An einem Stand wurden wir von
einer jungen Frau aufgehalten. »Hier, probiert mal. Wenn euch das schmeckt,
hinterlasst uns ein Like auf Social Media und einen Kommentar. Unsere Seite
findet ihr beim Slogan.« Sie deutete auf einen Schriftzug auf der Dose in ihrer
Hand und hielt dann den Daumen hoch. Ich warf einen prüfenden Blick auf das
Getränk. Es war ein Energydrink, dessen Namen mir nicht geläufig war.
Vermutlich eine neue Marke, die sie am Markt etablieren wollten. Vermutlich was
total Ungesundes, was ich in allen Varianten, Aggregatzuständen und Farben
total liebte. Zucker machte glücklich, solange man glücklich mit dem Sport
blieb. An Letzterem würde ich nichts ändern, dann musste ich auch Ersterem kein
Gewicht geben. Ich zog die Lasche auf, testete das Getränk an und exte es
anschließend mit wenigen Zügen.
Das Mädchen riss die Augen
auf. »Und, ist gut?«
Ich hielt den Daumen hoch.
»Fantastisch, danke.« Geschmeckt hatte es nicht, den Durst aber gelöscht. »Hab
mein Smartphone nicht bei mir, ich hol das Like später nach.« Bis dahin würde
ich es vermutlich längst vergessen haben.
Die leere Dose warf ich in den
neben ihr stehenden Mülleimer. Mit einem blechernen Ton kam sie auf dem Rand
auf und fiel in den Sand. Aufheben konnte ich sie nicht mehr, Jack zog mich
bereits weiter, seine eigene Dose ungeöffnet in der Hand. »Du musst dringend an
deinem Feingefühl arbeiten.«
»Ich bin schwul, vielleicht liegt’s
daran, dass ich resistent gegen Flirtversuche von Mädchen bin.«
»Sie hat nicht mit dir
geflirtet.«
Verwirrt blinzelte ich ihn von
der Seite an. »Dann verstehe ich deinen Einwand nicht.« Ich konnte nicht mal
sagen, ob er recht hatte. Denn ich verstand tatsächlich rein gar nichts von
Flirterei mit Mädchen. Bei Jungs war das einfacher, zumal ich laut Koa und Jack
einen dauerhaften Fick-mich-Blick draufhatte. Jungs waren aber auch direkter,
die ließen einen meist sehr deutlich wissen, wenn sie Lust auf mehr als ein
Gespräch hatten. Labern machte schließlich nicht glücklich, im Gegensatz zu
Zucker.
Jack lachte lauthals los. »Ich
meinte das eher allgemein. Du bist wie ein Kampfjet, durchbrichst Schallmauern.
Du bist ultralaut und viel zu schnell. Manchmal kommt man bei dir kaum
hinterher. Du hättest die Dose wie ich zulassen können, dann hättest du ihr
auch nicht so einen doofen Spruch aufdrücken müssen.«
»Was war denn daran doof? Sie
war doch gespannt, wie ich es fand.«
»Es war widerlich, das hab ich
dir angesehen. Sie vermutlich auch. Du verziehst ja jetzt noch das Gesicht.« Er
zwinkerte und noch bevor ich Luft holen und dagegen reden konnte, sah er mich
mit seinem Hab-ichs-dir-nicht-gesagt-Blick an. Mir vergingen die Worte. »Lass
mich raten, es schmeckt nach Pink und Zucker und Chemie und klebt jetzt noch an
deinen Lippen?«
»Magst du mal lecken?«, fragte
ich und glitt mit der Zungenspitze über meine Unterlippe, an der der Geschmack
haftete. Mit der chemischen Note hatte Jack es gut getroffen. Das Pink war aber
eher ein gefühltes Wolkenblau – der Geschmack ging in Richtung Curaçao statt
Zuckerwatte. »Koa wird nicht erfahren, dass du mich abgeleckt hast. Ehrenwort.«
Jack blieb abrupt stehen und
hielt mich an der Schulter zurück. »Hör mal …« Er sah irgendwie geläutert
zwischen uns hinab in den Sand, auf unsere Fußspitzen, die sich beinahe
berührten. »Es wäre besser gewesen, wenn wir einen vierten Mann mitgenommen
hätten.«
»Darum geht es doch gar
nicht.«
Jack atmete beherrscht tief
durch. »Ich sag doch, Kampfjet. Hör zu, Indigo, es ist einfach passiert
zwischen uns. Ich kann nur ahnen, wie es dir damit geht. Wir hatten gehofft,
dass du das Gespräch mit uns suchst, wenn du dich ausgeschlossen oder verletzt
fühlst, aber du bist nur etwas lauter als sonst. Wir wissen beide, dass dir das
nicht leichtfällt und versuchen unser Bestmögliches, dich nicht auszuschließen.
Wir wollten die Ferien doch genießen. Wir drei. Das kriegen wir hin, oder? So
vernünftig sind wir schon. Es liegen noch so viele Wochen voller Abenteuer vor
uns, bevor die Uni beginnt.«
»Ich verstehe nicht!« Schon
irgendwie, aber ich wollte gern weiter glauben, dass sie meinen Gemütsumschwung
nicht mitbekommen hatten. Hatten sie aber offensichtlich doch. Und Jack redete
vom Genießen? Die beiden genossen sich jede verdammte Nacht. Und tagsüber
verknoteten sie sich wie Tintenfischtentakel. Nein, ich wollte in diesen
verfickten Ferien nicht einen auf vernünftig tun. Das war nie der Plan gewesen.
»Komm schon«, raunte Jack und
stieß mir spielerisch gegen die Brust, »du weißt, was ich meine.«
»Hör auf, so zu tun, als wäre
alles easy. Das ist es nicht! Was soll das? Ihr seid meine besten Freunde.«
Klang das wie ein Vorwurf? Ja, das klang sogar wie ein ziemlich hinterhältiger
Vorwurf, was ich mir seit Tagen tunlichst verbot. Die beiden waren schließlich
nicht meine Babysitter. Piksende Eifersuchtsgedanken durfte ich mir wohldosiert
gönnen, sie allerdings in Worte zu packen war schon sehr gemein. Ein bisschen
erschrak ich über mich selbst. »Tut mir leid, verzeih mir.«
»Indigo …«
»Nein, ich … Fuck, Jack.
Geh doch schon mal zurück.« Um Koa abzulecken. »Ich brauch einen Moment für
mich.« Um euch nicht zusehen zu müssen.
»Warte doch mal.«
Ich entfernte mich rückwärts
laufend von ihm und zog die Schultern hoch. »Ich gönn’s euch total. Ohne Wenn
und Aber. Also, tut mir echt leid, Babyjack … Ich werd mich
zusammenreißen. Versprochen.« Dann drehte ich ihm den Rücken zu, stolperte im
trockenen, aufgeworfenen Sand vorwärts und betete, Jack würde mir nicht folgen
und somit uns dreien eine kleine Atempause gönnen. Es war ja nicht so, dass ich
verloren gehen könnte. So überschaubar war es hier dann doch. Mich
mutterseelenallein in die Fluten zurückstürzen, würde ich auch nicht machen,
keine Sorge also in dieser Richtung. Allerdings war Ocean’s View nichts weiter
als ein Fischerort am letzten Zipfel einer Halbinsel inmitten des riesigen Atlantischen
Ozeans. Wer wusste also schon, auf welche Art ich verschollen gehen konnte.
Es gab sicher tausendundeine Möglichkeit neben stupidem Ertrinken.
Ich kämpfte mit meinem
schlechten Gewissen und den blödesten Gedanken der Welt und wurde erst
gestoppt, als es zum Zusammenprall zwischen mir und einem männlichen Kreuz kam.
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