Freitag, 8. September 2023

[Schnipseltime] Nicht ohne meine Schatulle von Barbara Schwarzl

 

Am Ende des Flurs fiel eine Tür laut zu. Emma schreckte auf und kehrte wie in Trance auf die Onkologie zurück.

Plötzlich rasten in Sekundenschnelle Schwarzweißbilder der immer und immer wieder sorgfältig verdrängten Kindheit vor ihrem inneren Auge vorbei. Eine Miniszene jagte in atemberaubendem Tempo die nächste – wie auf einer Hochschaubahn: Sie spürte den Gürtel. Der linke Arm schmerzte, weil Hartmut sie daran über den Hof zerrte. Die Mutter schlug sie und schrie dabei. Bei der Erinnerung an ihre Stimme hatte sie Frieda vor Augen und fügte die wenigen belauschten Worte wie Puzzleteile zusammen, sodass sie einen Sinn ergaben. Ihr verhasster Stiefvater lebte noch immer. Das Wort Vater hatte sie für ihn selten über die Lippen gebracht, weil er es nicht verdient hatte, so genannt zu werden. Sie rechnete im Geiste nach, wie alt Hartmut inzwischen sein musste. Gewiss weit über neunzig. Und dieser Mistkerl lebte noch immer. Gute Menschen wie Theo oder vielleicht bald Poldi starben zu früh. Es gab keine Gerechtigkeit. Aber das wusste Emma längst.


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