Anreise mit Hindernissen
Das
rote Licht der aufgehenden Sonne, schien von links in das Fenster der Fahrertür
und ließ die sonst eher weniger ansehnlichen Häuserfassaden links von der
Pariser Stadtautobahn in diversen, sanften Nuancen erstrahlen. Emilie streifte
die Stiefel ab und zog ihre Füße auf den Sitz. Vorsichtig rollte sie den Kopf
von links nach rechts. Die Erinnerung an das Bett im Hotel letzte Nacht,
verblasste nur langsam. Um sich von ihrem schmerzenden Genick abzulenken,
konzentrierte sie sich lieber auf das zauberhafte Farbspiel und die Aussicht
auf einen Kaffee an der nächsten Tankstelle. Der Himmel versprach einen
wundervollen Tag.
»Die
verdammte Sonne blendet«, fluchte Daniel neben ihr am Steuer und hantierte so
sehr mit der Sonnenblende herum, dass er fast aus der Spur geriet.
Um 8.44
Uhr am Neujahrsmorgen prinzipiell kein Problem, doch seine Frau rief trotzdem
»Vorsicht!« und hielt sich am Armaturenbrett fest. Daniel warf ihr einen kurzen
Seitenblick zu.
»Schon
gut.« Mit verkniffenem Gesicht und nur einer Hand, zwang er die Blende wieder
in ihre Halterung. Mit einem lauten Klatschen federte sie ans Dach der
Fahrerkabine zurück.
Emilie
sah ihren Mann von der Seite an, verkniff sich aber jeden weiteren Kommentar.
Sie wusste, dass auch er schlecht geschlafen hatte, sonst hätte er beim
Frühstück kaum zwei Tassen von der dünnen Plörre durch den Hals bekommen, die
das Hotel als Kaffee angepriesen hatte. Sie sah aus dem Fenster und atmete
langsam aus. Die Pariser Vororte zogen an ihnen vorbei und die Landschaft wurde
zunehmend ländlicher.
»Wann
sind wir da?«, erklang Pauls verschlafene Stimme von der Rückbank. Emilie
drehte sich auf dem Beifahrersitz nach hinten um und lächelte ihren Großen an.
»Tigerchen,
wir sind doch gerade erst losgefahren.« Er schob die Unterlippe vor und
wiederholte:
»Und
wann sind wir endlich da?« Ein Blick auf das Navi verriet ihr, dass sie noch
4:47 Std. für 507 km brauchten, bis sie in der neuen Wohnung in
Saint-Georges-de-Didonne ankommen würden. Sie seufzte und wandte sich wieder
ihrem frischgebackenen Sechsjährigen zu. Anstelle einer Antwort bot sie ihm an:
»Vielleicht
mache ich dir eine Folge von den Drei-???-Kids an?«
Ihr
Sohn durchschaute sie und sein Blick verfinsterte sich. Stumm schüttelte er den
Kopf und machte trotzdem Anstalten, seine Kopfhörer aufzusetzen.
»Grundschul-Superhelden
also?«, fragte sie rasch und er nickte kaum merklich mit noch immer
zusammengepressten Lippen. Wie ähnlich er seinem Vater sah, wenn er so grantig
guckte. Liebevoll lächelte sie ihn an.
»Was
macht Elise?« Sie selbst konnte die Vierjährige hinter sich nicht sehen und
wollte sich ungern zusätzlich das Kreuz verrenken – vor allem bei Daniels
heutigem Fahrstil.
Paul
warf einen Blick auf seine Schwester und zuckte dann mit den Schultern.
»Schläft.«
»Okay«,
erwiderte Emilie und setzte sich wieder richtig in ihren Sitz. Sie griff nach
dem Smartphone, das via Bluetooth ohnehin noch mit dem Player ihres Sohnes
verbunden war und scrollte durch die gespeicherte Liste der Hörspiele. Schon
nach den ersten Sekunden der ausgewählten Folge kam ein »Kenn ich schon« von
hinten.
Nach
hinten gewandt antwortete sie betont ruhig:
»Du
kennst sie alle schon, Liebling, welche möchtest du denn hören?«
»Was?«
»Wie
bitte«, korrigierte sie ihn automatisch.
»Häh?«
Erst jetzt lüftete er die Kopfhörer. Sie nahm aus dem Augenwinkel wahr, dass ihr Mann das Lenkrad knetete und seine
Fingerknöchel vor Anspannung weiß hervortraten.
»Welche
Folge?« wiederholte sie daher knapp.
»Kann
ich mal die Bilder dazu sehen?« Jetzt riss Daniels Geduldsfaden.
»Wenn
er sie ohnehin alle kennt, ist das doch völlig egal, spiel einfach irgendeine«.
Sein Tonfall war schneidend und nun war es an Emilie, die Unterlippe
vorzuschieben. Um jedoch keinen weiteren Streit am frühen Morgen zu
provozieren, sparte sie sich eine Antwort und sah wieder fragend zu ihrem Sohn.
Der zuckte nun auch nur noch mit den Schultern und setzte die Kopfhörer wieder
auf. Sie seufzte innerlich, wählte die erste und damit älteste Folge aus und
drückte auf Play.
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