Sonntag, 27. Juli 2025

[Schnipseltime] Mitrys-Trilogie von Pawel Kopijer

 

 

Schnipsel 1 (Band 1)

Die Halle der Offenbarungen war in Wirklichkeit eine geräumige Höhle von regelmäßiger, ovaler Form. Von der hohen Decke tropfte ständig Wasser herab, welches sich in der Raummitte zu einem kleinen See sammelte.

(…)

Sie entkleidete sich und tauchte langsam bis zur Hüfte in den kleinen See ein. Mit wachsender Aufregung verteilte sie die farbigen Kugeln um sich herum und schloss die Augen. Gemäß dem Ritual der Initiation sollte das Wasser seine Farbe ändern, je nachdem, welche magische Essenz in den Kugeln am ehesten der Natur und dem Schicksal des Schamanen entsprach. Danach brachte jeder Kandidat dem Ältesten eine symbolische Karaffe mit dem gefärbten Wasser, um seine zukünftige Disziplin zu deklarieren, in welcher er sich weiterentwickeln und dem Volk dienen wollte.

(…)

»Wovor habe ich eigentlich Angst? Ich weiß doch, dass ich jede Art von Magie akzeptieren werde.« Sie versuchte, die Sache rational zu betrachten, doch ihre Augen blieben geschlossen. »Im schlimmsten Fall droht mir Kampfmagie, aber das ist ja keine Tragödie.«

Schließlich ließ sie den einen Gedanken zu, der die Quelle ihrer Unruhe sein könnte. »Es gibt noch eine weitere Möglichkeit. Die schwarze Farbe würde für mich bedeuten... nun, was würde sie bedeuten?« Sie erinnerte sich an alles, was sie von ihren Mentoren gehört hatte. Dunkle Magie wählte die Darzaner äußerst selten, aber wenn es geschah, lehnte das Volk auch diese Gabe nicht ab.

(…)

Als sie ihre Hand auf die Tür den Räumen des Ältesten legte, bemerkte sie, dass ihre Wangen von Tränen benetzt waren. Und sie hatte gehofft, sich vor sieben Jahren für immer von ihnen verabschiedet zu haben...

 

Schnipsel 2: (Band 1)

Ein weiblicher Schmerzensschrei riss Noran aus seinen Gedanken. Seine fein justierten Sinne nahmen die Geräusche eines Kampfes wahr und den Hauch eines ihm bekannten Parfüms. Diesen Duft kannte er von seinen Besuchen in der Enklave der Weißen Schwestern – dem bestgeschützten Viertel der ganzen Stadt, das vermutlich auf dem gesamten Kontinent bekannt war.

Die Schwestern, wie man die solidarische Gemeinschaft von Frauen leichter Sitten scherzhaft nannte, standen unter der Führung der Weißen Rose und konnten auf ihrem Gebiet auf eine Art Immunität in beinah allen sozialen Kreisen zählen. In der Luft witterte Noran zudem eine Gefahr, die ihn unmittelbar betraf – den zarten Geruch von menschlichem Blut.

Mit schnellen Schritten durchquerte er eine momentan verlassene Gasse, um zur nächsten Pforte zu gelangen. Dort positionierte er sich so, dass er ungehindert in die Tiefe einer Sackgasse auf der gegenüberliegenden Straßenseite blicken konnte. Drei Männer zeigten deutliche Anzeichen von Feindseligkeit gegenüber einer schlanken, jungen Frau. In ihrem dichten, dunkelbraunen Haar steckte eine weiße Rose.

»Sie konnte kein größeres Pech haben«, dachte er. 

 

Schnipsel 3 (Band 1):

»Also du weißt, wie diese Rune aussieht?«

»Warum möchtest du mir beim Zaubern zuschauen?« Der Druide wich mit einer Gegenfrage aus. Er wusste, um welche Rune es dem jungen Mann ging, zog es jedoch vor, solche Themen zu meiden.

Die goldenen Augen im nächtlichen Dämmerlicht schienen genauso dunkel wie alles andere.

»Ich kann dir darauf nicht eindeutig antworten. Vielleicht ist es nur Neugier und der Wunsch zu lernen, oder vielleicht eine unerklärliche Anziehung zur Magie.«

 

Schnipsel 4 (Band 1):

Elias sagte oft, dass die Bodenlose Tiefe von uralter Magie durchdrungen sei, die von der Natur Orins selbst geboren wurde. Über diese Art von Magie wusste Funke sehr wenig. Selbst der Älteste wurde seltsam schweigsam, wenn dieses Thema angesprochen wurde, und wies den Gesprächspartner meist mit allgemeinen Aussagen oder sogar mit Schweigen ab. Und doch hatte er persönlich diese Art von Prüfung für sie ausgewählt. Instinktiv verschob sie das Fläschchen mit der frisch zubereiteten Mixtur des Katzengeschicks, das ihr in die Rippen drückte.

(...)

Das Mädchen brauchte eine Weile, um sich so weit zu erholen, um die Umgebung wahrnehmen und einschätzen zu können. Tief im Tunnel bemerkte sie ein leicht schimmerndes, silbriges Licht, ähnlich dem, das manchmal bei Vollmond an einem wolkenlosen Nachthimmel entsteht. 

Sie ging langsam, streichelte mit ihrer Hand die angenehme Oberfläche der Pflanze, immer mehr von der Glückseligkeit der Stimmung und der Idylle des Ortes eingenommen. Dann sah sie im Augenwinkel weiter unten an den Wänden einige bekannt aussehende Formen.

Sie schaute genauer hin und erkannte, dass es menschliche Skelette waren, die in verschiedenen Positionen an der pulsierenden silbernen Unterlage hafteten. »Glückspilze!«, dachte sie, neidisch darauf, dass sie schon so lange diese wunderbare Stelle genießen durften, während sie gerade erst hier angekommen war.

 

Schnipsel 5 (Band 2):

»Versteh mich nicht falsch. Ich bin natürlich dankbar für die Ehre, mit einer so wichtigen Aufgabe betraut zu werden.« Sie berührte sanft ihr Ke. »Aber ich habe das Gefühl, dass sie mich völlig überwältigen könnte. Ich verstehe wirklich nicht, warum der Älteste gerade mich ausgewählt hat, wo es doch so viele talentierte und bewährte Schamanen gibt.«

 

Schnipsel 6 (Band 2):

»Ich frage mich, ob dieses Treffen an so einem schrecklichen Ort anstatt in einer angenehmen Taverne Teil der Taktik ist, von der du vorhin gesprochen hast«, murmelte Noran, während er seine Kapuze abnahm, die im schwachen Licht des Nachthimmels überflüssig geworden war.

»Seit wann bist du so auf Licht und Komfort aus?« Silvan, der ein Stück vorausging, schaute sich zunehmend beunruhigt um.

»Auf Luxus pfeife ich. Aber es gruselt mich bei dem Gedanken an all die Augen, die uns hier beobachten, und die versteckten Klingen, die auf uns lauern.«

Wie auf ein geheimes Zeichen hin traten plötzlich etwa ein Dutzend graue Silhouetten zwischen den Häusern hervor. 


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