
»Valentin ist wieder da«, sagte Nikita.
Die Information traf mich wie ein Blitzschlag und alle Gefühle von damals
kehrten mit Urgewalt zurück. Obwohl ich den Mann zum letzten Mal vor gut sechs
Jahren gesehen hatte, irrte die Erinnerung an unsere gemeinsame Session wie ein
Geist durch meine Tage. Mit ihm und Dorian hatte es einfach gepasst. Es hatte
uns dreien gefallen. Mehr noch. Dennoch tauchte Valentin ab und blieb bis jetzt
verschwunden. »Macht er Ärger?«
»Nein, im Gegenteil. Er ist nicht als Gast hier. Ich hab ihn hochgelassen,
ihm aber verboten, sich jemandem anzubieten. Nachher nehme ich ihn mit zu mir.«
Ich sah mich um und erkannte die zusammengesunkene Gestalt in der
hintersten Ecke der Lounge. Der Hoodie, dessen Kapuze ihr Haar verbarg, gehörte
irgendwann einmal mir.
»Gib mir noch einen Whiskey«, bat ich und ging langsam auf den Mann zu. In
meinem Bauch zog es unangenehm. Immer, wenn wir uns begegneten, brachte er mich
aus dem Gleichgewicht.
»Hallo Valentin«, sagte ich und bot ihm den Drink an. »Darf ich mich
setzen?«
»Ich soll mit niemandem sprechen«, erwiderte er leise, ohne aufzublicken.
Seine Stimme klang kratzig.
»Dann hast du nichts dagegen?«
»Es ist dein Club«, versetzte er rau.
Ich kannte ihn als selbstbewussten Menschen, was ihn nicht eben zum idealen
Sub machte. Vor mir saß ein Häufchen Elend. Es war offensichtlich, dass er
Probleme hatte. Daher fragte ich: »Brauchst du Hilfe?«
Ohne ihn aus den Augen zu lassen, nahm ich ihm gegenüber Platz und schob
das Glas in seine Richtung. »Nimm bitte die Kapuze ab.«
Ein tiefer Seufzer entkam seiner Kehle, als er aufschaute. »Du siehst aus,
wie ich mich fühle.«
»Müde?«
»Zerschlissen.«
Mit meinem Glas berührte ich seins und beobachtete, wie er es mit der
linken Hand ergriff und den Alkohol in einem Zug herunterstürzte. Mir lag die
Frage auf der Zunge, was ich für ihn tun könnte. Vermutlich würde er
ausweichen.
»Du warst lange nicht mehr hier«, lenkte ich ein. »Soll ich den Käfig für
morgen reservieren? Unser Kampf war eine nette Abwechslung. Natürlich nur, wenn
deine Schulter …«
»Nein«, lehnte er rundheraus ab.
Eingehend musterte ich ihn und seufzte unterdrückt. Die Zeit war nicht gut
mit ihm umgegangen. Obwohl er ein paar Jahre jünger als ich war, könnte man ihn
für älter halten, so verhärmt sah er aus. Unter seinen Augen gewahrte ich
Schatten, seine Lippen bildeten eine schmale Linie. Zum ersten Mal, seit wir
uns kannten, bedeckte Stoff jeden Zipfel seiner von Tätowierungen verzierten
Haut, nur Hals, Gesicht und Hände waren zu sehen. Stets hatte er stolz die
Bilder auf seinem Körper präsentiert.
In meinem Magen zog es vor Mitleid. Automatisch ging ich zu ihm, setzte
mich neben ihn und hielt die Luft an. Ein penetranter Geruch stach mir in die
Nase, den ich nicht eindeutig zuordnen konnte. Irgendeine medizinische Tinktur
oder Salbe.
»Bist du krank?«, erkundigte ich mich. Das machte keinen Sinn. Dann käme er
nicht hierher.
Sein Kopfschütteln wirkte zögerlich.
»Möchtest du meine Hilfe?«
Sein Mund sagte »Nein«, die Augen etwas anderes. In ihnen lag ein flehender
Ausdruck.
»Komm mit nach oben!«
»Das ist keine gute Idee.«
»Überlass das mir.« Ich wollte nach seiner Tasche greifen, doch er war
schon auf den Beinen und hängte sie sich über die Schulter. Dabei verzog er das
Gesicht schmerzerfüllt, obwohl er den verletzten Arm schonte.
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