Ein schmaler Bach war aus dem Wald
am Wegesrand hervorgekommen und führte sein klares Wasser an einer kleinen
Wiese entlang.
„Wir werden hier eine kurze Rast
einlegen. Lassen wir die Tiere für einen Moment ruhen und nutzen die Zeit, um
unsere Wasservorräte aufzufüllen.“ Die Stimme des Ritters schickte eine Welle
der Freude durch den Leib seines Gefährten.
Zum ersten Mal, seit er sein
Zuhause verlassen hatte, konnte Angor dem Sattel entkommen. Als Wulfun sein
Pferd auf die Wiese lenkte und es zum Stehen brachte, stieß der junge Mann an
seiner Seite ein zufriedenes Seufzen aus. Noch bevor der Ritter aus dem Sattel
steigen konnte, kam Angor ihm zuvor und streckte seine steifen Glieder.
Gelenke knackten und die festen
Muskeln seiner Oberschenkel protestierten, als er sie zwang, nach dem langen
Ritt wieder sein Gewicht zu bewegen. Der Ritter beobachtete die ersten steifen
Schritte seines Rekruten. Mit einem Lächeln auf den Lippen schüttelte er seinen
Kopf und ließ den jungen Mann seine beanspruchten Beine erproben.
Umgeben vom warmen Wind des
Frühlings stapfte Angor dem nahen Waldrand entgegen. Er musste ein paar
Schritte gehen und das Blut in seinen Beinen wieder in Bewegung bringen.
„He, Angor, was hast du vor?“ Der
Ruf des Ritters ließ ihn kurz innehalten.
„Ich gehe in den Wald. Ich muss
mich mal erleichtern.“
In Wirklichkeit wollte er
lediglich ein paar Schritte gehen und für wenige Minuten alleine sein. Der Mann
des Königs war nett und doch musste er sich noch daran gewöhnen, fortan den
ganzen Tag mit diesem Fremden zu
verbringen.
Umgeben vom Zwitschern der Vögel
und dem stetigen Rascheln am Waldboden schritt der junge Mann voran. Der
Frühling hatte die Pflanzen bereits wieder zum Leben erweckt und doch erlaubten
die sanften Sprösslinge ihrer Blätter seinem Blick durch das Unterholz zu
streifen. Der Duft aufkeimender Pflanzen lag in der Luft. Vom Frieden der
Szenerie ergriffen, schloss Angor für einen Moment seine Augen und atmete die
kühle Luft des Waldes ein. Für einen kurzen Augenblick dazu in der Lage zur
Ruhe zu kommen, ging er langsam in die Hocke und ließ den schweren erdigen
Geruch des Waldbodens in seine Nase strömen.
Als er seine Augen wieder öffnete,
sah er die vermoderten Überreste eines gewaltigen Baumes vor sich. Von Moos
überwachsen, lag der breite Stamm einer uralten Eiche neben dem zerbrochenen
Wurzelstock, auf dem er einst geruht hatte. Von dem Anblick fasziniert trat der
junge Schmied vorsichtig näher.
Ein Funkeln, nur für einen
einzigen Augenblick zu erkennen, ließ ihn kurz innehalten. Was war das? Der
Gedanke erfüllte seinen Geist. Der helle Schimmer am Waldboden war so schnell
wieder verschwunden, wie er aufgetreten war. War er wirklich dort gewesen, oder
hatte er ihn sich nur eingebildet? Der Zweifel in seinem Geist rang mit seiner
Neugier. Angors Blick war auf die Stelle gerichtet, an der er das Funkeln
gesehen hatte. Die wachsenden Pflanzen des Waldbodens lagen matt vor ihm und
schienen ihn zu verhöhnen. Es war dort gewesen, und er musste es wieder finden.
Eilig näherkommend suchten seine
Augen nach dem Schimmer. Vom Licht der Sonne beleuchtet, strahlte ihm das satte
Grün des Mooses entgegen, als versuchte es seinen Blick zu zerstreuen. Doch
Angor war nicht bereit, so schnell aufzugeben. Langsam, seinen Blick aufmerksam
auf den Waldboden gerichtet, sank er erneut in die Hocke herab. Es musste hier
sein. Sein Instinkt sagte ihm, dass er an der richtigen Stelle war.
Mit beiden Händen ausgestreckt
fuhr er über das Moos. Tastend und suchend strich er umher, bis seine Finger
schließlich gegen etwas Hartes stießen. Von einem Stich der Aufregung
durchdrungen, hielt Angor plötzlich inne. Was auch immer er suchte, er hatte es
gefunden. Als er seinen Blick senkte, kehrte der silbrige Schimmer zurück. Von
Moos bedeckt und doch nicht gänzlich versteckt, verbarg sich etwas unter seinen
Händen.
Mit vorsichtigen Bewegungen
befreite er seinen Fund von den flachen Gewächsen. Von einer Aufregung
ergriffen, die seinen gesamten Körper in Aufruhr versetzte, spürte er, wie sein
Herz schneller schlug. Als er sah, was er freigelegt hatte, stahl sich ein breites
Grinsen auf sein Gesicht.
Noch immer mit Erde beschmiert,
offenbarte sich ihm ein silbernes Kästchen. So lange wie sein Fuß und so breit
wie seine Hand ruhte es in seinem weichen Bett unter dem Stamm. Die Freude über
seinen Erfolg hielt ihn für einen Moment in ihrem Bann. Unfähig einen klaren
Gedanken zu fassen, starrte er seinen Fund an. Doch der Moment seiner
Zurückhaltung währte nur kurz. Mit gierigen Händen hob Angor die Kiste auf und
drehte sie vor seinen Augen. Ein alberner Gedanke schoss durch seinen Kopf. War
dies der erste Schatz, den er bei seinen Abenteuern fand?
„Hey, Angor, wo bleibst du? Wir
müssen weiter!“
Die Stimme des Ritters ließ ihn
erschrocken auffahren. Für einen Moment von der Furcht ergriffen, seinen Schatz
teilen oder gar abgeben zu müssen, sah er sich eilig um. Die Kontur des
Königsmannes am Waldrand war kaum zu erkennen. Verdeckt von den Ästen und
Blättern niedriger Büsche wandte Wulfun seinen Kopf suchend hin und her.
„Ich komme!“, rief der junge
Schmied aufgeregt zurück, bevor er wieder auf das Kästchen herabsah. Was auch
immer sich darin verbarg, er würde es herausfinden.
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