Ihr Herr ließ sich auf der weißen Marmorbank am Brunnen nieder und sie
setzte sich mit geringem Abstand neben ihn. Die Lyra stützte Helena auf ihren
Schenkeln auf und zupfte zuerst an den Saiten, bevor sie zu spielen begann. Tiberius
blickte in den Garten und lauschte. Sie konnte nicht sagen, ob es ihm gefiel.
Er wirkte, wie wenn er in Gedanken an einem anderen Ort wäre.
»Sie spielte wie du«, sagte er geistesabwesend.
Helena zuckte bei diesem Satz innerlich zusammen. Hatte er wirklich
gelesen, was sie gedacht hatte, oder war das ein Zufall gewesen?
»Wer, Herr?«
»Sie ist längst vergangen«, antwortete er tonlos.
Die Griechin interpretierte aus dieser Bemerkung, dass er eine Liebe
verloren hatte. Wie tragisch. War es seine Frau gewesen? Sie meinte, seinen
Schmerz fühlen zu können und in seiner Stimme schwang Bedauern mit. Da umgriff
er ihre Finger und drückte sie sanft, doch sah dabei immer noch zum Brunnen,
der munter vor sich hin plätscherte.
»Die Zeit verrinnt wie dieses Wasser. Sie lässt
sich nicht aufhalten, rinnt durch die Finger, ein endloser Strom ins
Ungewisse.«
Dann
betrachtete er ihre Hand in seiner. Wie dunkel ihre Haut gegen seine Blässe
wirkte. Der Unterschied war deutlich. Mied er die Sonne, dass er keine Farbe
bekam?
»Du bist noch so jung, Helena«, sagte er, ließ ihre Finger los und legte
seine an ihren Nacken, begann sie dort zu kraulen. Eine Gänsehaut überzog ihre
Arme und tausend Ameisen krabbelten über ihren Rücken. Diese Zuwendung genoss
Helena in vollen Zügen und rutschte vorsichtig näher zu ihm, damit es ihm nicht
auffiel.
»Aber du bist doch auch noch jung, Herr.«
Er lächelte. »Immerhin 26.«
Hielt er sich etwa für alt? Sie trennten doch nur neun Jahre. Lucius war
bestimmt vierzig. Das war alt.
Tiberius’ Lächeln wurde zu einem Grinsen und sie bewunderte die weißen Zähne.
Alles an ihm war perfekt und sie beneidete die Frau, die er einmal erwählen
wird.
»Dir gefällt, was ich tue«, stellte er fest und fuhr mit den Fingern
weiter hoch an ihren Hinterkopf. Am liebsten hätte sie laut geseufzt, so wie es
jetzt auch auf ihrer Kopfhaut prickelte. Er durfte nicht aufhören damit. Sie
schloss die Augen, die Lyra noch auf ihrem Schoß und gab sich ganz ihren
Empfindungen hin. Er nahm ihr das Instrument ab, lehnte es an die Bank und
streifte mit dem Schenkel ihren. Tiberius saß nun so dicht, dass sich ihre
Beine berührten, und sie seinen Atem an ihrem Ohr spürte. Dann steckte er die
Nase in ihr Haar und nahm einen tiefen Atemzug. »Ich mag deinen Duft. So
lieblich.«
Die Gänsehaut überall wurde schlimmer, als seine Brust ihren Oberarm berührte.
Feste Muskeln unter dem weichen Stoff seiner Tunika. Oh, sie würde im Moment
alles für ihn tun. Sicherlich wollte er heute mehr von ihr.
»Möchtest du nicht baden, Herr?«, rutschte ihr heraus und sie bereute
ihre Frage sofort. Was erdreiste sie sich nur?
Doch er lachte herzhaft und richtete sich wieder auf. »Heute nicht.
Sollen wir das morgen gemeinsam tun?«
Helena wurde ganz aufgeregt. Er wollte mit ihr baden. Sie nickte.
»Aber nur, wenn du bei deinem ersten Unterricht fleißig bist«, fügte er
hinzu und sie ärgerte sich über die Bedingung. Woher sollte sie wissen, wie gut
sie das verstehen würde, was sie lernen sollte? Aber sie antwortete brav: »Ja,
Tiberius.«
»Dann geh jetzt schlafen, damit du ausgeruht bist. Die Lyra kannst du stehenlassen.«
Sie wollte aber noch nicht ins Bett, erhob sich widerwillig von der Bank
und wünschte ihm eine gute Nacht.
»Gute Nacht, meine Blume.«
Ihr Herz machte einen Hüpfer.
So hatte er sie noch nie genannt und mit der Vorfreude auf das morgige Bad ging
sie ins Bett.
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