Und dann überschlugen sich die Ereignisse. Sebastian
brüllte: „Wir müssen hier raus!“ Ohne noch länger zu zögern, sprang er in
unbeholfenen Hopsern, so schnell es seine Rauchflossen zuließen, ins Freie.
Felix wollte ihm hinterher, war aber unfähig, sich zu rühren. So sehr er sich
auch bemühte, seine Beine versagten ihm den Dienst. Hilflos beobachtete er, wie
sein Bruder Beine schwingend durch den Garten hüpfte, sich an dem intakten
Gartentürchen zu schaffen machte und im Schilf verschwand. Auch Balduin und Benedikt
mussten die Veränderung vor dem Haus bemerkt haben. Er hörte das Geräusch
trampelnder Füße, dann schlugen zwei Türen zu. Die laut rufenden Stimmen der
Kobolde und ein durch die Luft schwebender Rucksack entfernten sich, bis nichts
mehr zu hören und zu sehen war.
Es blieb still. Felix war allein. Wie angewurzelt stand
er am Fenster, unfähig zu reagieren. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. Er
schaffte es gerade noch, seine Hand langsam zu dem Amethyst zu führen. Da traf
ihn die Erkenntnis wie ein Hammerschlag. Er war nackt! Der Stein seiner
Großmutter befand sich in seiner Hose und seine Hose knautschte in dem
Rucksack, der gerade im Schilf verschwunden war.
Keiner kann mich sehen, keiner kann mich sehen, schoss es ihm durch den Kopf.
Aber der Gedanke beruhigte ihn kaum. Das Tier hatte ihn ja auch bemerkt. Er sah
an sich herunter, die Katze war verschwunden.
Dafür hörte er hinter sich ein Geräusch, riss die Augen auf, drehte sich
langsam um. Für einen Moment hörte sein Herz ganz auf, zu schlagen. Nun war er
nicht mehr allein! Wie aus dem Nichts stand neben dem alten Küchenschrank eine
alte Frau, leicht nach vorne gebeugt, und durchbohrte ihn mit stechendem Blick.
Tiefe Runzeln und Falten zerfurchten ihr Gesicht. Das glatte schlohweiße Haar
hing offen bis zu den Schultern herab. Ein langes helles Gewand umspielte ihre
Knöchel.
Er konnte den Blick nicht abwenden. Behutsam hob er eine Hand, die er aus den
Augenwinkeln nach wie vor nicht sehen konnte. Doch die Alte beobachtete ihn!
Wie war das möglich? Für einen Moment sah es sogar so aus, als würde sie ihn
spöttisch von oben bis unten mustern.
„Was habt ihr hier zu suchen?“, fragte sie. Jedes ihrer leise gezischten Worte
war wie ein geschleuderter Pfeil, der sich in seine Brust bohrte. „Reicht es
euch nicht, dass ihr mich vertrieben habt?“ Sie machte einen Schritt auf ihn
zu. Ihre nackten Füße verursachten beim Gehen kein einziges Geräusch.
Endlich kam wieder Leben in seine Beine. Er stieß einen durchdringenden Schrei
aus, rannte an dem Tisch vorbei zur Tür. Doch dann strauchelte er, verlor das
Gleichgewicht und schlug mit dem Kopf auf etwas Hartes. Ihm wurde schwarz vor
Augen.
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