Tags darauf trafen wir uns nach getaner Arbeit am Circular
Quay, um uns noch einmal auf geschichtliche Fährten zu begeben. Du hast auf
mich gewartet. Hast im Schneidersitz zwischen ein paar Möwen im Gras gesessen,
das im länger werdenden Schatten des Kunstmuseums lag. Ich hätte dir die Hand
gereicht, um dir aufzuhelfen, aber es war ein Tag, der vor unserem
Zusammentreffen mit dem asiatischen Fotographen lag. Du hast mein Angebot
ignoriert und dich anderweitig aufgerappelt.
Das Abendprogramm lag in meiner Hand und ich
führte dich durch die engen, verwinkelten Gassen von The Rocks. Wir
schlenderten ausgiebig zwischen den alten Lagerhallen und den hübschen
Sandsteinbauten mit ihren Türmchen, kunstvollen Giebeln und hohen Fenstern
hindurch. Währenddessen ließen wir der Phantasie ihren Lauf und versuchten uns
vorzustellen, wie das Leben hier gewesen sein musste, als es das heutige Sydney
noch nicht gegeben hatte. Bevor man die kontrastreichen Hochhäuser aus Glas und
Stahl hochgezogen hatte. Zwar muss es eine eher ärmliche Gegend gewesen sein,
andererseits aber auch beträchtlich ruhiger. Ohne das ferne, aber monotone
Rattern und Rumpeln von Autos und Zügen.
Vielleicht wäre ich der Sohn eines klugen
Geschäftsmannes gewesen und du die bildschöne Tochter eines Handelskapitäns.
Ich hätte einen maßgeschneiderten kastanienbraunen Anzug mit Hut getragen, du
ein langes, wallendes Kleid mit bravem Häubchen. Ich hätte dich untergehakt und
du dein Sonnenschirmchen aufgespannt und dann hätte ich dich ausgeführt. Wir
hätten ein intelligentes Gespräch geführt und dir wäre klar geworden, dass ich
die wohlhabendste und beste Partie war, die du machen konntest…
Auf dieses Spielchen gingst du allerdings nicht
ein, schon ein Unterhaken hätte unsichtbare Grenzen überquert.
Wir aßen Pommes und machten uns zum
Sonnenuntergang auf zum ersten Fußmarsch über die Harbour Bridge. Andere
taten es uns gleich, doch es war ausreichend Platz. Du warst nicht einmal
gezwungen, meinen Arm zu streifen, als wir zunächst zur Mitte der Brücke
spazierten. Eine leichte Brise ließ dein offenes Haar verwehen. Neben uns
rauschte achtspurig der Verkehr, dazu ein Schienenstrang. Während das Südufer
schon im kühlen Schatten lag, leuchtete das Nordufer noch golden. Wir
verweilten eine Zeitlang, dann marschierten wir gemächlich weiter. Als wir im
Norden ankamen, war die Mondsichel am Himmel deutlich zu erkennen. Wir
verließen die Brücke, gingen unter ihr hindurch und liefen bis nahe ans Wasser.
Dort setzten wir uns in die Wiese und beobachteten wortkarg das Lichtspiel der
letzten Sonnenstrahlen, jeder für sich und doch irgendwie gemeinsam. Ich für
meinen Teil jedenfalls konnte nicht ausblenden, dass du in meiner Nähe warst.
Binnen Minuten kam die Nacht. Sterne glimmten und die Segel des Opernhauses
waren angestrahlt. Die markanten Spitzen zeichneten sich von der beleuchteten
Stadt ab, als wir uns auf den Rückweg zur Altstadt machten. Mein Plan sah noch
einen Blick in das älteste Pub vor, in dem seit beinahe zweihundert Jahren Bier
getrunken wird.
Der dreistöckige Backsteinbau war innen
moder-nisiert, im Schankraum aber zeugten noch ein Kamin und ein dunkel
gemusterter Fußboden von der Historie. Weil du wenig gesprächig warst,
stattdessen einige SMS mit deinem Lover ausgetauscht hast, machte ich sanfte
Konversation mit zwei Einhei-mischen. Sie spendierten uns zwei Gläser süffiges Tooheys,
das Bier des echten Sydneysiders.
Als wir das Fortune of Wars zu
fortgeschrittener Stunde verließen, rochst du nach Bier und ich hatte wohl
einen klitzekleinen Rausch. Jedoch war er klein genug, dich nicht zwingen zu
müssen, mir eine Stütze zu sein.
Du warst weg. Weit weg. Im wahrsten Sinne des
Wortes am anderen Ende der Welt. Du hast mir gefehlt, ich habe mich nach deiner
Nähe gesehnt, deinem kitzelnden Flüstern in mein Ohr. Meine Träume haben mich
zwischen die einzelnen Sätze deiner Nachrichten gebeamt, aber subjektiv waren
es immer zu wenige. Obwohl du zuverlässig deine Mailberichte geschickt hast und
wir Handymessages hin- und hergeschickt haben. Etwa einmal die Woche hast du
angerufen, für vier-fünf Minuten, die wir vorwiegend damit verplempert haben,
einander von Sehnsucht und Einsamkeit vorzujammern. Ab und zu hat mich der
Postbote erlöst und mit deiner Handschrift bekam ich Greifbares. Trotzdem hätte
ich nach immer noch mehr gegiert und ich nehme an, es war nur mein Empfinden,
dass du dich bisweilen bedeckt gehalten hast.
Eines Abends war ich zu Besuch bei deinen Eltern.
Sie hatten mich eingeladen, an den genauen Grund kann ich mich nicht erinnern.
Wir beide hatten schon häufiger zusammen mit ihnen gegessen, vielleicht brauchte
es auch gar keinen extravaganten Anlass mehr. Außerdem habe ich Henrik und
seine Art gemocht. Vom ersten Moment an, als du mich ihm vorgestellt hattest.
Und das ist noch zu deinen Lutz-Zeiten gewesen.
Wir haben uns unterhalten. Ich habe von meinem Studium
erzählt, deine Mutter ein paar Entscheidungs-findungsprozesse im Stadtrat
angerissen. Es war lockeres Geplauder. Natürlich ging es auch oder vornehmlich
um dich.
Dein Stiefvater hat mir mit ein paar geschickten
Fragen zu entlocken versucht, wie ich denn zu deiner Wohnsituation gestanden
habe. Ich habe mit den Schultern gezuckt, es abgetan, bin aber dem Kern der
Frage doch ausgewichen. Keine Antwort, aus der man schlau hätte werden können.
Soweit war ich selbst noch nicht. Henrik hat nur geschmunzelt und Corinna rasch
eine Postkarte vor mir auf den Tisch gelegt. Eine kleine Gruppe Kängurus in
gestellter Pose, kein originales Bild, so nehme ich an. Greetings from
Australia. Ich habe die Karte umgedreht und deine Zeilen auf der Rückseite
verschlungen. Ihr seiet im Taronga-Zoo gewesen und ohne Meuterei auf der
Bounty gesegelt. Ihr hättet die Sonne hinter der Oper auf- und aus
anderer Richtung untergehen sehen, hättet die Aussichtsplattform der Harbour
Bridge erklommen, aber auch ein paar Dollar erarbeitet. Es ginge euch gut.
– Obwohl du in winzigen Buchstaben geschrieben hattest, um viel Platz zu
gewinnen, ist der Inhalt schnell wiedergegeben. Mir aber stach vor allem auch
etwas ganz anderes ins Auge. „Herzliche Grüße auch von Lukas!“, stand fast noch
kleiner am untersten Rand der Karte, in anderer Schrift und anderer Farbe, aber
doch wahrhaftig. Ihr wart einander so nahe, dass ihr auf einer Postkarte Platz
gefunden habt… und ich so weit entfernt von jeglichem Einfluss.
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