Samstag, 8. November 2025

[Schnipseltime] Thrud - Göttin der Wikinger von Elin P. Mortensen

 

Die Sonne lugte über den Horizont und ließ die Tautropfen auf dem langen Gras der Wiese aufleuchten wie glitzernde Edelsteine, als ich mit zwei Eimern beladen vom Fluss zurück zum Langhaus stapfte. Bei jedem Schritt schwappte Wasser über und rann eiskalt über meine nackten Waden. Eine Bewegung beim Tor ließ mich innehalten. Ich rückte das Joch über meinen Schultern zurecht und versuchte blinzelnd, im Gegenlicht zu erkennen, was sich da regte.

Das Tor schwang auf, und kurz darauf marschierte Loki hindurch, nicht zu verkennen mit seiner schmalen, leicht vornübergebeugten Statur und dem in Asgard seltenen, wehenden schwarzen Haar, das in der Morgensonne schimmerte.

Die wenigen Einherier, die zu dieser frühen Stunde schon aus dem Langhaus gewankt waren und am Brunnen ihren Rausch mit eisigem Wasser vertrieben, hielten inne und neigten ehrfürchtig ihre Häupter. Wie kam der Kerl nur mit all seinen Ränken davon?

Er war noch weit entfernt, aber es sah aus, als steuerte Loki direkt auf mich zu. Zur Sicherheit wandte ich mich ab, um so schnell wie möglich zu verschwinden.

„Warte“, rief er.

Ich zögerte und erwog, ihn zu ignorieren.

„Thrud!“, setzte er nach.

Zu spät. Jetzt war den anderen Morgenvögeln vor dem Langhaus klar, dass er es auf mich abgesehen hatte. Seufzend drehte ich mich um und ergab mich in mein Schicksal.

Er kam näher, und mir fiel auf, dass er die Hände vor die Brust gepresst hielt und etwas darunter zappelte. Ich schauderte beim Gedanken daran, was sie umklammert hatten, als ich ihn zuletzt von Nahem gesehen hatte, in finsterer Nacht vor der Kammer meiner Eltern.

Jetzt hatte er meine Aufmerksamkeit. Ich kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen. Was war das? Ich zuckte die Achseln. Jedem Geschöpf, das in die Fänge des Blenders geriet, hatten die Nornen übel mitgespielt. Wenn es Glück hatte, würde es einen schnellen Tod finden.

In einiger Entfernung von mir blieb Loki stehen, beugte sich hinab und setzte das Tier behutsam ab.

Ich hob die Augenbrauen. Eine solche Zartheit hatte ich ihm nicht zugetraut.

Als Loki sich aufrichtete und das Sonnenlicht auf das Tier fiel, schnappte ich nach Luft. Es handelte sich eindeutig um einen Wolfswelpen. Schon allein diese Tatsache wäre ungewöhnlich gewesen, doch dieser war größer als alle jungen Wölfe, die ich je gesehen hatte. Deutlich erleichtert darüber, endlich frei zu sein, tollte der Welpe übermütig durch das Gras, und ich folgte ihm mit dem Blick. Ein Glucksen stieg in meiner Kehle auf, als der Kleine sich tollpatschig überschlug.

„Thrud!“ Mit einer Hand winkend lenkte Loki meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Er durchquerte mit langen Schritten die Wiese vor dem Langhaus.

Ich stellte die Eimer im Gras ab, legte das Joch vorsichtig daneben, um sie nicht umzukippen und sah ihm entgegen.

Bevor Loki mich erreichte, schoss das Wolfsjunge an ihm vorbei und stürzte sich begeistert auf mich. Ich ließ mich auf die Knie sinken und kraulte hingerissen seine flauschigen Ohren. Seine Kiefer schnappten nach meinen Fingern. Ich überwand den ersten Schrecken, ließ mich auf das Spiel ein und hielt ihm meinen Ärmel hin.

Entzückt vergrub er seine Zähne in dem dicken Leder und nagte voll Begeisterung daran. Ich richtete mich wieder auf und hob den Arm empor, doch der kleine Kerl ließ nicht los. Baumelnd hing er an seinen Zähnen und seine Hinterläufe strampelten hilflos in der Luft, während er mit den Vorderpfoten an meinem Handgelenk Halt suchte.

 


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