Mitten in der Nacht
wurde Askan vom leisen Rascheln der Vorhänge geweckt. Im Schein des
eindringenden Vollmondes sah er den Schemen hinauseilen und über den Balkon
verschwinden. Hellwach schoss er in die Höhe und sah hinüber zum Canapé. Kadir
war fort und eine eigenartige Vorahnung begehrte in ihm auf. Warum sollte Kadir
sich mitten in der Nacht über den Balkon davonstehlen? Sicher nicht um seinen
Hunger zu stillen.
Seine Entscheidung fiel
schnell. Er schlüpfte in Tunika und Sandalen und schnappte sich den Gürtel samt
Kurzschwert. Er trat auf den Balkon und sah Kadir auf der zypressenbewachsenen
Allee, die sich den Hügel hinab in die Stadt wand, davoneilen. Zikadengezirpe
surrte ihm entgegen und die Düfte von Lavendel und reifenden Trauben
schwängerten die Luft. Hinter aufziehenden Quellwolken funkelten die Sterne und
der Vollmond.
Über die Efeuranken
kletterte er hinab und wunderte sich, wie flink Kadir dort hinuntergekommen
war. Askan musste rennen, um aufzuschließen. Dabei stellte er sich so
ungeschickt an, dass Kadir auf der Straße innehielt und Askan sich im letzten
Moment hinter einen Baum rettete. Ob er bemerkt wurde, wusste Askan nicht, doch
Kadir eilte weiter.
Er verfolgte ihn in die
Stadt, durch die verwinkelten Gassen und bis zu den botanischen Gärten des
Tempels. Askan verbarg sich hinter dornigen Rosenbüschen und hielt den Atem an,
als er eine Gestalt am Springbrunnen bemerkte. Kadir blieb vor ihr stehen. Sie
lüftete ihre Kapuze und Askan erkannte eine Frau in einem dunklen Mantel. Sie
rief Kadirs Namen und sprach ihn mit Worten aus der Wüste an. Darauf schoss
Kadir auf sie zu und riss sie in seine Arme. Dann löste er sich wieder von ihr
und sie redeten aufeinander ein. All das roch gewaltig nach Ärger, zugleich
faszinierte Askan was er sah. Wer bei den Göttern war Kadir? Und wer konnte die
Frau sein, die offenbar aus der Wüste stammte, doch trug sie die weiße
Novizinnen-Robe des Klerus unter ihrer Stola. Askan kannte nur eine vom
Wüstenvolk. Ein Mädchen aus dem Tempel – Kleora, die Pharaonentochter. Die
Prinzessin, die im Morgengrauen den Kaisersohn des Imperiums heiraten und die
Wüstenlande endgültig mit Aquilien vereinen sollte.
Für einen Augenblick
kehrte Totenstille in seine Gedanken ein. Er verzog das Gesicht und betrachtete
das Blattwerk vor sich. Was hatte Kadir mit ihr zu schaffen? Wer war er? Ein
Verwandter? Ein Rebell? Ihr Liebhaber?
„Die wollen doch nicht
etwa türmen?“, murmelte Askan. Kaum hatte er das laut ausgesprochen, waren die
beiden verschwunden.
Askan verfluchte sich
innerlich. Diese Dummheit konnte er nicht zulassen. Sollte jemand die zwei
Ausreißer finden und Kadir der Entführung der Pharaonentochter angeklagt
werden, würde dies für Askan unvorhersehbare Konsequenzen haben. Ein Herr
bürgte stets für seinen Sklaven.
„So ein Mist“, knurrte
er und stürmte in die Richtung, wo er die beiden vermutete. Askan musste sie
finden – um jeden Preis. Er eilte tiefer in die Stadt, hielt immer wieder, rang
nach Atem und überlegte. Vielleicht sollte er es in einer der Tavernen
versuchen, dort gab es Söldner anzumieten. Eine ganze Stunde durchsuchte er die
Spelunken im Hafenviertel ab, ohne jegliche Spur. Als er die Hoffnung schon
aufgegeben hatte, wollte er zumindest am Pier nachschauen, bei einem der
zwielichtigen Piratenboote und Schmuggler.
Die Nachtluft schlug
Askan schwül ins Gesicht. Der Schweiß tropfte aus jeder seiner Poren. Er lief
durch die verwinkelten Gassen, in deren Ecken und Winkeln sich Liebestrunkene
in den Armen der Huren und Lustknaben tummelten. Am Nachthimmel zogen schnelle Wolkenfetzen
vorbei und verdeckten gelegentlich den Mond. Er bog in eine Nebengasse, welche
zur Brücke über den Fluss führte, bis er an den menschenleeren Kai gelangte.
Bis auf Fischerboote, eine Katze auf der Pirsch und leeren Netzen war es
einsam. Nur leichte Wellen krachten gegen die Kaimauer. Er nahm einen tiefen
Atemzug der salzigen Seeluft und raufte sich das Haar. Eine Bewegung vor ihm,
aus der Deckung einer Fischerhütte heraus, erregte seine Aufmerksamkeit.
Endlich! Geduckte Gestalten in wehenden Kapuzenmänteln eilten durch die
Dunkelheit. Kurz darauf folgten zwei bullige Kerle in abgewetzter Kleidung.
Ein hoher Schrei
ertönte. Mit gezogenem Schwert hastete Askan den Männern nach.
„Lasst mich los!“,
quietschte die Pharaonentochter.
„Du gehörst mir, du
Hübsche. Dachtest wohl, du kannst dich mit deinem Liebhaber von dannen mach,
heh?“, gab einer der Kerle von sich.
Kadir schubste ihn zur
Seite und stellte sich den größeren Angreifern entgegen. „Nehmt eure Pfoten von
ihr.“
Die Kerle lachten
unbeeindruckt. Einer zückte ein Messer. „Mal sehen, ob du noch immer so
wehrhaft bist, wenn ich dich ausbluten lasse wie ein Schwein.“ Die junge Frau
schrie erneut. Kadir duckte sich geschickt unter der Attacke weg. Er schlug dem
Fremden schnell wie eine Schlange mitten ins Gesicht, packte ihn mit beiden
Händen und schleuderte ihn über die Hüfte. Der Kerl flog über den
schmächtigeren Zyrren hinweg und landete auf dem Hintern.
„Verschwindet, Kleora“,
rief Kadir.
Askan war nur wenige
Schritte entfernt und brodelte vor Wut.
„Achtung!“, schrie die
junge Frau.
Zu spät. Der andere Kerl
hatte sein Messer gezückt und rammte es Kadir in einem Moment der Unachtsamkeit
von hinten in den Rücken. Kadir brüllte vor Schmerz auf und sank in die Knie.
Der bullige Angreifer packte ihn am Hinterkopf und riss ihm die Klinge brutal
aus dem Fleisch. „Stirb, du kleiner Mistkerl!“
Endlich, Askan näherte sich unbemerkt und
drückte ihm sein Schwert von hinten an die Kehle. „Du dämlicher Mistkerl
verpisst dich jetzt besser“, raunte er und verlieh seinen Worten mit der Klinge
mehr Nachdruck. Der Kerl schnellte herum und fuchtelte mit dem Messer um sich.
Askan duckte sich unter einem Hieb hinweg. Das Messer rauschte knapp an seiner
Wange vorbei. Der Kumpane kämpfte sich auf seine Füße zurück, zückte ein
schartiges Schwert und griff Askan an.
Askan parierte den
Schlag und der Angreifer geriet ins Stolpern. Mit einem dumpfen Treffer auf den
Hinterkopf setzte Askan ihn außer Gefecht. Der andere fluchte und richtete sein
Messer auf Kadir, der sich auf seine wackeligen Beine stemmte. Er hielt sich
stöhnend die Schulter, Blut quoll zwischen dessen Fingern hindurch. Trotzdem
schob er sich schützend vor die junge Frau.
Plötzlich glommen seine
Augen auf wie Glut, der vom Wind neues Leben eingehaucht wurde. Die Luft um ihn
herum flimmerte. Er versteifte sich am ganzen Leib, riss den Kopf in den Nacken
und breitete die Arme aus. Aus seinen Händen loderten orangerote Flammen auf.
Askan erstarrte und beobachtete gebannt den Körper des jungen Mannes. Das Feuer
rann über dessen Arme, ohne ihn zu verbrennen. Es umschloss ihn wie
Schlangenzungen, die gierig in die Luft leckten. Unschlüssig peitschen sie um
sich und formten vor ihm allmählich die Gestalt eines mächtigen Feuervogels –
eines Phönixes. Dieser breitete die flammenden Flügel aus, gab einen
glockenhellen, sphärischen Schrei von sich und rauschte direkt auf den
Angreifer vor ihm zu. Askan blieb der Schrei in der Kehle stecken und das
Schwert entglitt seinem schwitzigen Griff. Im letzten Moment hechtete er zu Boden,
den Mantel riss er schützend über sich. Die Phönixschwingen formten einen
Feuersturm und fegten über ihn hinweg, der Kerl schrie neben ihm in
Todesqualen, bis er zu Asche verglüht war.
Askan brüllte, alles
leuchtete in vernichtendem Gelb und Orange, schlug ihm mit sengender Hitze
entgegen. „Hör schon auf!“ Er sandte ein Stoßgebet zum Götterquartett und zur
Dämmerwölfin.
„Kadir, nicht! Du tötest
uns alle!“, schrie die junge Frau.
Als nach drei, vier
Herzschlägen Askans Leib noch immer nicht brannte, sah er sich um. Der Phönix
tobte mordlüstern um sich – ohne Askan ein Härchen zu versengen. Kadir stand
mit seitlich ausgebreiteten Armen da und wankte, als würde er die Kontrolle
über die Kreatur verlieren.
Askan erhob sich und
starrte in die glühenden Augen des Elementaristen. „Ruf dein Biest zurück,
bevor die ganze Stadt auf uns aufmerksam wird!“, sagte er mit bebender Stimme
und hob die Hände. „Ich tue dir nichts.“
Kadir schwankte und Blut
tränkte sein Leinenhemd. Feuchte Bahnen glänzten im Feuerschein auf seinen
Wangen, Schatten der Phönixschwingen tanzten wild über sein Antlitz,
furchterregend und zugleich atemberaubend schön. Vernichtende Verzweiflung
schrie aus dem Blick des Elementaristen.
„Wie ist das möglich? Du
müsstest tot sein“, hauchte er, so leise, dass Askan ihn kaum verstand. „Wer
bist du?“ Kadir sackte auf die Knie und das Spektakel endete jäh. Finsternis
breitete sich aus und es dauerte einen Moment, bis Askans Sicht sich schärfte
und er seine Umgebung wieder wahrnahm. Die Flammen waren fort, ein beißender
Brandgeruch schwängerte die Luft, doch verwunderlich genug hatte keines der
Holzgebäude Feuer gefangen.
Askans Knie zitterten.
Wie zum Henker war er dem Hitzetod entgangen? Er schüttelte die lähmende Leere
aus seinem Kopf und starrte Kadir und die junge Frau an.
Im Mondschein glänzte
ihr auffällig langes, schwarzes Haar. Ihr jugendliches Gesicht war viele
Nuancen dunkler als Kadirs Teint. Mit Sorge in der Stimme redete sie wieder auf
ihrer Muttersprache. Kadir nickte, erhob sich und schob sie schützend hinter
sich. Mit dem Ausdruck eines in die Ecke gedrängten Raubtieres taxierte er
Askan; das Glühen in Kadirs Augen war verloschen.
Für einen kurzen Moment starrten sie einander an, bis
Askan sein Schwert wegsteckte und beschwichtigend die Hände hob. „Bitte, kein
Feuer mehr. Ich tue euch nichts. Was im Namen der Götter treibt ihr zwei hier
draußen? Mitten in der Nacht vor Eurer Hochzeit, Pharaonentochter – die seid
Ihr doch, oder, Kleora?“
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