegenheit haben, Jason kennenzulernen.«
Mel erhob sich in Zeitlupentempo und schlenderte gemächlich in Richtung
Küche, um dann mit einer Wasserflasche im Arm die Treppe nach oben zu steigen.
»Ich hole Bettzeug.« Jessica verließ ebenfalls das Wohnzimmer.
Melvin fühlte sich alles andere als wohl in Gegenwart des Jungen. »Du hast
aber nicht vor, dich bei uns einzunisten?« Er wäre den ungewollten Sohn
gerne sofort wieder losgeworden, wusste, dass Jessica nicht zulassen würde,
dass er ihn einfach vor die Tür setzte.