Freitag, 14. Juni 2024

[Schnipseltime] Die Melodie des Moores von Simone Pohlmann

 

Mit Sanftmut besteht man nicht gegen die Hänseleien und Demütigungen anderer. Wie sollen mich andere lieben oder akzeptieren, wenn ich es selbst nicht kann?

Menschen erlangen durch unterschiedliche Gründe Akzeptanz. Manchmal ist es Stärke oder Schönheit, Sportlichkeit oder Intelligenz, Schnelligkeit oder einfach nur Selbstbewusstsein. Wichtig ist, entweder positiv aufzufallen oder sich möglichst unsichtbar zu machen.

Mir gelingt weder das eine noch das andere.

Durch das tiefrote Feuermal, das meine linke Gesichtshälfte vollständig verdeckt und die wilden, widerspenstigen und leuchtend roten Haare, bin ich auf eine nicht besonders positive Art und Weise auffällig. Erwachsene und Kinder starren mich gleichermaßen an. Sie reden und lachen hinter meinem Rücken schamlos über mich. Meine Mitschüler beschimpfen oder bedrohen mich sogar. Ich fürchte mich vor dem Tag beim Aufstehen und ich fürchte mich vor dem nächsten Tag schon am späten Abend. Ich vermeide es, mich in der Öffentlichkeit zu zeigen, oder versuche möglichst unsichtbar zu sein. Mir ist das lieber so. Ich mache mich klitzeklein, lasse meine Haare über das Gesicht fallen und verstecke meinen Körper durch übergroße Kleidung. Und als würde mein auffälliges Äußeres nicht schon ausreichen, kommen noch die vielen Geschichten und Legenden hinzu, die sich um meine Geburt und das Verschwinden meiner Mutter ranken. Sie verbreiten sich rasend schnell und ich höre ihnen aufmerksam zu, in der Hoffnung, etwas Wahrheit darin zu entdecken und dadurch den Verbleib meiner Mutter aufklären zu können. Manchmal wünsche ich mir, dass sie mich zu sich holt und ich auch nicht mehr in einer Welt ohne die Frau leben müsste, die mein Ein und Alles hätte sein sollen …

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