Montag, 28. Juli 2025

[Buchvorstellung einmal anders] Das zweite Leben von Nina Pilckmann


 
Buchvorstellung einmal anders

Heute treffe ich mich mit den Protagonisten Toma und Ava aus „Das zweite Leben“ und deren Autorin Nina Pilckmann.

Hallo, danke, dass ihr heute Zeit habt und für das Buch antwortet. Würdet ihr euch vielleicht gegenseitig beim Interview unterstützen?
Toma: Selbstverständlich.
Ava: Toma unterstützt mich ohnehin gefühlt mein Leben lang.
Toma: Du mich doch auch.
Ava: Tatsächlich?
Toma: Ja, dadurch, dass du so bist, wie du bist.
Nina (Autorin): Ihr seid euch gegenseitig Anker in all den Jahren, in denen ihr euch kennt.
Ich hatte ein langes Gespräch mit eurer Autorin, deshalb wäre es schön, wenn ihr euch meinen Lesern vorstellen könntet.
Toma: Möchtest du anfangen, Ava?
Ava: In Ordnung. Ich bin Ava, zum Zeitpunkt des Interviews meine Mitte 20-jährige Version. Im Buch altere ich aber bis ich am Ende Anfang 50 sein werde. Ich bin die Tochter ehemaliger Widerständler gegen das Naziregime und habe mich der Verantwortung verschrieben, mein Heimatland Deutschland über die Gräueltaten der Nazis in den Vernichtungslagern aufzuklären. Dabei würde ich eigentlich lieber zu Toma nach Venedig ziehen und hier mein Leben mit ihm verbringen. Dieser Konflikt beschäftigt mich schon seit Jahren.
Toma: Das ist für mich ebenso Thema. Ich heiße Toma, lebe in Venedig, bin hier aufgewachsen. Ich hätte Ava gerne an meiner Seite. Ich glaube, dass wir in mehreren früheren Leben als Paar zueinandergefunden haben. Ich denke, es gibt nicht nur ein Leben. Es gibt immer wieder ein neues Zweites. Und ich glaube daran, dass wir eigentlich dazu bestimmt sind, zusammen zu sein.
Beschreibt uns das Buch in möglichst wenig Sätzen.
Nina (Autorin): Ich fange mal mit einer eher analytischen Außensicht an. Es geht um die Auseinandersetzung mit den Antagonismen, die unsere Welt prägen: Venedig mit seiner Schönheit, Liebe und Verbundenheit gehören ebenso zum Leben wie die dunklen Seiten unserer Geschichte, die sich kaum ertragen lassen. Das Wesen Mensch ist kein glattes, einfaches. Avas Aufgabe ist es, zu verstehen, dass beides nebeneinanderstehen kann, dass sie ihren Sehnsüchten folgen kann, ohne Verantwortung aufzugeben.
Toma: Aber damit tut sie sich sehr schwer.
Ava: Weil es jemanden geben muss, der all seine Lebenszeit nutzt, um wenigstens ein kleines Stück Widergutmachung zu leisten.
Toma: Du siehst das zu absolut. Das ist der einzige Punkt, in dem wir uns nicht einig sind.
Nina (Autorin): Toma meint - wenn ich mal kurz die Psychotherapeutin rausholen darf: Im Grunde leidest du ja an notorischer Selbstüberschätzung, Ava. Du hast noch nicht verstanden, dass es wichtig ist, sich selbst als wertvoll zu begreifen, aber sich nicht wichtig zu nehmen. Natürlich sollten wir alle in unserem kleinen bescheidenen Mikrokosmos versuchen, das Beste zu tun, was wir tun können, Liebe und Toleranz statt Hass und Hetze, Demut statt Egozentrik etc. – aber eine Einzelne kann nicht die Welt retten.
Ava: Ja, ich weiß, dass ihr das anders seht. Aber ich möchte dennoch diesen Weg gehen. Ich kann vielleicht noch ergänzen, dass es für mich in dem Buch auch darum geht, zu verstehen, was mir meine Eltern über die NS-Zeit verheimlicht haben, dass ich mich intensiv mit Rachel austausche, die in Birkenau war und dass ich mich mit ihrer Tochter Nuriel anfreunden werde, deren Existenz ein düsteres Geheimnis umgibt. Rachel wird mich ganz am Ende darin einweihen.
Toma: Und vergiss nicht, dass es ebenso darum geht, dass wir beide uns immer wieder über die politische Entwicklung der Jahrzehnte austauschen.
Nina (Autorin): Ja, es ist gewissermaßen eine Zeitreise zwischen 1968 und 1998.
Toma: Und wir kommen in Venedig auch gemeinsam einem Geheimnis auf die Spur, denn es existiert eine Verbindung zwischen Venedig und Birkenau. Und Venedig wird intensiv und bildreich beschrieben. Unsere Serenissima, die Erlauchteste, wie wir Veneziani sie nennen, fühlt sich beinahe wie eine Figur aus Fleisch und Blut an.
Nina (Autorin): Das sollte aber reichen. Nicht, dass ihr noch zu viel spoilert. Jedenfalls kann man zusammenfassend wohl sagen: Es handelt sich um einen Roman zwischen den Genres historischer Roman, Entwicklungsroman / Bildungsroman.
Macht es dir Spaß, deine Protagonisten ein wenig zu quälen? Sie in Situationen hineinzuwerfen, die schwierig sind? Warum nicht einfach und schön? Müssen Gefahren und Stolpersteine immer sein?
Toma: Das wüsste ich aber auch gerne, Nina!
Nina (Autorin): Spaß macht es mir nicht, nein. Aber ich halte es für wichtig, weil „Das zweite Leben“ kein Feelgood-Roman ist.
Ava: Nun ja, immerhin gibt es viele Passagen, in denen es sich einfach nur wundervoll anfühlt, durch Venedig zu laufen mit all seiner Ästhetik und positiven Melancholie.
Nina (Autorin): Danke, Ava, das beruhigt mich. Ich würde es dir auch anders wünschen, aber mal ganz ehrlich: Du hast so einige Chancen im Roman, deinen Lebensweg zu ändern. Lassen wir für die Leser*innen mal offen, ob du eine davon nutzt.
Toma: Du hast noch nicht beantwortet, ob Gefahren und Krisen immer sein müssen.
Nina (Autorin): Müssen sicher nicht. Aber in einem Roman, der von Dualismus lebt, wäre es unpassend, die Geschichte derart zu glätten. Außerdem finde ich es selbst in romantischen Liebesromanen gut, wenn man einen Spannungsbogen erkennen kann.
Toma: Na, davon gibt es bei uns ja wohl mehr als nur einen.
Habt ihr eine Lieblingsstelle im Buch, die ihr den Lesern des Blogs gerne vorstellen würdet?
Nina (Autorin): Das Ende. Das kann ich leider nicht zitieren oder beschreiben, ohne zu viel zu verraten, aber es der Teil, zu dem ich die meisten Rückmeldungen bekomme. Es ist etwas Besonderes und lässt das gesamte Buch am Ende nochmal in einem anderen Licht dastehen.
Toma: Die Stelle, wenn Ava und ich die alte Anna im venezianischen Ghetto kennenlernen und mehr über die Partisaninnen erfahren und über den Zusammenhang zwischen Venedig und Rachels Erlebnissen in Birkenau. Und eigentlich alle Momente, in denen Ava und ich gemeinsam durch Venedigs Gassen laufen, auf die Inseln der Lagune fahren oder in einer kleinen Studententrattoria Vino trinken.
Ava: Die Szene, in der Rachel nach all den Jahren endlich den Mut fasst, mir das letzte Puzzlestück zu erzählen, das endlich ihre und Nuriels Geschichte abschließt, so dass sie etwas besser loslassen kann.
Wie viel echte Nina steckt in dem Buch oder in dem ein oder anderen Charakter?
Nina (Autorin): Das kann ich am besten selbst beantworten. Ava ist mir etwas zu verkopft und zu verbissen in ihrem Bestreben, einzig für die Aufklärung zu leben. Wir teilen aber den Konflikt, von den Zeitzeuginnenberichten belastet zu sein und uns immer wieder zu hinterfragen, ob wir Details besser etwas beschönigt darstellen sollten, damit die Lesenden es überhaupt noch für authentisch halten können. Das muss man sich mal vorstellen: Dass etwas so schrecklich ist, dass man ernsthaft überlegt, es zu bagatellisieren, damit es nicht nach Effekthascherei klingt. Und zu Toma: Der ist mir in seiner philosophischen Grundhaltung recht nah, aber auch von ihm trennt mich etwas: ich bin keine Fatalistin. Ich glaube nicht an Schicksal. Ich glaube an Zufall. In dem Buch selbst steckt viel meiner eigenen Lebensphilosophie und meines Strebens, differenziert zu denken sowie mein psychologischer Blick auf Menschen. Außerdem steckt im Roman meine Liebe zu Venedig - meiner Seelenheimat - und mein Bedürfnis, etwas gegen Faschismus und für Demokratie zu tun.
Wie würdet ihr als Hauptcharaktere eure Autorin beschreiben?
Ava: Sie ist penibel in ihren Recherchen. Manchmal frage ich mich, ob es wirklich wichtig ist, aus welcher Art von Stein die Bodenplatten an der Piazza San Marco bestehen. Nina will aber alles bis ins Detail wissen. Bei den Recherchen über Birkenau fand ich das aber natürlich sehr, sehr gut und wichtig, denn das deckt sich ja mit meiner Haltung.
Toma: Ich glaube, dass sie eine sehr feinfühlige Frau ist, die ein gutes Gespür für Symbolik, Zwischentöne und inneres Erleben hat.
Wann kam die Idee zum Titel? Stand der schon im Vorfeld fest oder hat er sich im Laufe des Schreibprozesses verändert? Hattet ihr zwei vielleicht sogar Mitspracherecht?
Ava: Soweit ich weiß, stand der Titel zu Beginn schon, weil Nina wusste, wohin sie mit der Geschichte wollte.
Toma: Der Titel ist ja im übertragenen Sinne auf mehreren Ebenen die zentrale Aussage. – Wie genau ich das meine, versteht man, wenn man es gelesen hat.
Nina (Autorin): Kann ich beides so bestätigen.
Seid ihr zu 100% mit dem Cover zufrieden oder hättet ihr nachträglich noch etwas ändern wollen?
Toma: Uuuuh, da ist der Stich ins Wespennest. *lacht*
Nina (Autorin): Toma meint, dass es sogar eine Geschichte zu dieser Frage gibt. Ursprünglich war auf dem Cover im unteren Teil das Tor von Auschwitz-Birkenau abgebildet. - Das ich für die Bildrechte extra selbst aufgenommen hatte. Teilweise findet man diese veraltete Bildvorschau des Covers sogar noch im Internet. Ein Tag nach Veröffentlichung entschied sich die Gedenkstätte, mit der ich in Kooperation stand, dass es ihnen doch lieber wäre, wenn es ersetzt würde, da die Mitarbeitenden dort den Inhalt nicht auf die Schnelle überprüfen konnte und wohl Sorge hatten, etwas mitzutragen, was womöglich anstößig sein könnte.
Toma: Und der Hinweis, dass Nina eine positive Rückmeldung von der bekannten Überlebenden Dita Kraus erhalten hatte, die die Textstellen über Birkenau las, half auch nichts. Natürlich wollte Nina sich nicht darüber hinwegsetzen und änderte das Cover noch. Aber das erste fanden wir alle drei besser, weil der Kontrast der beiden Orte besser zur Geltung kam.
Nina (Autorin): Aber davon ab bin ich damit sehr zufrieden. Passt schon.
Wisst ihr, was mich noch interessieren würde? Euer jeweiliges Lieblingszitat aus dem Buch.
Toma: Der Hauch eines Lächelns schwang in Tomas Worten. Er hob die Brust und winkelte das Kinn an. Dann sprach er mit fester Stimme weiter. „Verliebst du dich in Venezia, so tust du es für den Rest deines Lebens. Menschen, die die Serenissima nicht berührt, bleiben auf ewig blind für ihre Schönheit. So ist das nun einmal mit unserer Stadt. Entweder ganz oder gar nicht. Was sie zwischen Traurigkeit und Fröhlichkeit vereint, hält sie in der Liebe kompromisslos. Entweder du bist ganz für sie oder gegen sie. Und was auch wichtig ist: die Serenissima mag deine Aufmerksamkeit äußerlich auf sich ziehen, aber sie nähert sich dir von innen.“
Ava: Ein Zitat von Rachel: „Die Anderen wurden tausendfach zu Staub verbrannt. Aber ihre Asche wehte über das Lager, verfing sich in den Haaren der Häftlinge und Offiziere, wurde weiter hinausgetragen. Ich stellte mir vor, wie sie als stille Anklage vom Wind über uns verstreut würde, ja, am besten über die ganze Welt. Ich wünschte mir, jemand würde sie bemerken und ihren Ursprung erforschen. Und uns alle retten. Aber die Vorstellung reichte nicht aus, um Hoffnung zu haben. Sie zeigte sich nicht. In mir lebte nicht mehr genug, um ein so positives Gefühl zu empfinden. Also dachte ich, dass vielleicht Jahre oder Jahrzehnte später diese Asche ihre Geschichte erzählen würde. Uns aber würde es nichts mehr nützen.“
Nina (Autorin): „Es geht nicht darum, ob ich etwas gutheiße, was du für dich entscheidest. Jemanden bedingungslos zu lieben, bedeutet, seine Ziele und Wünsche mitzutragen, die Schritte gemeinsam zu gehen, unabhängig von der eigenen Meinung.“
Vielen Dank für das Gespräch

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