Mittwoch, 19. Oktober 2022

[Schnipseltime] Nachtwesen und Schattengeschöpfe - Schlimmer geht immer von Sabine Reifenstahl

 

Ungewollt werde ich an den letzten Mann erinnert, der mir dermaßen gefiel, dass ich ihm Unsterblichkeit schenkte. Ich hatte mir ein bisschen Zweisamkeit erhofft, einen Gefährten, der mit mir die Ewigkeit überdauert.

Doch wozu nutzte er meine Gabe?

Im 15. Jahrhundert verbreitete er Angst und Schrecken, spießte Tausende auf Pfähle, um ihnen beim Sterben zuzuschauen. Vlad Tepes trank literweise Blut und gründete ein Geschlecht lichtscheuer Nachkommen, durchweg unleidliche Zeitgenossen. Ihre Eigenart, beim Abgang rosafarben zu glitzern, tröstet kaum über ihre Untaten hinweg. Dennoch muss ich zugegen, der Anblick, wenn sie funkelnd zu Staub zerfallen, ist spektakulär.

Warum ausgerechnet Draculas Erben so aufsehenerregend abtreten, bleibt ein Mysterium. Doch da ich mich schuldig fühle an der Existenz pink glitzernder Vampire, die sich wie Rockstars feiern lassen, sehe ich es als Pflicht an, ihren Lebensgeist auszusaugen. Ihre schimmernden Rückstände erinnern mich jedes Mal daran, nie wieder zu lieben.

»He, was is’ nu’? Du hast mir was versprochen!«

Mit seinem dünnen Stimmchen reißt Digger mich aus den Grübeleien. Angewidert mustere ich, was er mir stolz präsentiert und seufze. Wäre ich ein Huhn, würde mich das Würmchen reizen. Aber ich bin eine viertausend Jahre junge Frau mit genauen Vorstellungen von Freudenspendern und Lustkillern.

Die Lippen zum gezwungenen Lächeln verzogen, trete ich an den Vampir heran und lasse die Hand abwärts gleiten. Dabei vermeide ich es bewusst, die beklagenswert unspektakuläre Männlichkeit zu berühren, und bette die Finger stattdessen auf seinen. Schlagartig erstarre ich.

Der Bursche bewegt seine Rechte unverkennbar und bespaßt sich selbst.

»Nicht so ungeduldig«, weise ich ihn zurecht und verrolle innerlich die Augen. In all den Jahren kam mir so was noch nicht unter. Und ich bin schon vielen Glitzervampiren mit übergroßem Ego begegnet.

Beim Klang meiner Stimme zuckt Digger erschrocken zurück. In seiner Miene blitzt Panik auf. Vermutlich erinnert er sich an die Mythen von der Seelentrinkerin, wie seinesgleichen mich nennt. Als ob diese Individuen eine Seele besäßen. Von Verstand ganz zu schweigen. Ich bin eine Lamie!

Bevor er zur Flucht ansetzt, drücke ich ihm einen Kuss auf den kalten Mund. Seine Gegenwehr erlahmt augenblicklich.

Schlimmer geht immer!, bemerke ich schnaubend. Bestialischer Geruch umfängt mich, und ich schmecke abgestandenen Atem. Die Luft anzuhalten, nützt wenig.

Der Typ müffelt aus allen Poren. Für den Gestank gibt es keine Entschuldigung. Der Mythos, Vampiren hinge ein Hauch von Verwesung an, gründet auf derart ungewaschenen Subjekten wie dem hier. Digger scheint ein gestörtes Verhältnis zur Körperhygiene zu haben. Vielleicht fürchtet er, beim Duschen wie die böse Hexe des Westens aus dem Zauberer von Oz zu zerfließen. Meiner Erfahrung nach ist Wasser völlig ungefährlich, es sei denn, man schöpft es aus der Lethe oder dem Styx.

Erneut frage ich mich, was seine Groupies an diesem stinkenden Aussatz finden. Er ist weder hübsch anzusehen, noch riecht er gut. Und sein Gesang?

Jede Katze mauzt melodiöser, selbst wenn ihr jemand auf den Schwanz tritt.

Aus: Vampirflöten – Zwischen schalem Geschmack und Glitter


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