Der
Fakt, dass Adrian nicht überrascht war, als sein Cousin ihm von dem Gespräch
mit dem Immergrün erzählte, sagte einiges über die Beziehung der beiden Männer
aus. Oder darüber, wie gut sie sich kannten. Er hatte immer gewusst, dass sein
Cousin ein treuherziger Tropf war. Dass er jedoch ernsthaft beabsichtigte, dem
Fremden zu helfen, ließ Adrian dann doch an Patricks gesundem Menschenverstand
zweifeln. Vor allem, als er verkündete, dass er seinen Cousin bereits in seinem
Plan integriert hatte. »Die Garde behält mich im Auge, weil ich bei der
Verhaftung für Ärger gesorgt habe. Ich brauche deine Hilfe. Wenn es stimmt, was
Valentin mir erzählt hat, dann steht der zweite cath na mór vor der Tür. Du
musst mir einfach helfen.«
Und
natürlich sagte er Patrick zu. Nicht nur, weil er sein Cousin war und er einen
weiteren Clankrieg verhindern wollte, sondern auch, weil er ungebührlich
neugierig war, was es mit diesen Fremden auf sich hatte. In den vergangenen
Wochen sorgten sie für mehr Ärger und Tote als der Kinahan-Clan in den letzten
Jahren. Was war der Grund dafür, dass sie sich gegen eine ganze Grafschaft
stellten? Vermutlich rechnete Patrick damit, dass sein waghalsiger Cousin sich
diese reizvolle Abwechslung nicht entgehen lassen würde – und im Zweifelsfall
auf sich aufpassen konnte. Doch all die Neugierde und Hilfsbereitschaft lösten
sich just in Luft auf, als er einige Stunden später auf dem Hof der Immergrün
stand. Das Klicken einer entsicherten Waffe, die auf seinen Kopf gerichtet war,
hörte niemand gerne, ganz gleich, wie risikobereit man veranlagt war.
Er hatte in den letzten Wochen einiges über die
Fremden gehört, zwei von ihnen gar getroffen. Doch als er nun die raue
Frauenstimme hörte und den Kopf sachte in ihre Richtung drehte, wurden
sämtliche Vorstellungen seinerseits ins Aus befördert. Er hatte insgeheim
vermutet, dass die Fremden ein wilder Haufen waren, der ohne Sinn und Zweck
handelte, ein Blick in Livias Gesicht reichte aus, um zu begreifen, dass er
sich irrte.
Adrians
Gesichtsausdruck war die Ruhe selbst, ohne jede Angst, als er seiner
Widersacherin in die stahlgrauen Augen schaute. Es gab viele Gedanken, die ihm
in diesen anfänglichen Sekunden durch den Kopf gingen, der erste setzte sich
fest wie kein anderer: Sie war bereit, alles zu tun. Er sah es in ihren Augen,
diese sture, unbändige Entschlossenheit. Die kühle Berechnung. Augen, die
Schreckliches gesehen hatten. Erst danach fielen ihm weitere Dinge an ihr auf.
Die aufrechte Körperhaltung wie die eines Soldaten. Die Autorität in ihrer
Stimme, die sie ohne jeden Zweifel als jemanden auszeichnete, der viele Leute
befehligen konnte. Das sie deutlich kleiner als er war, gleichzeitig
durchtrainiert genug wirkte, um ihn mit Leichtigkeit niederstrecken zu können.
Die Blutsprenkel in ihrem Gesicht, die darauf schließen ließen, dass sie einen
harten Nachmittag hatte. Vor allem aber, dass sie schön war. Auf eine
natürliche und irgendwie gefährliche Art und Weise. Und wenn es eines gab, was
Adrian anzog, dann war es die Gefahr.
»Ich denke, ich bin genau dort, wo ich sein
sollte«, seine samtige Stimme ließ nicht darauf schließen, dass er sich darum
sorgte, dass sie ihn erschießen würde. Stattdessen taxierten seine
türkisfarbenen Iriden die ihren, ein vages Lächeln umspielte seine Lippen, ehe
er die Hände leicht anhob, als Zeichen, dass er unbewaffnet war und keinen
Ärger machen würde.
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