Freitag, 27. Mai 2022

[Schnipseltime] Hekate - Göttin des Abgrunds von Cendriya S.

 


Die Göttin ließ ihre Beute zu Boden gleiten und fesselte sie mit routinierten Bewegungen. Mürrisch wischte sie sich das Blut aus dem Gesicht. Sie hatte sich auf die Unterlippe gebissen, als der Kerl seinen Kopf in ihr Gesicht gerammt hatte. Wenn sie Pech hatte, würde dem Gerangel ein ordentliches Veilchen folgen.

Sie packte ihn am Kragen und drehte ihn zu sich herum. Ein richtiges Sahneschnittchen!, dachte sie. Zumindest wenn man davon absah, dass seine Lippen blau verfärbt waren, die Lider seiner Augen unkontrolliert flatterten und sein ockerfarbener Teint aschfahl wirkte.

Mit flinken Fingern tastete sie seine Taschen ab. Nahm Handy, Pager, Autoschlüssel, sowie Portemonnaie heraus. Sie zog missbilligend die Stirn kraus, als sie Letzteres aufklappte und des Inhalts gewahr wurde. Ein Polizeidienstausweis prangte ihr regelrecht entgegen. Dieser Fakt erklärte ihrer Meinung nach zur Genüge, was der Kerl hier zu suchen hatte.

»Tz, tz, tz«, gab sie tadelnd von sich. Er war also ein kleiner Jäger. Wie ausgesprochen bedauerlich für ihn, dass er dabei den Pfad von jemandem gekreuzt hatte, der in der Nahrungskette eindeutig über ihm stand. Ihre Beute hob röchelnd den Kopf und spie etwas Blut aus.

»Sch-schteschanie?«, nuschelte er in einem jammernden Tonfall und versuchte abermals sich aufzurichten. Als das nicht gelang, rollte er sich auf den Bauch und machte Anstalten, sich davon zu robben. Sie packte ihn im Nacken, drehte ihn erneut zu sich herum, um seinen Oberkörper mit ihren Schenkeln zu fixieren. Seine honigfarbenen Augen blickten ungläubig zu ihr auf. Er wirkte nicht wie die Männer, die sie für gewöhnlich jagte, sondern wie das genaue Gegenteil.

Dieser Umstand ließ die Göttin zögern. Ihre Fingerspitzen fuhren über seinen Oberkörper, verharrten kurz über einem goldenen Anhänger in Schwertform, den er über dem Herzen trug. Sie roch seine Angst, fühlte seinen Herzschlag, schmeckte das Salz seines Schweißes auf ihrer Zunge. Sie wusste, dass sie sein Leben in ihren Händen hielt und darüber verfügen konnte.

»Du bist vom rechten Weg abgekommen«, wisperte sie ihm zu. Doch es kam ihr wie eine Lüge vor.

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