Auszug aus „Dominium Terrae“
Im Inneren der Wolke © Shada Astart
Fünfzig Jahre hatte Sie
gewartet. Fünfzig Jahre! Nun endlich war es so weit. In wenigen Minuten würde Sie ausbrechen und sich mithilfe des vor
fünfzig Jahren verschollenen Piloten Alexander Popow und dessen Warbird über Deutschland ausbreiten. Den
perfekten Ort für den Durchbruch hatte Sie
vor einigen Tagen gefunden. Die Bauarbeiten am Flughafen Frankfurt hatten mehr
angerichtet, als den Menschen dort bewusst war. Der Zwischenfall, wie er
genannt wurde, hatte Ihr Tür und Tor
geöffnet, Ihr die Möglichkeit einer
rasanten Ausbreitung offenbart. Ganz anders als ursprünglich geplant, aber Sie war schließlich nicht irgendetwas. Sie war auch nicht das ›Grüne Grauen‹, obwohl Ihr die Bezeichnung gefiel und Sie es für die Menschen wohl auch sein
würde – zumindest für viele. Lange genug hatte Sie zugesehen, viel zu lange, und immer wieder gehofft.
Als die Menschen das sogenannte Fracking entdeckten, ahnte Sie, dass Sie Ihre
Hoffnung begraben könnte. So wuchs der Entschluss, dem Treiben der Spezies
Mensch ein Ende zu bereiten. Genug!
Da seit vielen Jahren schon immer wieder und über den ganzen Erdball verteilt
Fracking betrieben wurde, beschloss Sie
diese Verwundungen der Erde zu nutzen und auszubrechen. Erst zu Testzwecken,
ohne für die Menschen erkennbaren Schaden anzurichten. Doch kam Sie jedes Mal mit weiteren Erfahrungen
zurück, die halfen, Ihren Plan in die
Tat umzusetzen. Der große Coup war Ihr
im Sommer 1973 gelungen, als Sie sich
in der Wüste Karakum den Warbird
geschnappt hatte. Dass Sie sich im
nahezu selben Moment die getarnte Tu-144 einverleibte, war zwar nicht geplant
gewesen, für Sie am Ende jedoch ein
wahrer Glücksfall, denn nun wurde nicht nur der Pilot des Warbird zu Ihrem Gehilfen,
sondern auch die Crew der Tupolew. Dieser spezielle Flieger würde Sie nicht nur mit Überschallgeschwindigkeit
über den Erdball tragen, sondern auch in gewaltiger Höhe, sodass die Crew nicht
auf anderen Flugverkehr achten müsste. Und das Beste: Den Flieger würde niemand
auf dem Radar haben. Das ›Grüne Grauen‹
würde die Menschen aus dem Nichts kommend überfallen. Die Startbahn für die
CCCP-DX hatte Sie gefunden. Der
Flughafen in Frankfurt war für Ihr
Vorhaben ideal, da die Tu-144 auf nur wenigen Airports landen konnte. Alexander
Popow würde die Wolke mit dem Warbird
als Erstes verlassen, sofort nach oben abdrehen und eine Schleife fliegen. Die
landende Tupolew sollte in diesem Moment ein Ablenkungsmanöver darstellen. Kein
Mensch würde auf einen kleinen Warbird
achten, wenn sich in seinem Schlepptau aus einer gelbgrünen blitzenden Wolke
eine Tu-144 schälte und auf dem Flughafen landete. Sobald der Warbird die Stadt
überquert hätte, würde die Tu-144 nach Westen starten und Sie rasend schnell um die Nordhalbkugel tragen. Popow würde in der
Zwischenzeit seiner geplanten Route nach Norden folgen und in Spitzbergen
wenden, um Sie danach Richtung Süden
zu bringen. Da Popows Warbird durch Ihren
Einfluss viel schneller als ein baugleiches Modell war und wie die CCCP-DX
keinen Sprit benötigte, um zu fliegen, würde das Spiel über Westafrika von
Neuem beginnen. Die Tupolew sollte die Erde so umrunden, dass sich ihr Weg im
nigerianischen Luftraum kreuzte. Und keine drei Tage später wäre alles vorbei.
»Gib der Menschheit zumindest eine Chance«, hatte Popow Sie angefleht.
Und ja, als Gegenleistung für seine zerstörerische Hilfe hatte Sie ihm diesen Wunsch gewährt. Drei
Chancen würde Sie den Menschen geben,
es besser zu machen. Wie genau diese aussehen würden, hatte Sie jedoch noch nicht entschieden.
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