Montag, 21. März 2022

[Schnipseltime] Der Tag, an dem dein Flieger ging von Jutta Kröpfl

 

Tags darauf trafen wir uns nach getaner Arbeit am Circular Quay, um uns noch einmal auf geschichtliche Fährten zu begeben. Du hast auf mich gewartet. Hast im Schneidersitz zwischen ein paar Möwen im Gras gesessen, das im länger werdenden Schatten des Kunstmuseums lag. Ich hätte dir die Hand gereicht, um dir aufzuhelfen, aber es war ein Tag, der vor unserem Zusammentreffen mit dem asiatischen Fotographen lag. Du hast mein Angebot ignoriert und dich anderweitig aufgerappelt.

Das Abendprogramm lag in meiner Hand und ich führte dich durch die engen, verwinkelten Gassen von The Rocks. Wir schlenderten ausgiebig zwischen den alten Lagerhallen und den hübschen Sandsteinbauten mit ihren Türmchen, kunstvollen Giebeln und hohen Fenstern hindurch. Währenddessen ließen wir der Phantasie ihren Lauf und versuchten uns vorzustellen, wie das Leben hier gewesen sein musste, als es das heutige Sydney noch nicht gegeben hatte. Bevor man die kontrastreichen Hochhäuser aus Glas und Stahl hochgezogen hatte. Zwar muss es eine eher ärmliche Gegend gewesen sein, andererseits aber auch beträchtlich ruhiger. Ohne das ferne, aber monotone Rattern und Rumpeln von Autos und Zügen.

Vielleicht wäre ich der Sohn eines klugen Geschäftsmannes gewesen und du die bildschöne Tochter eines Handelskapitäns. Ich hätte einen maßgeschneiderten kastanienbraunen Anzug mit Hut getragen, du ein langes, wallendes Kleid mit bravem Häubchen. Ich hätte dich untergehakt und du dein Sonnenschirmchen aufgespannt und dann hätte ich dich ausgeführt. Wir hätten ein intelligentes Gespräch geführt und dir wäre klar geworden, dass ich die wohlhabendste und beste Partie war, die du machen konntest…

Auf dieses Spielchen gingst du allerdings nicht ein, schon ein Unterhaken hätte unsichtbare Grenzen überquert.

Wir aßen Pommes und machten uns zum Sonnenuntergang auf zum ersten Fußmarsch über die Harbour Bridge. Andere taten es uns gleich, doch es war ausreichend Platz. Du warst nicht einmal gezwungen, meinen Arm zu streifen, als wir zunächst zur Mitte der Brücke spazierten. Eine leichte Brise ließ dein offenes Haar verwehen. Neben uns rauschte achtspurig der Verkehr, dazu ein Schienenstrang. Während das Südufer schon im kühlen Schatten lag, leuchtete das Nordufer noch golden. Wir verweilten eine Zeitlang, dann marschierten wir gemächlich weiter. Als wir im Norden ankamen, war die Mondsichel am Himmel deutlich zu erkennen. Wir verließen die Brücke, gingen unter ihr hindurch und liefen bis nahe ans Wasser. Dort setzten wir uns in die Wiese und beobachteten wortkarg das Lichtspiel der letzten Sonnenstrahlen, jeder für sich und doch irgendwie gemeinsam. Ich für meinen Teil jedenfalls konnte nicht ausblenden, dass du in meiner Nähe warst. Binnen Minuten kam die Nacht. Sterne glimmten und die Segel des Opernhauses waren angestrahlt. Die markanten Spitzen zeichneten sich von der beleuchteten Stadt ab, als wir uns auf den Rückweg zur Altstadt machten. Mein Plan sah noch einen Blick in das älteste Pub vor, in dem seit beinahe zweihundert Jahren Bier getrunken wird.

Der dreistöckige Backsteinbau war innen moder-nisiert, im Schankraum aber zeugten noch ein Kamin und ein dunkel gemusterter Fußboden von der Historie. Weil du wenig gesprächig warst, stattdessen einige SMS mit deinem Lover ausgetauscht hast, machte ich sanfte Konversation mit zwei Einhei-mischen. Sie spendierten uns zwei Gläser süffiges Tooheys, das Bier des echten Sydneysiders.

Als wir das Fortune of Wars zu fortgeschrittener Stunde verließen, rochst du nach Bier und ich hatte wohl einen klitzekleinen Rausch. Jedoch war er klein genug, dich nicht zwingen zu müssen, mir eine Stütze zu sein.

 

 

Du warst weg. Weit weg. Im wahrsten Sinne des Wortes am anderen Ende der Welt. Du hast mir gefehlt, ich habe mich nach deiner Nähe gesehnt, deinem kitzelnden Flüstern in mein Ohr. Meine Träume haben mich zwischen die einzelnen Sätze deiner Nachrichten gebeamt, aber subjektiv waren es immer zu wenige. Obwohl du zuverlässig deine Mailberichte geschickt hast und wir Handymessages hin- und hergeschickt haben. Etwa einmal die Woche hast du angerufen, für vier-fünf Minuten, die wir vorwiegend damit verplempert haben, einander von Sehnsucht und Einsamkeit vorzujammern. Ab und zu hat mich der Postbote erlöst und mit deiner Handschrift bekam ich Greifbares. Trotzdem hätte ich nach immer noch mehr gegiert und ich nehme an, es war nur mein Empfinden, dass du dich bisweilen bedeckt gehalten hast.

Eines Abends war ich zu Besuch bei deinen Eltern. Sie hatten mich eingeladen, an den genauen Grund kann ich mich nicht erinnern. Wir beide hatten schon häufiger zusammen mit ihnen gegessen, vielleicht brauchte es auch gar keinen extravaganten Anlass mehr. Außerdem habe ich Henrik und seine Art gemocht. Vom ersten Moment an, als du mich ihm vorgestellt hattest. Und das ist noch zu deinen Lutz-Zeiten gewesen.

Wir haben uns unterhalten. Ich habe von meinem Studium erzählt, deine Mutter ein paar Entscheidungs-findungsprozesse im Stadtrat angerissen. Es war lockeres Geplauder. Natürlich ging es auch oder vornehmlich um dich.

Dein Stiefvater hat mir mit ein paar geschickten Fragen zu entlocken versucht, wie ich denn zu deiner Wohnsituation gestanden habe. Ich habe mit den Schultern gezuckt, es abgetan, bin aber dem Kern der Frage doch ausgewichen. Keine Antwort, aus der man schlau hätte werden können. Soweit war ich selbst noch nicht. Henrik hat nur geschmunzelt und Corinna rasch eine Postkarte vor mir auf den Tisch gelegt. Eine kleine Gruppe Kängurus in gestellter Pose, kein originales Bild, so nehme ich an. Greetings from Australia. Ich habe die Karte umgedreht und deine Zeilen auf der Rückseite verschlungen. Ihr seiet im Taronga-Zoo gewesen und ohne Meuterei auf der Bounty gesegelt. Ihr hättet die Sonne hinter der Oper auf- und aus anderer Richtung untergehen sehen, hättet die Aussichtsplattform der Harbour Bridge erklommen, aber auch ein paar Dollar erarbeitet. Es ginge euch gut. – Obwohl du in winzigen Buchstaben geschrieben hattest, um viel Platz zu gewinnen, ist der Inhalt schnell wiedergegeben. Mir aber stach vor allem auch etwas ganz anderes ins Auge. „Herzliche Grüße auch von Lukas!“, stand fast noch kleiner am untersten Rand der Karte, in anderer Schrift und anderer Farbe, aber doch wahrhaftig. Ihr wart einander so nahe, dass ihr auf einer Postkarte Platz gefunden habt… und ich so weit entfernt von jeglichem Einfluss.

 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Mit dem Abschicken des Kommentars bin ich mit den Datenschutzrichtlinien des Blogs einverstanden.