
Die Sonne lugte über den Horizont und ließ die Tautropfen
auf dem langen Gras der Wiese aufleuchten wie glitzernde Edelsteine, als ich
mit zwei Eimern beladen vom Fluss zurück zum Langhaus stapfte. Bei jedem
Schritt schwappte Wasser über und rann eiskalt über meine nackten Waden. Eine
Bewegung beim Tor ließ mich innehalten. Ich rückte das Joch über meinen
Schultern zurecht und versuchte blinzelnd, im Gegenlicht zu erkennen, was sich
da regte.
Das
Tor schwang auf, und kurz darauf marschierte Loki hindurch, nicht zu verkennen
mit seiner schmalen, leicht vornübergebeugten Statur und dem in Asgard
seltenen, wehenden schwarzen Haar, das in der Morgensonne schimmerte.
Die
wenigen Einherier, die zu dieser frühen Stunde schon aus dem Langhaus gewankt
waren und am Brunnen ihren Rausch mit eisigem Wasser vertrieben, hielten inne
und neigten ehrfürchtig ihre Häupter. Wie kam der Kerl nur mit all seinen
Ränken davon?
Er
war noch weit entfernt, aber es sah aus, als steuerte Loki direkt auf mich zu.
Zur Sicherheit wandte ich mich ab, um so schnell wie möglich zu verschwinden.
„Warte“,
rief er.
Ich
zögerte und erwog, ihn zu ignorieren.
„Thrud!“,
setzte er nach.
Zu
spät. Jetzt war den anderen Morgenvögeln vor dem Langhaus klar, dass er es auf
mich abgesehen hatte. Seufzend drehte ich mich um und ergab mich in mein
Schicksal.
Er
kam näher, und mir fiel auf, dass er die Hände vor die Brust gepresst hielt und
etwas darunter zappelte. Ich schauderte beim Gedanken daran, was sie umklammert
hatten, als ich ihn zuletzt von Nahem gesehen hatte, in finsterer Nacht vor der
Kammer meiner Eltern.
Jetzt
hatte er meine Aufmerksamkeit. Ich kniff die Augen zusammen, um besser zu
sehen. Was war das? Ich zuckte die Achseln. Jedem Geschöpf, das in die Fänge
des Blenders geriet, hatten die Nornen übel mitgespielt. Wenn es Glück hatte,
würde es einen schnellen Tod finden.
In
einiger Entfernung von mir blieb Loki stehen, beugte sich hinab und setzte das
Tier behutsam ab.
Ich
hob die Augenbrauen. Eine solche Zartheit hatte ich ihm nicht zugetraut.
Als Loki sich aufrichtete und das
Sonnenlicht auf das Tier fiel, schnappte ich nach Luft. Es handelte sich
eindeutig um einen Wolfswelpen. Schon allein diese Tatsache wäre ungewöhnlich
gewesen, doch dieser war größer als alle jungen Wölfe, die ich je gesehen
hatte. Deutlich erleichtert darüber, endlich frei zu sein, tollte der Welpe
übermütig durch das Gras, und ich folgte ihm mit dem Blick. Ein Glucksen stieg
in meiner Kehle auf, als der Kleine sich tollpatschig überschlug.
„Thrud!“ Mit einer Hand winkend lenkte
Loki meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Er durchquerte mit langen Schritten
die Wiese vor dem Langhaus.
Ich stellte die Eimer im Gras ab, legte
das Joch vorsichtig daneben, um sie nicht umzukippen und sah ihm entgegen.
Bevor Loki mich erreichte, schoss das
Wolfsjunge an ihm vorbei und stürzte sich begeistert auf mich. Ich ließ mich
auf die Knie sinken und kraulte hingerissen seine flauschigen Ohren. Seine
Kiefer schnappten nach meinen Fingern. Ich überwand den ersten Schrecken, ließ
mich auf das Spiel ein und hielt ihm meinen Ärmel hin.
Entzückt vergrub er seine Zähne in dem
dicken Leder und nagte voll Begeisterung daran. Ich richtete mich wieder auf
und hob den Arm empor, doch der kleine Kerl ließ nicht los. Baumelnd hing er an
seinen Zähnen und seine Hinterläufe strampelten hilflos in der Luft, während er
mit den Vorderpfoten an meinem Handgelenk Halt suchte.
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