Montag, 20. März 2023

[Schnipseltime] Vielleicht für immer mit dir von Barbara Dell

 

Am darauffolgenden Abend wischte ich auf Knien den Boden, wo einem Gast, kurz bevor das Café schloss, sein fast volles Glas Zitronenlimonade umgekippt war, und weinte leise um meine Herzensfreundin. »Kann ich vielleicht helfen?«, fragte eine tiefe Stimme hinter mir. Erschrocken fuhr ich zusammen. Ich hatte nicht bemerkt, dass jemand das Café betreten hatte. Die Stimme kam mir irgendwie bekannt vor. Langsam drehte ich mich um und erblickte ein Paar Jeanshosen. Mein Blick glitt nach oben und noch, bevor ich beim Gesicht angekommen war, wusste ich, zu wem beides gehörte. Ich schloss die Augen. Auch das noch. Der einzige Mensch auf der ganzen Welt, dem ich in diesem Moment am wenigsten begegnen wollte, stand genau vor mir. Schnell wischte ich mit dem Arm die Tränen aus meinem Gesicht und hoffte, dass er mein Schluchzen nicht gehört hatte. Ich hatte nicht die geringste Lust, mir deswegen einen blöden Spruch anzuhören. Langsam hob ich meinen Blick vollständig und endete in einem Paar grauer Augen. »Was machst du denn um diese Zeit hier?«, fragte ich Jo mit belegter Stimme. »Ich hatte heute in der Praxis viele Patienten, die mich um den Feierabend gebracht haben. Als ich hier vorbei kam, habe ich dich durch die Fenster gesehen und die Tür stand halb offen und da dachte ich …« Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter zur Eingangstür und wirkte auf einmal unsicher. »Möchtest du noch ein kühles Bier?«, fragte ich und wusste nicht, wer von uns beiden überraschter über mein Angebot war. »Ja, gerne.« Ein leichtes Lächeln überzog Jos Gesicht. Ich warf den klebrigen Lappen in den Eimer, ging voran und holte uns ein Bier. Jo folgte mir zuerst in die Küche, dann in den Hinterhof. Wir setzten uns auf die alten Stühle in den langsam kühler werdenden Abend. »War wieder ganz schön heiß heute, was?« Unsicher, worüber ich mich mit ihm unterhalten sollte, blickte ich zu Jo. Wetter war immer ein unverfängliches Thema. »Mmhm. Warum hast du geweint?«, fragte er unvermittelt. »Du fragst mich allen Ernstes, warum ich geweint habe?«, entgeistert starrte ich ihn an. Wie schaffte er es immer, mich direkt von null auf hundert zu bringen?


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Mit dem Abschicken des Kommentars bin ich mit den Datenschutzrichtlinien des Blogs einverstanden.